Siegen. . Für Kleinkinder sind Smartphones ein interessanter Alltagsgegenstand. Die Uni Siegen beobachtet, wie sie in Familien genutzt werden.
- Kleinkinder sehen ihre Eltern ständig mit Smartphones hantieren. Das macht sie interessant
- Erziehungswissenschaftler der Uni Siegen beobachten den Umgang in zwölf Familien
- Jutta Wiesemann: Schulen wird es nicht gelingen, Smartphones auszusperren
Darf das Handy mit in den Unterricht? Ab welchem Alter sollten Schüler überhaupt ein Smartphone nutzen? Das sind Fragen, die derzeit öffentlich, kontrovers und begleitet von großen Emotionen diskutiert werden. Was man dabei leicht übersieht: Kinder sind bereits erheblich früher mit digitalen Medien konfrontiert. Schon Babys sehen ihre Eltern ständig mit dem Handy hantieren und greifen selbst danach. Mit welchen Folgen? Das ist Thema der Langzeitstudie „Frühe Kindheit und Smartphone“, das die Siegener Erziehungswissenschaftlerin Prof. Jutta Wiesemann leitet. Seit einem Jahr begleiten sie und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwölf Familien mit Babys in ihrem Medienalltag.
Was wollen Sie genau herausfinden?
Jutta Wiesemann: Wir schauen, was passiert. Wir haben sehr unterschiedliche Familien mit sehr verschiedenen Medienpraktiken ausgewählt, stark reflektierte u nd sorglose, Flüchtlings-, Patchwork- und traditionelle Familien. Aber fast alle jungen Eltern, sie sind Anfang 20 bis Mitte 30 und damit sogenannte digital natives, die sehr nachdenklich im Umgang mit Smartphones werden, wenn ein Kind ins Spiel kommt. Das liegt auch daran, dass der öffentliche Diskurs moralisch sehr aufgeladen ist.
Nach dem Motto: Tablets und Smartphones sind eine große Gefahr für Kinder?
Wiesemann: Genau. Die Warnung vor der digitalen Demenz ist in den Köpfen.
Und die ist nicht berechtigt?
Kleinkinder bedienen Touchscreens intuitiv
Knapp fünf Millionen Aufrufe hat ein Youtube-Video von 2011 mit einem Kleinkind, das versucht, Fotos in einer Zeitschrift mittels einer Fingerbewegung zu vergrößern. Laut einer US-Eltern-Befragung können die meisten Zweijährigen gezielt über Smartphones und Tablets wischen, den Bildschirm entsperren und nach unbekannten Eigenschaften des Touchscreens suchen. Das lernen sie intuitiv.
Repräsentative Untersuchungen zur Smartphone-Nutzung von Kleinkindern existieren nicht. Die meisten Studien setzen im Alter von sechs oder acht Jahren an.
Laut einer Forsa-Umfrage für den Hightech-Verband Bitcom nutzt ein Fünftel der Sechs- bis Siebenjährigen Smartphones. Bei den Zwölfjährigen sind es bereits 85 Prozent. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2014. Und zwischen 2013 und 2014 hat sich die Zahl der Smartphones in Kinderhand verdoppelt.
Wiesemann: Wir müssen die Risiken schon ernst nehmen. Aber ich sehe keine demente Gesellschaft auf uns zukommen. Die Intelligenz wird nic ht leiden. Doch das ist jetzt nicht Gegenstand unserer Forschung. Wir schauen, was Babys, und Kleinkinder mit dem Smartphone tun, wie sie spielen und Bilder wischen und den barrierefreien Zugang etwa über Siri nutzen. Es gibt ja auch anderes Spielzeug, das auf Sprache reagiert. Das ist für die Mehrzahl der Kinder Alltag und nichts Besonderes, nur uns erscheint es so. Das Smartphone ist für Kinder ein spannendes Familienobjekt, so wie das Telefon oder der Schlüsselbund, deshalb spielen sie gerne damit. Sie wollen verstehen wie es funktioniert und was die Erwachsenen dauernd damit machen.
Früher hatten Kinder Spielzeugtelefone...
Wiesemann: Die haben sie sicherlich immer noch. Der Unterschied ist jedoch gravierend: Imaginiere ich ein Telefongespräch oder führe ich tatsächlich ein Gespräch via Smartphone oder Skype. Jetzt haben Kinder funktionierende Geräte. Das heißt: Es ist eine Schranke gefallen zwischen der Kinder- und Erwachsenenwelt. Das bringt einiges durcheinander im Generationenverhältnis.
Mit welchen Folgen?
Wiesemann: Das ist eine spannende Frage. Beziehungen werden sich ändern. Sie ändern sich schon. Das beginnt in der Familie. Die Nutzung der Smartphones hat hier bereits vieles verändert. Wenn werdende Mütter Ultraschallbilder auf Facebook posten und Väter das Aufwachsen ihrer Kinder in sozialen Netzwerken dokumentieren, können wir beobachten, wie die Kinder bereits pränatal Teil der digitalen Medienwelt werden. Interessant ist, was in Zukunft diese Kinder dazu sagen werden. Die ersten haben ja bereits ihre Eltern deshalb verklagt.
Das kommt später. Und davor?
Wiesemann: Davor kommt beispielsweise die Kita, ein digitalfreier Raum. Wie lange bleibt der so? Und dann ist die Frage, wie die Schulen mit einer Kulturtechnik umgehen, die außerhalb der Schule erlernt wird. Es wird nicht gelingen, Smartphones auf Dauer auszusperren. Aber welche Folgen die Revolution in der Zugänglichkeit und Erweiterung des Wissens haben wird, ist noch völlig unklar. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir uns jetzt in den Familien und in den Kinderzimmern umschauen.