Hagen. Sirenen kehren wieder auf Dächer zurück. Gefertigt werden die lauten Alarmgeber seit fast 100 Jahren beim Hagener Unternehmen Helin.

Sie kehren zurück. Langsam, aber sicher. Sehen allerdings völlig anders aus. Moderner. Und sie sind leistungsstärker und viel lauter: Immer mehr Städte und Gemeinden setzten wieder auf Sirenen, um die Bevölkerung vor Gefahren zu warnen oder die Feuerwehr zu alarmieren. Für das Hagener Unternehmen Helin ist die Renaissance der Heuler ein einträgliches Geschäft: Der Betrieb hatte einst den Prototypen der Sirenen hergestellt und hat auch jetzt wieder reichlich zu tun. Zahlen möchte Geschäftsführer Alexander Schmacke nicht nennen. Nur so viel: „Der Auftragseingang steigt gerade exponentiell“, sagt er zufrieden.

Ein Grund dafür: Das Land NRW unterstützt aktuell die Kommunen beim Wiederaufbau der Sirenen mit Fördergeldern. Ein weiterer Faktor: Es gibt wenig Konkurrenz in dem Markt, vielleicht vier oder fünf nationale Mitbewerber. Helin bedient ein Nische. Und kann zudem auf eine fast 100-jährige Erfahrung mit den Alarmgebern verweisen.

Dabei sahen die Zeiten für die Hagener Elektrizitäts-Industrie GmbH (heute Helin) zwischendurch nicht immer so golden aus. Anfang der 1990er-Jahre ging die Zeit der Pilzköpfe zu Ende. Nicht der aus Liverpool; die Vierergruppe war längst Geschichte und ihre Geräuschkulisse diente der Unterhaltung. Gemeint ist die „E 57“, die Einheitssirene, die ab 1957 flächendeckend in Westdeutschland eingeführt wird und deren Lärm Alarm bedeutet. Den macht dabei ein Motor unter einem pilzförmigen Dach. Nimmt der Motor Tempo auf, treibt er einen Rotor an; dessen Verwirbelungen sorgen für den Heulton, den wohl jeder kennt: „Exakt 420 Hertz bei 2800 Umdrehungen pro Minute“, weiß Thomas Aicher.

„Über 100.000 Sirenen“ gab es in der alten Bundesrepublik, als der Kalte Krieg jederzeit heiß werden konnte. Die Alarmgeber riefen nicht nur die Feuerwehr in den Einsatz, sondern sollten auch die Bevölkerung flächendeckend schnell warnen. Zwei mal im Jahr gab es Probealarm. Mittwochvormittags, im Frühjahr und Herbst: Warnung vor Luftangriff (Fliegeralarm), ein einminütiger, auf- und abschwellender Dauerton. Warnung vor einem Angriff mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen (ABC-Alarm), ein einminütiger, anschwellender Heulton, zweimal unterbrochen. Schließlich Entwarnung, ein einminütiger Dauerton. 100 000 Sirenen auf Gebäudedächern oder Masten: Das bringt auch Reparatur- und Wartungsarbeiten mit sich.

Als der Eiserne Vorhang mitten durch Europa plötzlich fällt, nach der Überwindung des Ost-West-Konflikts lautet die politische Einschätzung: Wir sind von Freunden umzingelt. Wo keine Feinde ausgemacht werden, braucht es auch keine Warnsignale mehr. Der Bund gibt die Hoheit über seine Sirenen ab; manche Kommune übernimmt sie, andere nicht. Feuerwehrleute werden inzwischen größtenteils über Meldeempfänger alarmiert. Es folgte ein fast flächendeckender Abbau der Sirenen, bis auf wenige Restbestände. Etwa im Sauerland, wo Täler im Funkschatten der Berge ringsrum liegen können und Meldeempfänger stumm bleiben.

„Sonitus“ kann auch sprechen 

Mit Beginn des neuen Jahrtausends und dem Aufzug des digitalen Zeitalters setzt der Zivilschutz auf andere Formen, um die Bevölkerung zu warnen. Etwa auf Kurznachrichten aufs Handy. Allein: Die Netze reichen bei einer solchen Menge an Adressaten nicht aus, wären völlig überlastet. Eine zeitnahe Warnung, nach einer Explosion oder vor den Folgen eines Großbrands ist so nicht möglich.

Der Trend zurück zu Sirenen hat längst wieder eingesetzt. „Die Erkenntnis ist da, das sich nur so sinnvoll und flächendeckend warnen lässt“, urteilt Thomas Aicher. Heute liefert Helin elektro-akustische Hochleistungssirenen. Ohne Motor und Pilzdach. Dafür mit Verstärker, Membran und Hornlautsprecher. „Aus seewasserfester Aluminiumdruckgusslegierung.“ Wo früher in einer Halle im Industriegebiet nahe der A1-Abfahrt Hagen-West die Motoren für die „E 57“ gewickelt wurden, werden heute die Komponenten der elektronischen Sirenen der Baureihen „Sonitus“ und „Sonus“ zusammengebaut.

Der Unterschied? „Die Motorsirene braucht 380-Volt-Starkstrom, die elektronische Sirene kommt mit 230 Volt, integrierten Akkus oder einer kleinen Photovoltaikfläche aus, funktionieren also auch bei einem Stromnetzausfall“, zählt Teamleiter Thomas Allenstein auf. Außerdem erreicht die elektrische Sirene mit ihren bis zu 3000 Watt ganz andere Reichweiten. Mit einem eigenen Planungswerkzeug am Computer liefert Helin gleich eine Beschallungskarte und Standortplanung mit. Aktuell für Iserlohn und die Rhein-Metropole Köln.

Die moderne Sirene kann zudem mehr als heulen. Weil sie letztlich technisch nichts anderes ist, als eine Hochleistungsverstärkeranlage und ein Lautsprecher, können auch „abgespeicherte Texte oder Live-Durchsagen, wie ,Fenster und Türen geschlossen halten’“ übertragen werden, erklärt Thomas Aicher.

Insgesamt 14 Mitarbeiter inklusive Kundenbetreuung und Montage sind bei Helin in Hagen mit den Sirenen beschäftigt. Die aktuelle Auftragsflut sorgt für reichlich Arbeit. Käme da sogar der Weihnachtsurlaub unter die Räder, wäre das zumindest für die Beschäftigten zum Heulen. Aber damit kennt sich Helin ja aus. Seit bald 100 Jahren.