Höxter/Paderborn. . Das Westwerk der ehemaligen Abtei Corvey ist Weltkulturerbe. Nun startet das Erzbistum Paderborn ein großes Projekt zur virtuellen Erschließung.
Für die Sachsen in ihren Grubenhäuser wirkt diese Architektur überwältigend. Drei Türme recken sich im Westwerk des Klosters Corvey mitten in den tiefen dunklen Wäldern Westfalens zu den Wolken. Diese Architektur symbolisiert Macht – die Sachsen sind von Karl dem Großen gerade erst mit dem Schwert missioniert worden. Und sie steht für eine neue Transzendenz, das Christentum. Himmelsstürmende Mauern werden zum Sinnbild für das himmlische Jerusalem. „Die Sachsen kannten keine Steinarchitektur. Das Westwerk war eine Weltsensation“, beschreibt Prof. Dr. Christoph Stiegemann die Bedeutung der Klostergründung an der Weser im Jahr 822 durch das karolingische Königshaus. Seit 2014 ist dieses einzige erhaltene karolingische Westwerk Weltkulturerbe, das einzige Denkmal in ganz Westfalen und im Erzbistum Paderborn, das sich mit diesem Titel schmücken darf. Jetzt wird die Bedeutung des Ortes durch das Erzbistum unter der Leitung von Prof. Stiegemann für das Publikum sichtbar gemacht. Ab 2019 können Besucher physisch und virtuell in die „Himmelsstadt“ reisen.
Welterbe Kloster Corvey
Mit 2,5 Millionen Euro ermöglicht das Erzbistum das Gesamtkonzept aus restauratorischen Maßnahmen und der museumspädagogischen Erschließung mit Hilfe moderner virtueller Technik. Der Bund steuert 1,74 Millionen bei. „Damit die Dinge für die Nachwelt erhalten bleiben“, so begründet der Warsteiner Stiegemann, Direktor des Diözesanmuseums in Paderborn, das Engagement des Erzbistums für das Denkmal. „Die Kirchengemeinde vor Ort hat 174 Mitglieder, und die haben ein Weltkulturerbe am Knie. Die müssen wir unterstützen. Das gehört zum Kulturauftrag der Kirche.“
Karl der Große bezwang die Sachsen
Bekanntlich erobert Karl der Große die Sachsen und zwingt den Stämmen das Christentum auf. Das Sauerland bleibt von den Kriegen aufgrund seines Rohstoffreichtums verschont; in Marsberg und auf der Hohensyburg entstehen die Mutterkirchen der Region. Doch die sächsischen Dorfgelöbnisse gehen nicht zu Herzen; „Dass das Christentum in Westfalen überleben konnte, ist die Leistung der Mönche von Corvey“, schildert Stiegemann. Erst die Abtei macht Wissen, Bildung, Handwerkstechniken, Lesen und Schreiben in der Tiefe des Raumes heimisch.
Benediktiner mit Missions-Auftrag
Benediktinermönche aus dem westfränkischen Corbie gründen 822 das Kloster Corbeia Nova. 885 wird das Westwerk als Dreiturmanlage fertiggestellt. 1145 wird das Kloster Reichsabtei. Während der Säkularisation wird das Fürstbistum Corvey 1802 aufgehoben. 1821/1825 wird Corvey in das Bistum Paderborn eingegliedert.
An zwei Größen zeigt Prof. Stiegemann, warum das Bauwerk einzigartig ist. Da ist die erhaltene Grundsteinplatte am Westwerk. Die Inschrift in Capitalis quadrata war mit vergoldeten Kupferbuchstaben ausgelegt. Diese Technik kennt man sonst nur aus dem antiken Rom Kaiser Konstantins. Der Text lautet „Umhege, o Herr, diese Stadt, und lass deine Engel die Wächter ihrer Mauern sein.“ Im Johanneschor befindet sich ein Wandfresko, das Odysseus im Kampf mit Skylla zeigt. „Dabei handelt es sich um die erste Wandmalerei eines antiken Mythos’ nördlich der Alpen“, unterstreicht Stiegemann. „Das hat es früher nicht gegeben.“
Dieser Kulturtransfer aus der Antike über das westfränkische Reich direkt ans westfälische Ende der Welt hat internationalen Rang. Stiegemann: „Nur sieht man das derzeit nicht, und das müssen wir drehen. Dazu haben wir uns ein Konzept überlegt.“ Im Johanneschor wird der Besucher mit Hilfe von Virtual-Reality--Brillen künftig erkunden können, wie der Raum ausgestaltet war, als sich zum Beispiel Kaiser Otto I. dort aufhielt.
St. Vitus kommt über den Hellweg
Schon im Jahr 836 werden die Reliquien des Heiligen Vitus nach Corvey überführt – aus St. Denis in Paris. Vitus kommt nicht heimlich, „er ist im Triumphzug über den Hellweg gereist, da stand in Soest schon das Volk an der Straße“, so Stiegemann. Die Vision Karls des Großen setzt sich also durch: Paderborn als das Missionsbistum und Corvey als die neue geistige Mitte des gesamten Gebietes ermöglichen die Interkulturation des Christentums in Westfalen. Prof. Stiegemann: „Das Kloster war eine enorme Zivilisationsschule.“