Hagen. . Bestseller-Autor Kai Meyer schreibt in seinem neuen Roman „Die Krone der Sterne“ über Raumkathedralen und Pilgerkorridore.
Es ist das Geburtsrecht der Literatur, Gegenwelten zu erfinden, um der Realität den Spiegel vorzuhalten. Viele Jahre lang sind die Autoren dafür in die Vergangenheit abgetaucht, ins Mittelalter, sei es historisch recherchiert oder phantastisch neu formuliert. Nun kommt die Zukunft zu ihrem Recht. Das eigentlich schon totgesagte Genre der Science-Fiction feiert als Space Fantasy Wiederauferstehung.
Hexen in der Raumkathedrale
Kai Meyer, der große deutsche Erzähler, reist mit „Die Krone der Sterne“ (Fischer/Tor, 14,99 €) in ein fernes Universum, das sich noch von verheerenden Sternenkriegen erholt. An die Stelle von Maschinen und Fortschrittsgeist sind religiöse, wissenschaftsfeindliche Fanatiker getreten, etwa die Gottkaiserin, deren Hexenorden aus gigantischen Raumkathedralen heraus herrscht.
Von der Star-Trek-Utopie des Aufbruchs in unendliche Weiten mit all ihren Geheimnissen und Erwartungen ist nicht viel geblieben, außer „Schlachtfeldern auf fernen Monden und halbverglühten Wracks auf vergessenen Umlaufbahnen“. Das All ist lebensfeindlich, seine Unendlichkeit bringt die kleinen Menschlein um den Verstand. Die junge Baronesse Iniza, der Soldat Glanis, die Alleshändlerin Shara und der Kopfgeldjäger Kranit werden zu unfreiwilligen Reisegefährten und müssen sich zwischen den Fronten durchwursteln. Alle suchen sie nach dem mysteriösen Pilgerkorridor, denn so weit die Galaxis auch reicht, ihre Glücksversprechen löst sie nicht ein. Die Erlösung wartet jenseits des Horizonts.
Das junge Autorinnen-Duo Amie Kaufman (Australien) und Meagan Spooner (USA) entwirft im ersten Band von „These Broken Stars“ (Carlsen, 19,99 €) das desillusionierte Bild einer Zukunftsgesellschaft, in der die Globalisierung den Weltraum fest im Griff hat, staatliche Regierungen Erfüllungsgehilfen von Konzernen sind und aufmüpfige Randplanetenbewohner von effektiven Militärs in Schach gehalten werden. Ausgerechnet Icarus hat man das größte und luxuriöseste Raumschiff der Geschichte getauft. An Bord treffen sich Lilac, das reichste Mädchen des Universums, und der Soldat Tarver, der trotz seiner Jugend schon als Kriegsheld gefeiert wird. Die Icarus stürzt natürlich ab. Lilac und Tarver müssen auf einem menschenleeren Himmelskörper lernen, zurechtzukommen, bevor sie ein erschütterndes Verbrechen entdecken.
Rapunzel im Satelliten
Die amerikanische Autorin Marissa Meyer übersetzt hingegen in den Luna-Chroniken (Carlsen) Grimms Märchen ins stellare Zeitalter. Die vier Romane spielen auf einer Erde, die nach langen Kriegen zur Ruhe kommen könnte, wären da nicht die Mondkönigin Levana und eine Seuche. Cinder (Aschenputtel) ist die beste Mechanikerin von Neu-Peking und ein Cyborg, also ein medizinisches Konstrukt aus Mensch und Maschine. Rotkäppchen heißt Scarlet und hat eine Großmutter mit einem gefährlichen Geheimnis. Cress (Rapunzel) wird auf einem Satelliten gefangen gehalten und ist eine begnadete Hackerin. Und Winter (Schneewittchen) versucht, sich gegen die psychischen Manipulationen zu wehren, mit denen ihre Stiefmutter Levana das Mondvolk in Schach hält.
Die Science-Fiction ist in ihrer Boomzeit nach den 1960er Jahren stark geprägt von der Faszination der Technik, ausgelöst durch die Mondlandung und die ersten Computer, aber auch von ethischen Themen, die im Zusammenhang mit der Atombombe und dem Kalten Krieg diskutiert werden.
Reiz des technischen Fortschritts ist erloschen
In der neuen Science-Fiction ist das Spektrum jedoch viel breiter. Der Reiz des technischen Fortschritts ist längst erloschen, schließlich hätte sich nicht einmal der visionärste Schriftsteller im Jahr 1960 das Smartphone oder das Internet vorstellen können. Jetzt steht der Mensch auf dem Prüfstand. Die Helden sind häufig versehrt und müssen sich angesichts der Unendlichkeit behaupten. Da kommen Werte wie Mut, Treue und Freundschaft ins Spiel.
Ein paar mechanische Hilfsgeister bewahren mit ihrem programmierten, oft unfreiwilligen Humor die Handlung vor allzu viel Pathos. Die mechanische Muse kann bei Kai Meyer sogar in einem Kampfroboter liebevolle Gefühle wecken. Wenn dann auch noch das Raumschiff, mit dem Meyers Helden ihre Odyssee antreten, Nachtwärts heißt und aussieht wie eine Mond-Spieluhr, gibt es Hoffnung auf Träume am Rande des Universums.
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