Meschede. . Die deutsche Energiewende ist ehrgeizig, aber die Ziele der Klimaschutzkonferenz von Paris werden so nicht erreicht. Ein Interview.
- Mescheder Energie-Technik-Professor über die deutschen Maßnahmen
- Privathaushalte finanzieren sinkende Preise für die stromintensive Industrie mit
- Bei Speichertechniken wird noch viel passieren
Ist die deutsche Energiewende ein brauchbares Modell zur Umsetzung des Klimaschutzabkommens von Paris? Diese umfassende Frage hat sich Wolfgang Wiest, Professor für thermische Energietechnik an der Fachhochschule Südwestfalen in Meschede, für seinen Vortrag beim Mescheder Hochschulreferat am Mittwoch, 11. Januar um 18 Uhr im Hörsaal 1.1.2. an der Lindenstraße 53 vorgenommen. Wir haben vorher schon ein paar Details erfragt.
Ist der Atomausstieg in Bezug auf die CO2-Emissionen nicht kontraproduktiv?
Wolfgang Wiest: Kernkraft ist keine Lösung. Sie deckt weltweit gerade viereinhalb Prozent des Primärenergiebedarfs, in Deutschland liegen wir bei sieben Prozent. Um Kohle, Öl und Gas zu ersetzen, müssten wir so viele Kernkraftwerke bauen, dass das Uranangebot nicht reichen würde, von der gesellschaftlichen Akzeptanz ganz zu schweigen. Außerdem ist Kernkraft viel zu teuer.
Ziel ist, den Temperaturanstieg unter 2° C zu halten
Auf der Pariser Klimaschutzkonferenz im Dezember 2015 haben sich 195 Länder erstmals auf ein allgemeines, rechtsverbindliches weltweites Klimaschutzübereinkommen geeinigt. Das langfristige Ziel ist es, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2° C gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen.
Vor und während der Pariser Konferenz haben die Länder umfassende nationale Klimaschutzpläne vorgelegt. Diese reichen zwar noch nicht aus, um den weltweiten Temperaturanstieg auf unter 2 °C zu begrenzen, doch das Übereinkommen zeichnet den Weg zur Erreichung dieses Ziels vor.
Die Staaten werden alle fünf Jahre gemeinsam strengere Ziele festlegen, wenn sich dies nach wissenschaftlichen Erkenntnissen als erforderlich erweist.
Also weiter Richtung Sonne, Wind, Wasser und Biomasse?
Natürlich. Es gibt einen menschengemachten Klimaeffekt, und der ist zu 85 Prozent energiebedingt. Das heißt: Klimaschutz ist notwendig. Wir haben mit der Erde nur einen Versuch. Zu klären ist nur: Was ist der richtige Energiemix? Was kostet das und wer bezahlt das?
Und?
Da müssen wir zunächst überlegen, was der Klimawandel kostet. Je nach Eintrittszeitpunkt der Probleme und zugrunde gelegtem Diskontsatz kommen wir zu Kosten zwischen 40 und 390 Euro pro Tonne CO2. Das Umweltbundesamt rechnet mit einem mittleren Wert von 80 Euro pro Tonne. CO2-Zertifikate für die Industrie werden derzeit mit 6 bis 7 Euro gehandelt. Das grundsätzlich sinnvolle System funktioniert also nicht.
Und das EEG?
Das ist der andere Ansatz: Technologieförderung. Da hat es Blüten der Überförderung gegeben bei der Solarenergie und beim Biogas. Aber das ist systemimmanent, weil sich die Kostenentwicklung nicht präzise vorhersagen lässt. Da muss immer nachjustiert werden.
Im Grundsatz funktioniert das System aber?
23 Milliarden aus der EEG-Umlage sind schon eine Menge Geld. Durch die extreme Lobbyarbeit im Umfeld haben wir eine merkwürdige Verteilung der Kosten. Die Privathaushalte finanzieren die sinkenden Preise für die stromintensive Industrie mit. Gerecht ist das nicht und die Anreizfunktion geht dort verloren.
Aber die erneuerbaren Energien wachsen wie beabsichtigt?
Beim Strom liegen wir bei 33 Prozent, bei der gesamten Primärenergie bei 13 Prozent, und wir müssen mindestens auf 80.
Ist das zu schaffen?
Wir müssen noch stärker an der Effizienz arbeiten und dürfen nicht in die Rebound-Falle gehen. Das heißt: Wenn der Fernseher weniger Strom verbraucht, kaufen wir einen größeren.
Können wir noch ganz neue Energieformen entdecken?
Die Potenziale für die Erneuerbaren sind ziemlich klar. Bei den Speichertechniken dürfte aber noch viel passieren. Das ist auch nötig. Langfristig brauchen wir Speicher, die uns für zwei bis drei Wochen versorgen können. Das wäre durch die Umwandlung von Strom in Gas möglich, aber das ist derzeit noch zu teuer.
Was ist mit den Elektroautos?
Wenn wir 40 Millionen Elektroautos mit 150 km Reichweite haben und deren Batterien zur Hälfte nutzen, haben wir eine Kapazität von 0,4 Terawattstunden. Das reicht gerade für sechs Stunden Stromverbrauch in Deutschland.
Ihre Gesamtbilanz der Energiewende?
Die Grundrichtung stimmt, aber es läuft viel zu langsam und wir müssen Verkehr und Wärme einbeziehen. Wir werden die selbstgesteckten Ziele nicht erreichen.