Hagen. . Historiker Thomas Küster über die Entwicklung der konfessionellen Grenzen. Die Unterschiede schwinden, traditionelle Milieus lösen sich auf.

  • Historiker Thomas Küster über die Entwicklung der konfessionellen Grenzen
  • Westfalen zeichnet sich durch einen Mischcharakter aus
  • Die Unterschiede schwinden, die Milieus haben sich aufgelöst

Reformation – das ist Thüringen, Hessen, die Schweiz. Aber Westfalen? Die Region sei in der Geschichtswissenschaft bisher als Nebenland angesehen worden. „Dabei ist Westfalen eine bemerkenswerte Reformationslandschaft“, sagt Dr. Thomas Küster, Historiker am Institut für westfälische Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und ergänzt: „Ein Blick darauf lohnt sich.“

Auf den Spuren des Reformators

Lutherdenkmal an zentraler Wirkungsstätte: In Wittenberg predigte Luther nicht nur, hier soll er auch seine berühmten 95 Thesen an die Kirchentür geschlagen haben.
Lutherdenkmal an zentraler Wirkungsstätte: In Wittenberg predigte Luther nicht nur, hier soll er auch seine berühmten 95 Thesen an die Kirchentür geschlagen haben. © dpa
Die Wartburg in Eisenach ist eng mit der Geschichte Martin Luthers verbunden - kein Wunder, dass es hier im Lutherjahr 2017 auch eine der Nationalen Sonderausstellungen zu sehen gibt.
Die Wartburg in Eisenach ist eng mit der Geschichte Martin Luthers verbunden - kein Wunder, dass es hier im Lutherjahr 2017 auch eine der Nationalen Sonderausstellungen zu sehen gibt. © dpa
Wanderer an der Wartburg: Touristen können die Wirkungsstätten des Reformators auch auf dem mehr als 1000 Kilometer langen Lutherwanderweg erkunden.
Wanderer an der Wartburg: Touristen können die Wirkungsstätten des Reformators auch auf dem mehr als 1000 Kilometer langen Lutherwanderweg erkunden. © dpa
Aus der Kammer in die Welt: In der Lutherstube der Wartburg übersetzte der Theologe und Reformator die Bibel ins Deutsche.
Aus der Kammer in die Welt: In der Lutherstube der Wartburg übersetzte der Theologe und Reformator die Bibel ins Deutsche. © dpa
Ein Zentrum des Luthersjahrs: In Wittenberg und anderswo gibt es 2017 zahlreiche Ausstellungen und andere Events.
Ein Zentrum des Luthersjahrs: In Wittenberg und anderswo gibt es 2017 zahlreiche Ausstellungen und andere Events. © dpa
"95 Menschen - 95 Schätze": Unter diesem Namen zeigt das Lutherhaus Wittenberg 2017 eine Ausstellung zu Martin Luther und seinen Zeitgenossen. © dpa
Eine Epoche zum Erleben: Der Künstler Yadegar Asisi versetzt Besucher im Ausstellungshaus Wittenberg 360 mitten in die Zeit der Reformation.
Eine Epoche zum Erleben: Der Künstler Yadegar Asisi versetzt Besucher im Ausstellungshaus Wittenberg 360 mitten in die Zeit der Reformation. © dpa
Das Lutherhaus in Eisenach: In diesem Fachwerkgebäude lebte Martin Luther während seiner Schulzeit.
Das Lutherhaus in Eisenach: In diesem Fachwerkgebäude lebte Martin Luther während seiner Schulzeit. © dpa
Wertvolle Exponate: In der Dauerausstellung im Lutherhaus Eisenach gibt es unter anderem zwei Bilder aus der Cranach-Werkstatt zu sehen.
Wertvolle Exponate: In der Dauerausstellung im Lutherhaus Eisenach gibt es unter anderem zwei Bilder aus der Cranach-Werkstatt zu sehen. © dpa
An der Schlosskirche in Wittenberg sind die berühmten Thesen des Reformators verewigt, die er hier 1517 angeschlagen haben soll.
An der Schlosskirche in Wittenberg sind die berühmten Thesen des Reformators verewigt, die er hier 1517 angeschlagen haben soll. © dpa
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Martin Luthers Botschaft ist in Westfalen um das Jahr 1530 „spürbar“ angekommen, sagt Küster. Damals wurde die Kritik an der Amtskirche auch hier in der Region immer lauter, wie historische Quellen belegten.

„Mischcharakter“ in Westfalen

1545 sind die konfessionellen Unterschiede in der Region bereits deutlich erkennbar. Deutlich wird: Westfalen zeichnet sich Küster zufolge durch einen „Mischcharakter“ aus: in Südwestfalen zum Beispiel das kurkölnische Sauerland auf der einen Seite. Auf der anderen der reformkatholische Mittelweg in der Grafschaft Mark. (Die Grafschaft Wittgenstein ist zu diesem frühen Zeitpunkt katholisch eingezeichnet.)

Wer welchen Weg ging – „das hing davon ob, ob es einen starken Landesherren gab, der dem Bischof energisch entgegen getreten ist“, erklärt Thomas Küster. „In der Grafschaft Mark hat der Landesherr laviert“, erklärt er weiter. Zunächst Herzog Johann III., dann Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg. „Beide haben gezögert und keine klare Konfessionsentscheidung getroffen“, so Küster. Sie neigten zwar der katholischen Seite zu, ließen aber Elemente der Reformation zu. Den Laienkelch nennt Küster als Beispiel, also die Beteiligung der Gläubigen an der Ausgabe des Weines während des Gottesdienstes. Der Bischof habe darauf keinen Einfluss gehabt; die Herzöge hatten auch das landesherrliche Kirchenregiment.

