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Richard Hagel liebt Musik. Das äußert sich bei seinen Auftritten als Frontsänger der Iserlohner PeeWee-Bluesgang, aber auch bei sich zu Hause im Wohnzimmer. Dort hört er gerne Musik. Von der Schallplatte. Mehr als 5000 Vinyls stehen fein säuberlich aneinandergereiht in Regalen. „Sammeln ist eine Leidenschaft – meine Leidenschaft“, sagt der 70-Jährige. In Zeiten von Streamingdiensten wie Spotify und Apple Music drängt sich bei dem einen oder anderen der Verdacht auf, dass Plattenliebhaber wie Hagel mittlerweile die Ausnahme sind. Denn lange galt: Vinyl ist tot.
Streaming-Dienste erfolgreich
1980 gingen in Deutschland noch Platten im Wert von umgerechnet 760 Millionen Euro über die Ladentische. Spätestens Anfang der 1990er gingen die Verkäufe aber rapide zurück. Geld verdiente die Musikindustrie mit CDs, zu Hochzeiten im Jahr 1997 waren es alleine mit den Silberscheiben 2,3 Milliarden Euro. Das MP3-Format drückte die Umsätze dann heftig nach unten, Raubkopien sorgten im neuen Jahrtausend für immense Einbußen. 2013 wuchs der Musikmarkt dann zum ersten Mal seit 1997 wieder – um 1,2 Prozent auf 1,45 Milliarden Euro. Großen Anteil hatten daran auch Einnahmen aus Musikstreaming-Angeboten. Im Jahr 2014 betrug die Wachstumsrate von Spotify, Apple Music und Co. 90 Prozent – Tendenz weiter steil steigend.
Das liest sich auf den ersten Blick wie der Sieg der Musik in Digitalform über physische Tonträger. Doch weit gefehlt. Im Jahr 2014 wurden so viele Schallplatten wie seit 1992 nicht mehr verkauft. Das überrascht. Auch jemanden wie Richard Hagel, dem bei Einkäufen im Elektrofachmarkt auffällt: „Es gibt ja wieder Plattenregale im Saturn.“ 2006 lag der Verkauf des „schwarzen Goldes“, wie nicht nur Hagel seinen Lieblingstonträger nennt, gerade einmal bei 300 000 Exemplaren. 2014 waren es 1,8 Millionen Vinyl-Alben.
„Darüber staune ich ja selbst“, sagt Hagel über diese unerwartete Entwicklung. Diese äußert sich unter anderem darin, dass es seit 2015 wieder die offiziellen deutschen Vinyl-Charts gibt. Bei deren Wiedereinführung im September hatte die Schallplatte einen Umsatzanteil von 3,1 Prozent am gesamten Musikmarkt – noch vor wenigen Jahren war diese Zahl undenkbar. Es scheint, als wollten die Menschen in Zeiten von Digitalangeboten auch wieder etwas in der Hand haben wollen.
Musikliebhaber Richard Hagel mag an seinen Platten aber vor allem eins: „Sie haben einen wärmeren Klang als beispielsweise CDs.“ Außerdem höre er die Musik bewusster: Das Auflegen der Platte auf seinen Grundig-Spieler, das Aufsetzen der Nadel in die Rille, das leichte Knacken aus seinen Technics-Lautsprechern aus den 1970er Jahren. Und ja, auch durch das regelmäßige Aufstehen nach zwanzig Minuten, um die Platten-Seite zu wechseln. Es ist aber nicht nur das Musikerlebnis an sich, das Hagel so an seinen Vinyls schätzt. Die Cover sind größer, dadurch kommt das Artwork des Albums mehr zur Geltung. Hagel sagt: „Da sind tolle Sachen dabei. Die Kunst ist ganz, ganz großartig.“ Und macht sich hervorragend im Regal.
Album-Charts sind Werte-Charts
Auf die deutschen Album-Charts hat die Vinyl zudem einen größeren Einfluss als früher. Seit 2007 handelt es sich bei diesen um sogenannte Werte-Charts. Das bedeutet, dass nicht mehr die tatsächlich verkauften Stückzahlen gezählt werden, sondern der damit erzielte Umsatz. Da eine Schallplatte meist teurer ist als beispielsweise eine CD oder ein Download, hat ein Platten-Verkauf mehr Gewicht in den Charts. Das Werte-System erklärt auch, warum die Charts derzeit so aussehen, wie sie aussehen.
Im vergangenen Jahr belegten in 18 unterschiedlichen Wochen 18 verschiedene Deutschrap-Alben die Nummer eins der Charts. Möglich wird dies auch dadurch, dass Rap-Interpreten ihre Alben neben einer Standard-Version auch in teurerer Form verkaufen, unter anderem auch in Vinyl. Außerdem sind gerade im Hip-Hop-Bereich Fanboxen von Alben beliebt, die angereichert mit Stickern und T-Shirts deutlich mehr kosten als das normale Album in CD-Form.
Boxen wie diese sammelt Richard Hagel aber nicht. Seine Schätze sind und bleiben Schallplatten. Diese kauft der Iserlohner gerne auch auf Plattenbörsen in der Umgebung. Zu seinen mehr als 5000 Vinyls werden sich in Zukunft also noch weitere dazugesellen. Positiver Nebeneffekt seiner Platten: Sie halten lange. Sehr lange. Theoretisch sogar ewig.