Siegen. . Die Software eines Siegener Forschungsprojekts soll die Emotionen des Lernenden erkennen und das Programm individuell anpassen.

  • Versandweg eines Paketes wird an der Uni Siegen mit einer Datenbrille nachgestellt
  • Schulung von Managementkompetenzen ist ein weiteres Ziel
  • Digitales Lernspiel bewirke mehr als eine Broschüre oder ein Video

Ich öffne eine Tür. Dahinter ein Raum mit einem Tresen. Hinter dem steht ein Mann, der mich nach rechts dirigiert. Da liegt ein Paket. Ich stelle es auf den Platz, den der Mann mir anweist. Ich schaue mich um, entdecke links Büroutensilien, packe einen Tacker und schleudere ihn von mir. Er landet unter einem Sofa. Ich will ihn aufheben, aber dann verschwindet der ganze Raum und ich stehe wieder in einem weitgehend leeren Büro der Uni Siegen und habe eine Datenbrille auf dem Kopf. Ich habe den Show Case getestet, den ersten Entwurf, mit dem die Hochschulforscher Lernen in der virtuellen Realität gestalten wollen.

Die studentische Mitarbeiterin Anna Schwarze führt das System vor. Was sie sieht, sehen wir im Bild ganz oben.
Die studentische Mitarbeiterin Anna Schwarze führt das System vor. Was sie sieht, sehen wir im Bild ganz oben. © Ralf Rottmann

„Entwicklung eines interaktiven und emotionssensitiven Lernsystems zur Kompetenzerhaltung im Bereich des Geschäftsprozessmanagements“ heißt das Projekt, das sich ELISE abkürzt und das Koordinator Henrik Kampling für Laien verständlicher in Worte fasst: „Wir möchten den Weg eines Pakets vom Postzentrum über verschiedene Stationen bis zum Empfänger nachstellen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schulen“, sagt er. Aber das ist nur eine von vielen Möglichkeiten: „Eine Hotelkette könnte ein neues Zimmermädchen mit der Brille üben lassen. Dann muss nicht jemand daneben stehen und ihr alles zeigen.“

Ein Konto eröffnen

Ein weiteres Ziel ist die Schulung von Geschäftsprozess-Managementkompetenzen im Bereich der beruflichen und der Hochschulbildung. Zukünftige Prozessmanager können Prozesse modellieren, wie z.B. den Ablauf einer Kontoeröffnung mit speziellen Kundenwünschen bei einer Bank. Wichtig ist hierbei zu berücksichtigen: Welche Daten brauche ich im jeweiligen Schritt? Welche Abläufe sind Standard, welche weichen davon ab? „Das ist interessant für personalintensive Ausbildungsschritte und für die Weiterbildung“, erklärt Kampling. Er könnte sich Weiterentwicklungen vorstellen, in denen hinterlegt ist, wieviel Zeit und somit Geld ein Prozess kostet.

Davor aber sollen andere Fragen geklärt werden: Was müssen Programme leisten, um von den Nutzern akzeptiert zu werden? Wie lässt sich ein Lernprozess möglichst erfolgreich gestalten? Henrik Kampling ist sich sicher, dass ein digitales Lernspiel normalerweise mehr bewirkt als eine Broschüre oder ein Video: „Durch die Verkörperlichung und Interaktion lassen sich Inhalte besser behalten. Das haben erste Versuche gezeigt.“

Doch die Siegener wollen mehr. Dafür steht im Titel das Wort „emotionssensitiv“: Über Körpersignale wie Hautwiderstand, Puls oder Augenbewegungen soll das Programm Langeweile, Frustration oder Verwirrung zunächst erkennen, um sodann darauf einzugehen und das Lernkonzept individuell anzupassen. „Dazu laufen jetzt Studien“, erklärt Kampling, „bei denen wir beispielsweise beobachten, wie ein Proband reagiert, der beim Kartenspiel nie gewinnt.“ Der Zusammenhang mit Spielen ist auch in anderer Hinsicht wichtig: „Zur Motivation könnte es beitragen, wenn wir die Prozesse mit Scores hinterlegen, also einen Wettbewerbscharakter schaffen.“

Forschung über drei Jahre

Das sind anspruchsvolle Ziele. Der Projektkoordinator bekennt: „Im Rahmen der drei jährigen Projektdauer können wir wohl nur einen Demonstrator entwickeln, der alle Funktionen vereint.“

Die Forscher beschäftigen sich auch mit den Folgen: Will jeder seiner Emotionen preisgeben? Wenn offensichtlich wird, wie schnell oder langsam jemand lernt, wenn direkte Vergleiche zwischen Kollegen möglich sind, wie reagiert der Arbeitgeber? „Das müssen wir abklären“, betont Henrik Kampling und ergänzt: „Wir wollen keine Menschen ersetzen, sondern ein Assistenzsystem schaffen.“