Siegen. . Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Siegen kritisierte bei der Jahresveranstaltung schamloses Verhalten des VW-Managements.
Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Siegen, Felix G. Hensel, äußerte sich bei der Jahresveranstaltung in der Siegerlandhalle vor rund 1600 Gästen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, darunter als Gastrednerin Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, höchst besorgt hinsichtlich des Wirtschaftsklimas.
VW schlechtes Beispiel für die Wirtschaft
Hensel zielte dabei keineswegs allein auf internationale Entwicklungen mit Trump, Türkei und Brexit ab, sondern auf Fehlentwicklungen in der deutschen Wirtschaft. Der Präsident kritisierte das Management des Volkswagenkonzerns scharf: „Wer es wie VW am Fingerspitzengefühl für Recht und Gesetz mangeln lässt, ist ein schlechtes Beispiel für die Wirtschaft.“
Wähler entscheiden nicht immer rational
Straftaten zu begehen, die damit verbundenen Milliardenverluste zu Lasten der Beschäftigten, Zulieferer und Kunden zu konsolidieren und in einer solchen Lage dann auf Bonuszahlungen in zweistelliger Millionenhöhe zu pochen, trage zu einer Missstimmung im Land bei, die letztlich der gesamten Wirtschaft schade, nicht zuletzt mit Blick auf die Wahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai und im Bund im September dieses Jahres. „Wähler entscheiden nicht immer so rational, wie wir uns das wünschen. Dadurch wird die Lage für unsere Unternehmen nicht einfacher“, mahnte Hensel. Verteidigungsministerin von der Leyen sprang Hensel bei seiner Kritik an Maßlosigkeit von Managern zur Seite. „.Es braucht nicht unbedingt Millionengehälter im Vorstand, um gute Arbeit zu leisten“, erklärte von der Leyen am Beispiel der Bundeswehr. Die sei ein großartiges Logistikunternehmen, bewege viermal soviel Tonnage wie VW - aber selbst ein Bundesministergehalt ist im Vergleich zu einem Dax-Vorstandssalär höchst überschaubar.
NRW wächst in Südwestfalen
Hensels besorgter Blick gilt aber in erster Linie der Region. In NRW und auch in Südwestfalen gehe es keineswegs allen Betrieben gut. „Nordrhein-Westfalen hat es vermutlich erneut nicht geschafft, mit Wachstum das Jahr 2016 zu beschließen“, traut der IHK- Präsident dem Ergebnis der ersten Vorjahreshälfte offenbar kein bisschen. Wie in der Vorwoche bekannt wurde, bedeuteten 2,1 Prozent Wachstum immerhin den Sprung vom letzten auf den 8. Platz im Bundesländervergleich. Dass am Ende für 2016 erneut ein Nullwachstum wie im Jahr 2015 zu Buche stehen wird, scheint eher unwahrscheinlich zu sein.
Einige Branchen haben schwer zu kämpfen
Dennoch: Im Vergleich zum Wachstum im Bundesdurchschnitt, der für 2016 aktuell mit plus 1,9 Prozent und beim Industrieumsatz sogar mit plus 3,5 Prozent beziffert wird, sieht Hensel im Bereich Verarbeitendes Gewerbe ein Minus von 1,1 Prozent für NRW. Die Industrie im Kammerbezirk habe immerhin ein leichtes Wachstum von 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnet, im Kreis Olpe sogar 1,9 Prozent. „Diese Daten zeigen, wo NRW überhaupt noch wächst“, erklärte Hensel. Allerdings nicht in allen Branchen: Vor allem im „Kernraum Siegen haben insbesondere die Walzen- und Röhrenindustrie sowie die Stahlerzeugung und -verarbeitung schwer zu kämpfen“. Sie hätten nach Erkenntnissen der Kammer 2016 im Vergleich zum Vorjahr zweistellige Umsatzverluste zu verzeichnen gehabt.
Achtung Akademisierungsfalle
Felix Hensel brach noch einmal eine Lanze der Vernunft für die duale Ausbildung. Seiner Ansicht nach sind junge Leute und deren Eltern in Südwestfalen gut beraten, nicht in die Akademisierungsfalle zu tappen. „Im IHK-Bezirk werden nur zehn Prozent der zukünftigen Stellen für Fachkräfte mit einem akademischen Abschluss nachgefragt.“ Demgegenüber würden weit mehr als die Hälfte eines Schulabgängerjahrgangs in Deutschland ein Hochschulstudium beginnen - und jeder Fünfte dabei auf der Strecke bleiben, also keinen Abschluss erzielen.
Wirtschaft, überlasteten Hochschulen und vermutlich auch vielen Jugendlichen selbst wäre geholfen, wenn sich wieder mehr Schulabgänger für eine berufliche Ausbildung entschieden, glaubt Hensel.
„Wirtschaftsflüchtlinge müssen zurück“
Verteidigungsministerin von der Leyen zeichnete beim IHK-Empfang in Siegen ein interessantes Bild von der Bundeswehr als großem Arbeitgeber und Ausbilder, bei dem täglich 25 000 Menschen qualifiziert werden. Natürlich beschreibt sie Nebeneffekte, die sich aus der Kernaufgabe ergeben. Dass Deutschland bereit sei, mehr Verantwortung zu übernehmen und in die Krisengebiete dieser Erde zu gehen, ist seit 2014 klar formuliert. 2015 wurde noch klarer, dass „Krisen und Konflikte zu uns kommen“, so von der Leyen. Dies dürfe sich in dieser Form nicht wiederholen, betonte sie mit Blick auf Verunsicherung in der Bevölkerung - und wohl auch auf die daraus resultierenden Folgen für die Parteienarithmetik. „Auch unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Wirtschaftsflüchtlinge müssen zurück in ihre Heimat“, heißt es nun sehr klar. Und: „Wir müssen in Afrika investieren, um die Länder zu stabilisieren, und damit die Menschen dort bleiben.“