Münster/Hagen. Friedensaktivistin wollte mit ihrer aussichtslosen Klage die Öffentlichkeit erreichen - das ist ihr gelungen. Sie bedankt sich beim Richter.
- Das Ziel - Keine Steuern für den Verteidigungsetat - ist verfehlt
- Friedensaktivistin ist dennoch zufrieden
- Hagenerin hat Öffentlichkeit für ihr Anliegen erreicht
Sie hat immer brav ihre Steuern gezahlt, auch wenn sie nicht akzeptieren wollte, dass damit unter anderem der Verteidigungsetat der Bundesrepublik Deutschland bestückt wird. Eines Tages konnte sie diese Verwendung von Steuergeldern nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren und verlangte vom Finanzamt Hagen eine teilweise Erstattung für das Jahr 2013. Die Behörde lehnte eine solche Rückzahlung ab.
Gertrud Nehls klagte vor dem Finanzgericht Münster. Gestern traf man sich in dem Justizgebäude in der Münsteraner Innenstadt. Am Ende nahm die „Friedensstreiterin“, wie sich die 77 Jahre alte Hagenerin selbst nennt, nach dem Hinweis des Gerichts auf die geringen Erfolgsaussichten ihre Klage zurück. Und war trotzdem glücklich. „Ich konnte meine Argumentation ausführlich darstellen.“
Erinnerungen an Zweiten Weltkrieg
Die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die Jahre danach bestimmten bis heute ihr Leben, sagt Gertrud Nehls in Saal 403. Als Krankenschwester hat sie die Folgen schwerer Kriegsverletzungen unmittelbar mitbekommen. Sie engagierte sich bei der Menschenrechtsorganisation amnesty international und ist bis heute in der Flüchtlingshilfe und bei anderen gemeinnützigen Organisationen aktiv.
Friedens-Netzwerk wurde 1983 gegründet
Die Initiative „Netzwerk Friedenssteuer“ wurde 1983 gegründet. „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Steuer gezwungen werden“, ist der Leitgedanke.
Die gemeinnützige Initiative erhielt im Jahr 1993 den Aachener Friedenspreis.
Vorsitzender ist Wolfgang Steuer, Arzt aus Baden-Württemberg.
„Ich habe den Kriegsdienst verweigert“, sagt Wolfgang Steuer, „trotzdem werde ich lebenslang gezwungen, eine Institution zu unterstützen, die ich ablehne“.
Ein einschneidendes Erlebnis war eine Reise in den Irak im Jahr 2005. In Bagdad besuchte sie eine Leukämie-Station für Säuglinge und Kleinkinder, die unter den Folgen des Einsatzes von abgereichertem Uran (DU-Munition) im Irak-Krieg litten. In einem Bunker soll von den mehreren hundert Menschen, die dort Schutz vor den Angriffen gesucht hatten, nichts mehr übrig geblieben sein. An einer Stelle unter der Decke erblickte Gertrud Nehls den Abdruck eines Rückenwirbels. „Sonst nichts mehr.“ Schlagartig wurde ihr klar, dass der Einsatz von abgereichertem Uran im Krieg eine „Geißel der Menschheit“ ist, mit deren Folgen die kommenden Generationen noch leben müssen. „Ich habe Urenkel, an die ich denken muss. Für die mache ich das hier.“
Bundesgerichte haben entschieden
Thomas Venker vom Finanzamt Hagen hält die „emotionale Lage“ der Klägerin, so sagt er im Gericht, für nachvollziehbar. Der Vorsitzende Richter Christian Wolsztynski macht keinen Hehl daraus, dass er die persönlichen Motive für ihre Gewissensentscheidung für „ehrenhaft“ hält. „Ihr gemeinnütziges Engagement hat unseren Respekt verdient.“ Dennoch: „Die Rechtslage ist schon zigmal entschieden worden“, verweist Wolsztynski auf diverse Entscheidungen von Bundesfinanzhof und Bundesverfassungsgericht („die nehmen erst gar nicht mehr solche Verfahren an“). Tenor: Im System der Bundesrepublik Deutschland entscheidet das Parlament über die Verwendung von Steuergeldern und nicht der Einzelne. Dies stehe über dem Grundrecht der Gewissensfreiheit.
Gertrud Nehls steht in engem Kontakt zu der bundesweiten Initiative „Netzwerks Friedenssteuer“. Nach Angaben des Vorsitzenden Wolfgang Steuer haben seit den 80er Jahren mehr als 80 Privatpersonen vor Gerichten geklagt, weil sie eine Verwendung ihrer Steuergelder für den Verteidigungsetat ablehnen. „Alle Verfahren gingen negativ aus“, so Sauer. Dennoch seien sie wichtig. „So kommen unser Anliegen, unser Protest und unsere Form der modernen Kriegsdienstverweigerung in die Öffentlichkeit.“
Ein Dank an den Richter
Gertrud Nehls hat diese Öffentlichkeit am Freitag in Münster bekommen. „Ich habe mein Ziel erreicht“, sagt die Hagenerin, die ohne Rechtsbeistand erschienen ist, und bedankt sich bei Richter Wolsztynski für dessen „einfühlsame“ Verhandlungsführung. Dass sie ausführlich Gehör gefunden hat. Der Jurist wendet sich nach Einstellung des Verfahrens noch einmal an die 77-Jährige mit dem großen Herzen: „Bleiben Sie so aktiv, setzen Sie sich weiter selbstlos für gemeinnützige Dinge ein.“