Winterberg. . Seit 102 Tagen ist René Spies Bob-Chefbundestrainer. Im Interview zieht der Winterberger eine erste Bilanz und sagt, warum er kein Einzelkämpfer sein möchte.
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- René Spies zieht nach den ersten 102 Tagen im Amt des Chefbundestrainers der deutschen Bobs eine erste Zwischenbilanz
- Der Winterberger kündigt an, am Anfang der Saison ausgiebig das zuletzt viel diskutierte Material zu testen
- Der 43-Jährige glaubt, dass die deutschen Teams auch auf der ungeliebten Bahn in Sotschi um WM-Medaillen mitfahren können
René Spies gibt die Richtung vor. Selbst bei der Wahl des Sitzplatzes im Kraftraum des Olympiastützpunktes in Winterberg. „Wenn ich mich hierhin setze“, erklärt der 43-Jährige allerdings freundlich grinsend, „habe ich die Geräte im Blick und kann die Jungs und Mädels notfalls korrigieren.“
Spies überlässt nichts dem Zufall. Im Hochsauerland nicht, und in Deutschland ebenso wenig. Seit mittlerweile 102 Tagen ist der Winterberger Chefbundestrainer der deutschen Bobs. Zeit für eine Start-Bilanz.
Herr Spies, allgemein gefragt: Wie waren die ersten Wochen und Monate als Chefbundestrainer? René Spies: Vor allem liegen einige Wochen hinter mir, in denen ich sehr viel gefahren bin. Ich habe das mal Revue passieren lassen: Im Schnitt bin ich 300 Kilometer pro Tag unterwegs gewesen. Es standen halt viele Gespräche und Sitzungen an, die für mich teilweise auch Neuland waren. Ich war zum Beispiel beim DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund; d. Red.) und bei der FES (Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten; d. Red.). Aber ich glaube, dass ich mich ganz gut eingearbeitet habe – und es hat eigentlich alles auch Spaß gemacht.
Worum ging es in diesen Gesprächen? In diesen Gesprächen kann man schon einige Hebel schalten, auch richtungsweisend schalten. Ich habe außerdem dargestellt, wie ich mir unsere zukünftige Arbeit vorstelle, ohne die Linie der vergangenen Jahre komplett zu verlassen. Das wäre zwei Jahre vor den Olympischen Spielen auch töricht.
An welchen Hebeln schalten Sie denn konkret? Nehmen wir das Beispiel Material. Das war ja ein Thema, das uns seit den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi sehr beschäftigt hat. Wir kaufen jetzt vier Wallner-Zweierbobs, um die Sicherheit zu haben, neben dem FES-Zweierbob auf eine alternative Variante zurückgreifen zu können.
Sie handeln beim Material also nach dem Motto Konkurrenz belebt das Geschäft?
Genau. Es wird eine Testphase am Anfang der Saison geben, in der wir die beiden Modelle ausgiebig gegeneinander testen und versuchen, sie auch weiterzuentwickeln. Wir haben mit der FES über Matthias Höpfner einen Fahrplan entwickelt, damit wir auch im Zweierbob weitere Schritte nach vorne machen. Zum Beispiel wird uns während der Saison erstmals ein Ingenieur der FES dauerhaft begleiten, um direkt mit den Athleten zu sprechen und das Material weiter zu entwickeln.
Das hört sich nach schwierigen, aber gut ausgegangenen Gesprächen an, besonders vor dem Hintergrund des teilweise angespannten Verhältnisses zwischen der sportlichen Leitung und der FES in den vergangenen Jahren. Natürlich sind das manchmal schwierige Gespräche. Wichtig ist jedoch, dass sie am Ende für alle erfolgreich gewesen sind. Es gibt aber auch solche, in denen du sofort Beifall erntest, weil du etwas einforderst oder umsetzen möchtest, über das bereits seit Jahren geredet wurde.
Nämlich? Wir haben die Anschubtests auf dem Eis in Oberhof immer mit einem relativ schweren Gerät gemacht und leichtere Athleten fühlten sich benachteiligt. Jetzt haben wir einen Bob mit 95 Kilogramm, also 40 Kilogramm weniger, gebaut. Damit machen wir einen Test für alle, um zu sehen, ob das wirklich so war.
