Attendorn. . Ein Erfahrungsbericht: Am Steuer eines Seat Bocanegra bei der Oldtimer-Rallye unterwegs. Ein Renner mit 76 PS, gewöhnungsbedürftigen Bremsen und leicht hakelnder Schaltung. Am besten geht es mit Gefühl.

Es ist 14.05 Uhr, als der Seat Bocanegra beim Drehen des Zündschlüssels erwacht und Sauerländer Luft durch den ­Filter zieht. Vier Zylinder verrichten hinter der pechschwarzen Schnauze unter der perfekt polierten Haube ihren Dienst. Ein bisschen schüttelt sich das Aggregat. Vielleicht, weil der ­Wagen aus der Seat-Sammlung in Barcelona die mehr als 2000 ­Kilometer nicht auf eigener Achse, sondern auf dem Truck angereist ist. Und während sich die Ventile langsam warm laufen, steigt bei mir und Beifahrer Matthias Becher (Pressereferent bei Seat Deutschland) langsam die Anspannung.

Oldtimer-Geruch aus den 70er Jahren

Dabei hatte der Tag um 12 Uhr in der Attendorner Erlöserkirche so entspannt begonnen. Fahrer-Einweisung inklusive göttlichen Segens - was soll da noch passieren? Und so entlässt Pfarrer Christoph Grothe die 102 Teams der ersten Oldtimer-Rallye im Sauerland auf die 114 Kilometer des ersten Tages der dreitägigen Rundfahrt. Die Fußgängerzone ist für die Fahrzeuge aus 75 Jahren Automobilgeschichte abgesperrt. Und so glänzen die Oldtimer mit der Herbstsonne um die Wette. PS, Hubraum, Baujahr, Geschichte des Wagens. Die Passanten sind informiert und begeistert. Oldtimer gehen unter die Haut, das alte Blech weckt ­Erinnerungen. „Auf dem Kadett habe ich meinen Führerschein gemacht,“ erzählt der Mann in der Motorrad-Kluft seiner Begleiterin und erntet Kopfschütteln.

Derweil entströmt dem Innenraum des Bocanegra (Schwarzmaul) der unverkennbare Geruch der Autos aus den 70er Jahren. Die braunen Sitze erinnern an Fernsehsessel, zugegeben an kleine Modelle. Und für Menschen mit einer Körpergröße von mehr als 1,90 Meter ist die Sitzschiene nicht ausgelegt. Die Knie müssen bei großen Lenkbewegungen aus dem Weg genommen werden. Daran werde ich mich gewöhnen müssen. Genau wie an die Bremse, die mit den Ankern heutiger Fahrzeuge nicht viel zu tun hat. „Take care of breakes“ warnt Isidre Lopez, ­Leiter der historischen Sammlung in Barcelona.

14.14 Uhr, Kilometer 0. Rallyeweltmeister Walter Röhrl und Kabarettist Urban Priol sind schon auf der Strecke. Auch ihnen war eine gewisse Anspannung anzumerken. Als sich für Matthias und mich die Startflagge hebt und uns der Streckensprecher entlässt, brandet freundlicher Beifall auf. Wir gehen es an. „Hier links, nach 300 Metern noch mal links.“ Matthias hat das 157-seitrige Roadbook auf dem Schoß. Dort ist jeder Abzweig notiert. Eine sichere Sache, es sei denn, man verpasst eine kleine Stichstrasse, die sich Rallye-Chef Peter Göbel für uns ausgedacht hat.

Die engen Straßen zeigen sich von ihrer besten Seite

Gerade habe ich mich daran gewöhnt, mich blind auf Matthias zu verlassen, da wartet schon die erste Wertungsprüfung. 20 Meter in sechs Sekunden, die weiteren 60 Meter in 11 Sekunden. Matthias hat die Durchschnittsgeschwindigkeit ausgerechnet und auf kleinen Klebezetteln notiert. Trotzdem verpassen wir die erste Lichtschranke um eine gute ­Sekunde. Das sind Welten in diesem Geschäft. Wir müssen besser werden. Ich muss besser werden. Und deshalb fahre ich jetzt nach Gefühl! Matthias zählt weiter 12 Sekunden, 13, 14, 15, 16, 17. Diese Lichtschranke treffen wir ordentlich.

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Und schon geht es weiter über die engen Straßen des Sauerlands, das sich heute von seiner besten Seite zeigt. Die Wälder färben sich langsam herbstlich ein, in Helden ist noch für Schützenfest geflaggt. Davon werden die Teilnehmer schwärmen, wenn sie sich später zu den Benzingesprächen treffen.

„3,8 Kilometer weit gerade aus.“ Langsam gewöhnt sich der grasgrüne Spanier mit dem schwarzen Maul an die herbstlich warme Luft und ich komme immer besser mit der leicht hakelnden Schaltung klar. Immer besser nimmt der 76-PS-Motor das Gas an. Drei Jahre hat der Bocanegra in der Ausstellung gestanden, jetzt darf er wieder auf die Straße.

Entlang der Strecke stehen überall Oldtimerfans. Bewaffnet mit Stativ und Kamera, andere schwenken Fahnen, viele winken. Wir winken zurück und haben sogar Zeit, um im Auto zu schwatzen. Matthias ist seit drei Jahren bei Seat. Er ist in Ungarn groß geworden und mit 18 Jahren zurückgekommen nach Deutschland in die Heimat. Das Sauerland erlebt er heute zum ersten Mal. „Oldtimer passen perfekt hierher“, schwärmt er.

Durchschnittsgeschwindigkeit von 38,3 km/h

Kurve um Kurve legen wir zurück, Abzweig um Abzweig. Die Kaffeepause an der Versetalsperre und der Stau quer durch Plettenberg haben uns ordentlich zurückgeworfen. Das Lämpchen am Wegstreckenzähler blinkt rot. Wir sind hinter der Durchschnittsgeschwindigkeit von 38,3 Stundenkilometern zurück. Die Wertungsprüfungen funktionieren immer besser. Bisweilen haben wir das Gefühl, die Lichtschranken sekundengenau zu treffen. Das macht Mut.

Wenn da nicht das rote Lämpchen und das zu erreichende Zeitlimit von 180 Minuten ­wären... Die Pyramiden von Meggen haben wir voraus, da springt die Anzeige um auf Grün. Wir sind in der Zeit. Punktlandung. Und als der Streckensprecher unseren Bocanegra ansagt, steigt ein wenig Stolz in uns auf. Der erste Tag der Sauerland-Klassik ist gemeistert. Der Wagen ist heil, wir hatten einen tollen Tag.