Anders im kurkölnischen Sauerland, das zum Erzbistum Köln gehörte. Der Fürstbischof war hier nicht nur geistlicher, sondern zugleich auch weltlicher Herr. Zwar war dieser einem Reformationsversuch nicht abgeneigt, doch das Domkapitel drohte, ihm die Unterstützung zu entziehen. Der Versuch endete.

Die Folgen

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Hundert Jahre etwa habe es gedauert, bis sich eine stabile Konstellation in Westfalen etabliert hatte, berichtet Küster. Die Folgen dieser konfessionellen Mischregion seien in Südwestfalen bis heute spürbar. Die große Zahl von sozialen Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft in der Region – Krankenhäuser, Schulen – „ist eine Konsequenz davon“, ist Küster überzeugt. Man wollte im Wettbewerb um die Gläubigen schließlich besser dastehen als die konfessionelle Konkurrenz.

Die konfessionellen Unterschiede haben auch bis in die jüngere Vergangenheit noch den Alltag der Menschen sehr stark geprägt. Bis in die 60er Jahre hinein seien in Westfalen gemischt-konfessionelle Ehen „diskutiert“ worden und mancher Pfarrer habe sich geweigert, sie zu schließen, berichtet Christiane Cantauw von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen.

Unterschiede schwinden

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Doch die Unterschiede verblassen mit der Zeit zunehmend. Heute stellen sich auch Protestanten zu Weihnachten eine Krippe unter den Baum, nennt Christiane Cantauw als Beispiel. Heute kommt der Nikolaus auch zu evangelischen Kindern. Heute verschwinde bei jungen Menschen das Klischee, dass zum Beispiel die Karneval feiernden Katholiken sinnenfroher seien.

Migrationswellen in der Industrialisierung und nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch die so genannte „Gastarbeiterbewegung“ in den 60er und 70er Jahren und nun der Flüchtlingszuzug hätten die Milieus aufgelöst, bestätigt Thomas Küster. An die früheren Grenzen, sagt Cantauw, könne sich allenfalls die ältere Generation noch erinnern.

Auf Luthers Spuren

Auf der Wartburg übersetzte Martin Luther getarnt als Junker Jörg das Neue Testament. Im Jubiläumsjahr kommen jetzt besonders viele Besucher.
Auf der Wartburg übersetzte Martin Luther getarnt als Junker Jörg das Neue Testament. Im Jubiläumsjahr kommen jetzt besonders viele Besucher. © dpa
Porträt des Reformators: Aus dem Lutherhaus in Wittenberg stammt dieses Cranach-Bild von Martin Luther.
Porträt des Reformators: Aus dem Lutherhaus in Wittenberg stammt dieses Cranach-Bild von Martin Luther. © dpa
Die Stube in Luthers Geburtshaus in Eisleben ist so eingerichtet wie damals, aber das ganze Haus ist nicht original.
Die Stube in Luthers Geburtshaus in Eisleben ist so eingerichtet wie damals, aber das ganze Haus ist nicht original. © dpa
Die Lutherstube im Lutherhaus in Wittenberg ist mit originalem Interieur des 16. Jahrhunderts eingerichtet.
Die Lutherstube im Lutherhaus in Wittenberg ist mit originalem Interieur des 16. Jahrhunderts eingerichtet. © dpa
Lange Zeit galt es als unwahrscheinlich, dass Luther seine 95 Thesen wirklich an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg anschlug. Heute geht man jedoch davon aus, dass die Geschichte stimmt.
Lange Zeit galt es als unwahrscheinlich, dass Luther seine 95 Thesen wirklich an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg anschlug. Heute geht man jedoch davon aus, dass die Geschichte stimmt. © dpa
Wo Luther Geschichte schrieb: An die Tür der Schlosskirche von Wittenberg schlug der Reformator seine 95 Thesen an.
Wo Luther Geschichte schrieb: An die Tür der Schlosskirche von Wittenberg schlug der Reformator seine 95 Thesen an. © dpa
In dieser Stube auf der Wartburg arbeitet Luther an seiner Übersetzung des Neuen Testaments.
In dieser Stube auf der Wartburg arbeitet Luther an seiner Übersetzung des Neuen Testaments. © dpa
In der Schlosskirche von Wittenberg liegt Martin Luther begraben. Er starb am 18. Februar 1546.
In der Schlosskirche von Wittenberg liegt Martin Luther begraben. Er starb am 18. Februar 1546. © dpa
Blick in das Schlafzimmer in Luthers Sterbehaus. Wahrscheinlich starb der Reformator jedoch in einem anderen Gebäude in Eisleben.
Blick in das Schlafzimmer in Luthers Sterbehaus. Wahrscheinlich starb der Reformator jedoch in einem anderen Gebäude in Eisleben. © dpa
Original erhalten: Auf der Kanzel in der St.-Andreaskirche hielt Luther am 14. Februar 1546 seine letzte Predigt.
Original erhalten: Auf der Kanzel in der St.-Andreaskirche hielt Luther am 14. Februar 1546 seine letzte Predigt. © dpa
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