Hagen. . Beim Auftakt des Raserprozesses vor dem Landgericht Hagen zeigt einer der Angeklagten Reue. Berliner Urteil sorgt für riesiges mediales Interesse

  • Angeklagter zeigt beim Prozessauftakt Reue
  • Berliner Mordurteil sorgt für großes Interesse
  • Juristische Scharmützel zum Beginn

Der Abend des 19. Mai 2016: Zwei Autos rasen parallel über eine Hauptverkehrsstraße in Hagen. Eines der Fahrzeuge gerät in den Gegenverkehr. Es stößt frontal mit einem Ford und einem Renault zusammen. Insgesamt fünf Menschen werden schwer verletzt, ein sechsjähriger Junge schwebt mehrere Wochen in Lebensgefahr.

Jetzt wird dieser schreckliche Unfall vor der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts Hagen aufgearbeitet. Raserprozess ist das Strafverfahren überschrieben. Denn unstrittig ist, dass der Skoda Fabia und ein Audi A6 mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs waren. Von mehr als 100 km/h ist in der Anklage die Rede. Als ein Smart vom Fahrbahnrand anfährt, kommt es zu dem folgenschweren Unfall, einem der schwersten in der Hagener Geschichte.

Eine der zentralen Fragen aber bleibt: Ging diesem Unglück ein illegales Rennen voraus? Nein, sagt einer der Angeklagten, ein 47-Jähriger Familienvater, der sich vor Gericht einließ. Und auch Dominic Marraffa, Verteidiger des 34-Jährigen Audifahrers, legt sich bereits vor der Verhandlung fest: „Aus unserer Sicht hat es sich nicht um ein Rennen gehandelt.“

Fahrlässige Körperverletzung

An der Anklage ändert das nichts: Straßenverkehrsgefährdung, fahrlässige Körperverletzung und im Falle des 34-Jährigen unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und falsche Verdächtigung listete Staatsanwalt Michael Burggräf auf.

Diese Aspekte, der Tathergang sowie ein umstrittener Präzedenzfall aus Berlin, in dem erstmals Raser wegen Mordes verurteilt worden waren, führen zu einem riesigen öffentlichen und medialen Interesse. Zahlreiche Kamerateams liefen in und vor Saal 201 des Schwurgerichts auf.

Und sie erleben, wie der Raserprozess nur langsam ins Rollen kommt. Eine Schöffin ist nicht erschienen. Eine Stunde dauert es, bis ein Ersatzschöffe herbeizitiert werden kann. Zwei weitere, bis die Verteidiger die neue Zusammensetzung des Gerichts überprüft haben. Juristische Peinlichkeiten und Scharmützel, die drei Stunden Verzögerung zur Folge haben.

Inhaltlich lässt sich nur der ältere der beiden Angeklagten ein. „Das, was passiert ist, wollte ich nicht. Seit jenem Tag bin ich ein anderer Mensch“, so der Familienvater, der an dem Abend vor gut einem Jahr am Steuer des Skoda gesessen hatte. Und mit Blick auf den sechsjährigen Jungen, der wochenlang in Lebensgefahr schwebte und dem ein Stück des Dünndarms entfernt werden musste, sowie dessen Schwester (11): „Insbesondere das, was mit den Kindern passiert ist, tut mir unendlich leid. Ich habe einen Brief an die Familie geschrieben, habe Geschenke für die Kinder geschickt. Aber das hat die Familie nicht angenommen. Ich kann das verstehen.“

Ungewöhnliches Beweismittel am ersten Prozesstag ist ein Video, das von einer Dashcam aufgezeichnet wurde und das die beiden Fahrzeuge unmittelbar vor dem Unfall zeigt. Ein Ex-Polizist hatte den Film mit einer Kamera an der Windschutzscheibe seiner Mercedes-S-Klasse, die alle seine Fahrten aufzeichnet, zufällig aufgenommen.

Den erhofften Beleg dafür, dass die beiden Kontrahenten an der letzten Ampel vor dem Unfallort (genau vor dem Hagener Polizeipräsidium) ein Rennen – und sei es nur durch Blickkontakt – vereinbarten, lieferte das Video nicht. Kaum drei Sekunden dürften sie bei Rot nebeneinander gestanden haben, bevor sie ihre Autos rasant beschleunigten.