Siegen. . Martin Herchenröder ist Organist, Komponist und Musikprofessor in Siegen. Er begeistert das Publikum für zeitgenössische Klänge.
Wenn Martin Herchenröder ruft, kommt das Publikum. „Ich spiele neue Orgelmusik in der Nikolaikirche und habe nicht selten über 100 Zuhörer. Bei einem klassischen Orgelkonzert kommen bisweilen nur 30 Leute“, konstatiert der Komponist und Organist. Und das, wo die Besucher doch sonst schneller weglaufen, als man „atonal“ buchstabieren kann. Martin Herchenröder steht mit seinem Engagement für ein kleines Wunder, das Wunder von Siegen. An der dortigen Universität ist er Professor für Musiktheorie, bildet Lehrer aus und hat die Stadtgemeinschaft auf den Geschmack an ungewöhnlichen Tönen gebracht.
Die neue Musik stärken
„Man muss die Ohren öffnen“, so beschreibt der 56-Jährige seine Vision und ergänzt: „Ich bin nicht der Typ dafür, dass wir uns heute hier weiterhin in f-Moll befinden.“ Das war ein riskanter Ansatz für einen jungen Professor an einer jungen Universität, damals mitten in der deutschen Provinz. „1994 wurde ich Professor für Musiktheorie in Siegen. Ich wollte die neue Musik stärken und habe gefragt: Wo ist denn hier die neue Musik? Es gab nichts!“
Also hat der gebürtige Iserlohner das Studio für neue Musik gegründet. „Das geht schief“, so lauteten die Warnungen. „Weit gefehlt, die Prognose war falsch“, erinnert sich Herchenröder. Doch wieso gelingt einem Musikprofessor, was so viele berühmte Dirigenten nicht schaffen: Dem Publikum die Angst vor neuen Tönen zu nehmen?
Auf Hörer zugehen
Vielleicht weiß Herchenröder, wie man auf Hörer zugeht, weil er nicht nur Forscher und Lehrer ist, sondern auch Musiker und Komponist. Als Organist ist er international unterwegs, und seine Werke werden in Europa und den USA gespielt. „Man muss grundsätzlich nur das Beste vom Besten machen“, davon ist er überzeugt. „Denn es ist nicht so, dass neue Musik nicht ankommt. Die Qualität der Darbietung ist entscheidend. Ich versuche, Interpreten zu holen, die extremen Anforderungen genügen. Das Arditti String Quartet, da musste ich drei Jahre für sparen.“ Das hat sich gelohnt, denn wenn Arditti auftritt, reisen Musikfreunde sogar aus Köln an, dann sitzen 350 Gäste im Apollo-Theater.
Martin Herchenröder hat aber auch früh gemerkt, dass er in Siegen den „Bildungshügel“ verlassen muss, auf dem die Universität residiert, und in die Stadt gehen muss, in die Kirchen und, seit es eröffnet ist, ins Apollo. „Wir machen richtig knackige Uraufführungen.“ Die großen Namen der zeitgenössischen Tonkunst sind in Siegen seither keine unbekannten Größen mehr. „Die Leute machen das mit, weil sie wissen, dass ich als Mensch dahinter stehe. Das Vertrauen, das man mir entgegenbringt, gilt der Musik, das darf man nicht enttäuschen.“
International gefragter Musiker
Der hoch angesehene Komponist und Organist weiß, wie es sich anfühlt, wenn ungewohnte Klänge mitten in der Provinz erblühen. Denn er kommt selber vom Dorf. Aufgewachsen ist Herchenröder im Hönnetal, der Vater war Grundschullehrer in Brockhausen.
„Bei uns gab es keine Musik. Dann habe ich das für mich entdeckt und Schulmusik studiert. In Köln habe ich mir dann nach ganz kurzer Zeit Kompositionslehrer gesucht.“ Einer von ihnen hieß Hans Werner Henze. Gotthard Gerber, damals Kantor an der Obersten Stadtkirche in Iserlohn, hat Herchenröder als Orgellehrer geprägt.
Aus tiefer Überzeugung
Kein Wunderkind, ein Spätentwickler, so beschreibt sich Herchenröder selber. Und dann wird dieser Spätentwickler 1986 mit dem Märkischen Stipendium ausgezeichnet. Das macht Mut. Der junge Sauerländer hat das tiefe Bedürfnis, die reiche Welt des modernen Komponierens kennenzulernen und sich anzuverwandeln. Seine künstlerische Handschrift wird dabei unverwechselbar. „Ich schreibe die Musik, die ich meine. Das ist Musik, die etwas anders ist als der europäische Mainstream.“
Inzwischen hat Martin Herchenröder die zeitgenössische Tonkunst in Südwestfalen fest etabliert, in den Köpfen seiner Studenten und beim Publikum. Dahinter steckt harte Arbeit. Und eine tiefe Überzeugung: „Was wir hier machen, trifft auf ein Bedürfnis.“
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