Hagen. . Die Zahl der Kinder, die ohne Eltern auf der Flucht sind, steigt stetig: Ihre Betreuung ist keine leichte Aufgabe für Vormünder in den Kommunen.

Sie stehen auf einmal da. Verharren verunsichert in der Stadt an der Stelle, wo sie von Schleppern abgesetzt worden sind, bis die Polizei sie aufgreift. Andere fallen durch ihre Hilflosigkeit im Zug oder am Bahnhof den Bundespolizisten auf.

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die ohne ihre Eltern auf der Flucht sind, steigt bundesweit. 2009 waren es noch knapp 3000, im Jahr 2013 bereits 5600, so die Daten des Bundesfachverbandes unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Flüchtlinge sollen gleichmäßig verteilt werden

Es sind in NRW vor allem grenznahe Städte wie Aachen und Kempen, wo sie aufgegriffen werden. Kommunen mit Erstaufnahmeeinrichtungen wie Dortmund. Und begehrte Großstädte wie Köln und Düsseldorf. An Südwestfalen ist der Zug bisher vorbeigegangen; gerade einmal zwölf Jugendliche auf der Flucht sind derzeit in Hagen untergebracht. 50 bis 60 könnten es bald werden, schätzt Christian Goebels vom Jugendamt der Stadt.

Denn künftig, so die Pläne von Familienministerin Manuela Schwesig, sollen die Jugendlichen gleichmäßig auf die Kommunen umverteilt werden. Bisher bringt man die Kinder dort unter, wo man sie zuerst erfasst, um ihnen jede weitere Reise zu ersparen.

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Flucht vor Terroristen und Militärdienst

Dem jesidischen Mädchen zum Beispiel, dass vor den IS-Terroristen aus dem Irak geflohen ist, sich ganz allein auf einem LKW durchgeschlagen hat und irgendwie in Hagen angekommen ist. Oder wie dem jungen Mann aus Eritrea, der mit 14 Jahren zum Militärdienst eingezogen werden sollte. Vor den Feldjägern der Militärdiktatur versteckte er sich zunächst in Höhlen, floh dann mit Hilfe von Schleppern ins Ausland.

Nach Äthiopien, Sudan, Libyen, übers Mittelmeer nach Lampedusa, über Italien und Frankreich bis Deutschland. Zweieinhalb Jahre dauerte die Flucht, weil die Schleuser ihn erst dann wieder ein Stück weiter transportierten, wenn die Familie Geld zusammengespart hatte.

Kein Vertrauen mehr

Zwei der Mündel, die Ralf Jackenkroll-Küdde beim SkF in Hagen als Vormund im Auftrag der Stadt betreut. Was dem jungen Mann aus Eritrea unterwegs widerfahren ist – noch weiß es der Vormund gar nicht. „Nach einem solchen Weg hat man erst einmal kein Vertrauen mehr, so Jackenkroll-Küdde. Ein Jahr dauere es in der Regel, bis sich die Jugendlichen öffneten. „Sie schlafen nur mit Licht, wollen nachts nicht allein bleiben, wachen schreiend auf, scheuen jede Berührung“, so Doris Westermann, auch Vormund beim SkF.

Bis das Trauma aufgearbeitet werden kann, dauert es allerdings seine Zeit – unter anderem deshalb, weil man derzeit in Hagen bis zu neun Monate auf einen Termin beim Traumatherapeuten warten müsse, so Doris Westermann. Kommen künftig mehr jugendliche Flüchtlinge, dürfte sich die Frist noch verlängern.

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Das lange Warten

Warten müssen sie auch auf Plätze in Auffangklassen. Dabei sei es wichtig, ihnen schnell eine Tagesstruktur zu geben, so Jackenkroll-Küdde. Zudem wollten die Jugendlichen nach dem langen Weg etwas tun, seien „enorm wissbegierig“.

Zu seinen Aufgaben gehört es auch zu klären, ob ein Asylantrag überhaupt Aussicht auf Erfolg hätte – oder ob der Aufenthaltsstatus nicht auf anderem Weg eher erlangt werden kann. Und ob eine Abschiebung nicht irgendwie abzuwenden ist.

Fragen, in die sich die Vormünder selbst zeitaufwendig einarbeiten müssen. „Es wäre gut“, so Jackenkroll-Küdde, „wenn wir einen Fachanwalt hinzuziehen könnten“.