Essen/Hagen. Der Hagener Regisseur Jan Philipp Gloger inszeniert in Essen Rossinis „Barbier von Sevilla“. Warum lachen wir in diesem Stück? Das soll ein Probenbesuch klären
- Der Hagener Regisseur Jan Philipp Gloger inszeniert Rossinis Barbier von Sevilla in Essen
- Gloger gehört zu den gefragtesten jungen Opernregisseuren in Europa
- im Barbiere kommt es auf taktgenaue Komik an
Nein, der moderne Musikgeschmack ist nichts für Bartolo, den kulturbeflissenen Arzt. Allerdings will er keinesfalls seine angebetete Rosina mit dem vermeintlichen Gesangslehrer alleine lassen, der mit seinem Umhängekeyboard Testosteron versprüht. Doch vor lauter Langweile schläft der Doktor beim Zuhören ein, und das heimliche Liebespaar kann zur Sache kommen. Diese Szene ist ein Schlüssel zu Rossinis „Il barbiere di Siviglia“. Der Hagener Regisseur Jan Philipp Gloger inszeniert den Klassiker jetzt im Essener Aalto-Theater. Wir haben die Generalprobe besucht. Denn wir wollen erforschen, ob und wie die Mechanik der Komödie heute funktioniert, obwohl die Oper im Zusammenspiel von Musik und Gesang, Personenführung und Raumarchitektur ein eher langsames Medium ist.
Ungeheuer auf den Punkt
„Nicht bei Rossini!“, antwortet Jan Philipp Gloger auf diese These. „Rossinis ,Barbiere’ ist ungeheuer auf den Punkt, und es gibt ewige Gesetze der Komik, die man nur ein bisschen wachküssen und übersetzen muss auf Figuren, die etwas mit uns zu tun haben.“ Bereits mit 30 Jahren hat Gloger in Bayreuth Wagners „Fliegenden Holländer“ inszeniert. Das war 2012. Mittlerweile ist er einer der gefragtesten europäischen Regisseure.
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Bartolo (Baurzhan Anderzhanov) ist in Essen, anders als im Libretto, kein alter Mann. Aber er trägt eine beige Polyesterhose zu einem hautfarbenen Rollkragenpullover. Das Kostüm verrät ihn sofort: Der Typ war immer Klassenbester. Er hat Geld, aber keinen Geschmack und weiß vor allem nicht, wie er sich Frauen nähern soll, wie er Beziehungen aufbauen soll, die nicht als Arzt-Patient, Arbeitgeber-Angestellter oder Kunde-Dienstleister definiert sind. Warum lachen wir denn über diesen Charakter? Weil Bartolo sich so ungeschickt anstellt. Und weil wir wissen, was er nicht weiß: Dass er keine Chance hat gegen die vereinigte Intriganz von Figaro, dem Friseur, der das Spektakel von Anfang bis Ende dirigiert, dem Grafen Almaviva in seinen Verkleidungen und Rosina (Karin Strobos) selbst. Die stöckelt als blonde Männerphantasie mit roter Geschenkschleife über die Bühne und singt: „Ich lasse mich lenken und leiten.“ Das ist gelogen.
Bei Rossini funktioniert die Komik über den Kontrast zwischen Hagestolz auf Freiersfüßen und lebenspraller Frau. Diese Konstellation differenziert Gloger. „Alt muss Bartolo überhaupt nicht sein. Es wird sogar spannend, wenn seine Spezifik als Figur nicht in seinem Alter gründet. Er ist gefangen im Dünkel seines Berufes, ein sentimentaler Mensch, der in der Vergangenheit lebt und einsam ist. Ein junger Altmodischer ist doch viel interessanter.“
Glühende Rossini-Walzen
Giacomo Sagripanti reibt sich zwischen den Akten das Gesicht trocken. Der Dirigent leitet die Essener Philharmoniker vom Cembalo aus, und er hat allen Grund, ins Schwitzen zu geraten. Denn unter seinen Händen glühen die berühmten Rossini-Walzen auf Hochtouren, jener Kompositionstrick, der das Publikum von den Stühlen reißt. Jan Philipp Gloger übersetzt die musikalische Energie direkt in eine bewegliche, taktgenaue Personenführung. Seine Protagonisten werden aus dem Orchestergraben angetrieben. Und da kennt Rossini kein Pardon. Zeit für Tränen bleibt nicht.
Dabei ist Bartolo der einzige, der Grund zum Weinen erhält, der ein Schicksal hat. Jan Philipp Gloger nutzt diese Situation nicht aus. Bei ihm behält der Frauenversager seine Würde. „Raum für ausgebreitete Traurigkeiten lässt die Musik nicht. Es geht darum, die Tragik des Doktors eben über die Vergeblichkeit, die Gefangenheit, die Getriebenheit zu erzählen. Das ist vielleicht das Dilemma dieser Menschen (und auch von uns heute): Finden Sie in der Hektik und dem Wahnsinn überhaupt zu ihren eigenen Gefühlen?“
Einmal reißt sich der Verschmähte die Topffrisur-Perücke vom Kopf. Eine modische Billardkugel-Glatze kommt zum Vorschein. Nun wirkt er sogar ein bisschen sexy. Gloger: „Wie alle Figuren hat Bartolo etwas Komisches und Liebenswertes und Tragisches und mithin Schreckliches in seiner ungeheuren Selbstbezüglichkeit.“