Treffen Sie solche Entscheidungen alleine? Ich treffe die Entscheidungen nie alleine. Wir besprechen alle Ideen in einer Art Kompetenzteam und anschließend entscheiden wir gemeinsam - manchmal entscheide ich auch alleine. (grinst) Wenn keine einheitliche Meinung entsteht, habe ich natürlich das letzte Wort.
Das ist das gute Recht des Chefbundestrainers, oder? Klar, aber am Ende müssen wir einen gemeinsamen Weg gehen. Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Dass alle informiert sind, ist die Mindestvoraussetzung. Alleingänge hat es in der Vergangenheit nicht gegeben und es wird sie auch in Zukunft nicht geben.
Sie sagten, dass Sie die Stützpunkte besucht hätten. Welchen Eindruck haben Sie gewonnen. Funktioniert das System oder gibt es Probleme? Es gibt immer Probleme, aber sie sind nicht unlösbar. Ich rede sowieso ungerne von Problemen. Für mich sind das Herausforderungen, die zu bewältigen sind. Der eine hat nicht ausreichende Trainingsstätten, dem anderen fehlt eine ausreichende Trainerstruktur. Der dritte hat keine gut funktionierenden Vereine. Es war interessant, alles so mitzubekommen. Sonst sieht man nur den Stützpunkt, an dem man arbeitet.
Welche Herausforderung gilt es in Winterberg zu bewältigen? Wir werden umstrukturieren müssen in den nächsten zwei Jahren. Da ich als Chef-Bundestrainer sehr, sehr viel unterwegs bin, leidet die Trainingsarbeit. Das müssen wir ab 2018 ändern.
Warum erst nach den Olympischen Spielen? Weil wir bis Olympia keine neuen Ressourcen haben werden. Nach Olympia muss auf jeden Fall eine neue Stelle geschaffen werden, um das Niveau zu halten. Da nicht mehr Geld in die Sportart strömen wird, müssen wir im BSD intern umstrukturieren und Trainerstellen von einem Stützpunkt zum anderen umschichten. Das ist auch möglich. Die Pläne haben wir schon im Kopf.
Wie sehen denn die sportlichen Pläne für die kommende Saison aus? Bei den Männern wird die jetzige Mannschaft gesetzt, da Maximilian Arndt seine Karriere beendet hat und mit Francesco Friedrich, Nico Walther und Johannes Lochner nur noch drei Teams aus der vergangenen Weltcup-Saison da sind. Es gibt in diesem Jahr keine Selektion, was für die Drucksituation nicht so gut ist. Aber: Dadurch können wir Material testen. Wir haben einfach mal die Ruhe, vier Wochen Material zu testen.
Wie sieht die Situation bei den Frauen aus? Bei den Frauen haben wir eine sehr, sehr offene Selektion. Anja Schneiderheinze wird wahrscheinlich mit in das Testprogramm gehen und Material testen. Die restlichen zwei Plätze sind offen. Alle jungen Pilotinnen fahren mit dem gleichen Bob und den gleichen Kufen - und wir schauen, wer sich durchsetzt. Das ist eine ziemlich große Wundertüte, weil viele in Frage kommen.
Auch Pilotinnen vom Stützpunkt in Winterberg? Kim Kalicki und Anna Köhler sind zumindest nicht weit entfernt.
In Sotschi gab es das medaillenlose Olympia-Debakel. In Sotschi wird in dieser Saison die WM ausgefahren. Bei Amtsantritt hatten Sie deshalb ein flaues Gefühl im Magen. Hat sich das gelegt? Wir werden sehen, wie weit wir mit der Materialentwicklung kommen. Im Vierer sind wir mit den FES-Bobs sehr gut aufgestellt, da können wir schon um eine Medaille kämpfen. Im Zweier müssen wir die Saison abwarten. Es ist aber nicht so, dass wir eine riesige Angst vor Sotschi hätten. Wir gehen offensiv in die Saison und möchten immer um Medaillen mitfahren.
Sie haben Ihre Entscheidung, vom Bundestrainer zum Chef-Bundestrainer aufzusteigen, offensichtlich noch nicht bereut, oder? (lacht) Nein. Ich habe sie nicht bereut. Aber die Auswertung, ob es die richtige Entscheidung war, bekomme ich erst bei den Olympischen Spielen. (schmunzelt)