Hagen. . Historiker Thomas Küster über die Entwicklung der konfessionellen Grenzen. Die Unterschiede schwinden, traditionelle Milieus lösen sich auf.
- Historiker Thomas Küster über die Entwicklung der konfessionellen Grenzen
- Westfalen zeichnet sich durch einen Mischcharakter aus
- Die Unterschiede schwinden, die Milieus haben sich aufgelöst
Reformation – das ist Thüringen, Hessen, die Schweiz. Aber Westfalen? Die Region sei in der Geschichtswissenschaft bisher als Nebenland angesehen worden. „Dabei ist Westfalen eine bemerkenswerte Reformationslandschaft“, sagt Dr. Thomas Küster, Historiker am Institut für westfälische Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und ergänzt: „Ein Blick darauf lohnt sich.“
Auf den Spuren des Reformators
Martin Luthers Botschaft ist in Westfalen um das Jahr 1530 „spürbar“ angekommen, sagt Küster. Damals wurde die Kritik an der Amtskirche auch hier in der Region immer lauter, wie historische Quellen belegten.
„Mischcharakter“ in Westfalen
1545 sind die konfessionellen Unterschiede in der Region bereits deutlich erkennbar. Deutlich wird: Westfalen zeichnet sich Küster zufolge durch einen „Mischcharakter“ aus: in Südwestfalen zum Beispiel das kurkölnische Sauerland auf der einen Seite. Auf der anderen der reformkatholische Mittelweg in der Grafschaft Mark. (Die Grafschaft Wittgenstein ist zu diesem frühen Zeitpunkt katholisch eingezeichnet.)
Wer welchen Weg ging – „das hing davon ob, ob es einen starken Landesherren gab, der dem Bischof energisch entgegen getreten ist“, erklärt Thomas Küster. „In der Grafschaft Mark hat der Landesherr laviert“, erklärt er weiter. Zunächst Herzog Johann III., dann Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg. „Beide haben gezögert und keine klare Konfessionsentscheidung getroffen“, so Küster. Sie neigten zwar der katholischen Seite zu, ließen aber Elemente der Reformation zu. Den Laienkelch nennt Küster als Beispiel, also die Beteiligung der Gläubigen an der Ausgabe des Weines während des Gottesdienstes. Der Bischof habe darauf keinen Einfluss gehabt; die Herzöge hatten auch das landesherrliche Kirchenregiment.
Anders im kurkölnischen Sauerland, das zum Erzbistum Köln gehörte. Der Fürstbischof war hier nicht nur geistlicher, sondern zugleich auch weltlicher Herr. Zwar war dieser einem Reformationsversuch nicht abgeneigt, doch das Domkapitel drohte, ihm die Unterstützung zu entziehen. Der Versuch endete.
Die Folgen
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Hundert Jahre etwa habe es gedauert, bis sich eine stabile Konstellation in Westfalen etabliert hatte, berichtet Küster. Die Folgen dieser konfessionellen Mischregion seien in Südwestfalen bis heute spürbar. Die große Zahl von sozialen Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft in der Region – Krankenhäuser, Schulen – „ist eine Konsequenz davon“, ist Küster überzeugt. Man wollte im Wettbewerb um die Gläubigen schließlich besser dastehen als die konfessionelle Konkurrenz.
Die konfessionellen Unterschiede haben auch bis in die jüngere Vergangenheit noch den Alltag der Menschen sehr stark geprägt. Bis in die 60er Jahre hinein seien in Westfalen gemischt-konfessionelle Ehen „diskutiert“ worden und mancher Pfarrer habe sich geweigert, sie zu schließen, berichtet Christiane Cantauw von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen.
Unterschiede schwinden
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Doch die Unterschiede verblassen mit der Zeit zunehmend. Heute stellen sich auch Protestanten zu Weihnachten eine Krippe unter den Baum, nennt Christiane Cantauw als Beispiel. Heute kommt der Nikolaus auch zu evangelischen Kindern. Heute verschwinde bei jungen Menschen das Klischee, dass zum Beispiel die Karneval feiernden Katholiken sinnenfroher seien.
Migrationswellen in der Industrialisierung und nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch die so genannte „Gastarbeiterbewegung“ in den 60er und 70er Jahren und nun der Flüchtlingszuzug hätten die Milieus aufgelöst, bestätigt Thomas Küster. An die früheren Grenzen, sagt Cantauw, könne sich allenfalls die ältere Generation noch erinnern.
Auf Luthers Spuren