Hagen/Herdecke. . Wie fühlt es sich an, mit dem E-Bike im dichten Stadtverkehr zu fahren? Wir haben den Selbsttest auf dem Weg von Herdecke nach Hagen gewagt.
- Ein Selbstversuch auf dem E-Bike im Stadtverkehr
- Mit dem Airbag um den Hals auf Tour von Hagen nach Herdecke und zurück
- Aufladen des Akkus ist eine Herausforderung
Es sei ganz normales Fahrradfahren, versichert mir André Walter, als er mich in die Benutzung des E-Bikes einweist. Der Händler aus Herdecke ist mir bei einer Horizonterweiterung behilflich: In Sachen Elektrik ist bei meinem eigenen Drahtesel bislang der Dynamo das höchste der Gefühle gewesen. Welche Erfahrungen macht der E-Biker? Und ist Hagen für Radfahrer wirklich die Hölle auf Erden, wie der ADFC sagt?
Ballonhelm für Nacken und Kopf
Als ich an diesem Vormittag in der Herdecker Hauptstraße losfahre, kühlt der Wind meinen Kopf. Wie bei privaten Fahrten verzichte ich auf einen Helm, dank einer weiteren technischen Innovation aber nicht auf ein Maximum an Sicherheit – um den Hals trage ich einen Airbag. Die Halskrause ist etwas sperrig und nicht ganz leicht, sitzt aber locker genug, um etwas Luft an den Hals zu lassen. Einen Sturz soll das Gerät frühzeitig erkennen und einen Ballonhelm um Nacken und Schädel stülpen. „Es gibt dann einen leichten Knall, nicht erschrecken“, sagt André Walter.
Im Rucksack habe ich neben einem Schloss auch ein Netzteil und Kabel. Eine volle Akkuladung wird zwar für die paar Stunden, die ich gedenke, unterwegs zu sein, locker ausreichen, aber testen möchte ich den Ernstfall: Was, wenn mir fern der Heimat der Saft ausgeht?
Leichtigkeit prägt das Fahrgefühl
Der erste Abschnitt der Route nach Hagen, zunächst über die Ruhrbrücke und entlang der B 54, gestaltet sich angenehm. Ich kann auf einem Fahrradweg fahren, den E-Motor lasse ich mit 30 Prozent Unterstützung mitlaufen – Leichtigkeit prägt das Fahrgefühl.
Kaum habe ich jedoch den Rand des Stadtgebiets erreicht, muss ich mir den Weg mit Fußgängern teilen. Davon sind nicht viele unterwegs, auch andere Zweiräder sehe ich kaum, daher finde ich das nicht weiter tragisch.
Aber die Wege werden enger und sind bald für Fußgänger reserviert, also muss ich auf die Straße. Wo Bedarfsspuren für Radfahrer fehlen, ordne ich mich in den Verkehr ein, als wäre ich mit dem Auto unterwegs. An mancher Kreuzung erfordert das Traute, ich frage mich, wie es Kindern oder Senioren ergehen muss. Immerhin trägt die Motorisierung zur Souveränität bei, denn beim Anfahren in der Steigung muss ich auf weniger Geduld seitens der Autofahrer hoffen. Bevor ich die Innenstadt erreiche, wird es richtig eng zwischen geparkten Wagen und Fahrzeugen, die links überholen. Am Ziel angekommen, stellt sich die Frage nach geeigneten Parkmöglichkeiten. Viele Fahrradständer scheint es nicht zu geben, schon gar keine, die ein Anschließen des Rahmens erleichtern.
E-Bike-ABC – Alles, was Sie wissen müssen
Ich fahnde nach dem kleinen blauen Schild, das eine Lademöglichkeit für E-Bikes signalisiert – Fehlanzeige. Zeit für Plan B: Der Händler hat mir gezeigt, wie man den Akku ausbaut. Die Handgriffe sind nicht schwer, der Energiespeicher selbst dagegen schon.
Aufladen ist eine Herausforderung
Wie Milchtüten im Supermarkt klemme ich mir den Kasten unter den Arm und lasse mein mehr schlecht als recht geparktes Testfahrzeug zurück. Was nun? Ich hätte zu einer Tankstelle fahren können, aber mit einem tatsächlich leeren Akku wäre es nicht damit getan, zehn Minuten nachzuladen. Ein längerfristiger Aufenthalt dort erscheint mir wenig einladend, also klappere ich die Gastronomie mit Außenbestuhlung ab.
Da mir schon die Herausforderung, Handy oder Laptop über einen Kaffee aufzuladen, vertraut ist, gehe ich behutsam vor. Ein Bäcker, zwei Restaurants, ein Imbiss – was ich ernte, sind große Augen und Kopfschütteln, auch wenn man stellenweise so freundlich ist, beim Chef nachzufragen. Bei einem italienischen Eiscafé habe ich schließlich Glück: Die Angestellten staunen über den merkwürdigen Klotz, punkten aber mit südländischer Unkompliziertheit. Der Kellner, der für mein Netzteil eins der seltener genutzten Geräte hinterm Tresen abstöpselt, zeigt Interesse: „Darf ich fragen, was das ist?“ Meine Erklärung nimmt er verblüfft zur Kenntnis. Als ich mich daraufhin erkundige, ob vor mir denn noch niemand dasselbe Anliegen gehabt habe, lacht er: „Nein, da sind Sie der Allererste!“
Lange bleibe ich nicht, denn mein Akku ist ja nicht wirklich leer. Um das E-Bike an die Grenze zu bringen, radle ich hoch ins Wohngebiet zwischen Finanzamt und Landgericht. Zwei Gänge runter, Motorunterstützung auf 70 Prozent, und ich gerate beim Erklimmen der steilen Hänge nicht einmal ins Schnaufen.
Infrastruktur fehlt
Eng und unübersichtlich ist es leider trotzdem, wehmütig erinnere ich mich an Besuche in Münster und Oldenburg, wo Radfahrer Oberwasser haben. Auf dem Rückweg muss ich mehrfach anhalten und mein Handy als Navigationshilfe nutzen.
Die Ausschilderung eines Radwegs nach Herdecke weiß ich zu schätzen. Dass die richtige Abzweigung immer wieder zum Ratespiel wird, nervt. Als ich den Hightech-Drahtesel abgebe, kann ich aufrichtig sagen, dass es Spaß gemacht hat. Aber in Städten wie Hagen ist die Infrastruktur nicht darauf ausgelegt.
Wenn mehr Menschen für ein E-Bike das Auto stehen lassen sollen, muss sich noch einiges tun, denke ich, als ich meine Wagentür aufschließe.