Iserlohn. Michael Welling ist Chef des Fußball-Regionalligisten Rot-Weiß Essen und lehrt in Iserlohn Sportmanagement. Das zweite Standbein an der Hochschule war ihm immer wichtig.
Fußball-Professor ist ein mehrdeutiger Titel. Dettmar Cramer wurde wegen seiner akribischen Spiel-Vorbereitung respektvoll so genannt, Ralf Rangnick eher der Überheblichkeit geziehen, seit er 1998 im Aktuellen Sportstudio des ZDF die Viererkette an der Taktiktafel erklärt hatte.
43-jähriger RWE-Chef "ein Fußballverrrückter"
Der jüngste Fußball-Professor hingegen trainiert keine Mannschaft: Dr. Michael Welling ist seit 2010 Geschäftsführender Vorsitzender des Traditionsvereins Rot-Weiß Essen und seit wenigen Wochen Professor an der BiTS in Iserlohn. Im Studiengang Sport- und Event-Management mit einem Schwerpunkt Fußball. Der 43-Jährige verbindet also Theorie und Praxis. Zum Vorteil seiner Studenten und seines Vereins, wie er betont. Sein Antrieb aber kommt aus tieferen Schichten: „Ich bin ein Fußballverrückter.“
Welling ist im Emsland geboren. Fußball-Diaspora. Harte Zeiten. Deshalb begann er sein Wirtschaftswissenschafts-Studium nicht in Marburg, wohin ihn die ZVS schicken wollte, sondern ging nach Bochum. Dorthin, wo Fußball wichtig ist. Auslandssemester? Glasgow. Celtic oder Rangers? Offiziell: University of Strathclyde.
Während und nach dem Studium arbeitete Welling bei Adidas, promoviert hat er 2005 über Ökonomik der Marke. Schon zu der Zeit kam der Kontakt zur BiTS zustande: Ob er nicht Lust hätte, einen Haupt-Studiengang Sport- und Eventmanagement zu konzipieren? Erstmals in Deutschland? Hatte er. Und ist seitdem Gastdozent in Iserlohn.
Nebenbei. Im praktischen Fußball beriet Michael Welling den VfL Bochum und war bis 2007 Assistent des Vorstands. Seine wichtigste Aufgabe: die Entwicklung eines Leitbilds. Danach lockte Hamburg. Die Sportrechte-Agentur Sportfive. Zuletzt war er mit der Vermarktung der TV-Rechte für die EM 2012 befasst. 2010 kam ein Anruf aus Essen. Vom Insolvenzverwalter des Deutschen Fußball-Meisters von 1955, der mittlerweile in die fünfte Liga abgerutscht war. Gesucht wurde jemand, der personelle und strukturelle Veränderungen vornehmen wollte und nicht aus Essen kam.
Ein zweites Standbein war Michael Welling wichtig
„Ich weiß nicht, ob es noch andere Kandidaten gab“, sagt Welling. „Möglicherweise war sonst keiner bekloppt genug, sich das anzutun.“ Für halb so viel Geld wie in Hamburg. Zweitrangig: „Ich arbeite nach dem Lustprinzip.“ Er sieht das Potenzial: die Tradition, die große Stadt, die treuen Fans. Aber es war ihm von Anfang an wichtig, ein zweites Standbein an der Hochschule zu behalten. Und das ist nun durch die Professur, für die an Fachhochschulen keine Habilitation nötig ist, kräftiger geworden.
Thema Doping bei RWE "erweitert den Horizont der Studenten"
Den Vorteil der Personalie Welling für die 250 Studenten des Fachs sieht er selbst in seiner Glaubwürdigkeit, in aktuellen Themen, die er einbringen kann - einen innovativen Essener Ansatz fürs Trikotsponsoring, der später in Siegen, Wuppertal und Duisburg Vorbild war, das Thema Doping - unangenehmerweise durch einen aktuellen Fall bei RWE: „Das erweitert den Horizont der Studierenden.“
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Doch er könne auch Impulse mitnehmen zum (inzwischen) Viertligisten, Ideen für Kinderclubs und Fußballschulen. Und das von Studenten entwickelte Iserlohner Modell für einen Ligabetrieb der Nationalmannschaften sei in der Fachwelt besser bewertet worden als das Konzept der Uefa.
Haben die Absolventen dieses Studiengangs auf BWL-Grundlage denn gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt? „Es gibt viele Möglichkeiten bei Vereinen, Verbänden, Agenturen, Sponsoren und Veranstaltern“, ist sich Welling sicher. „Allein der Fußball, ohne den ganzen übrigen Sport, erreicht in Deutschland einen höheren Umsatz und beschäftigt mehr Mitarbeiter als die Chemiebranche.“
Sport ist wie "ein Rattenrennen" - Auch Bayern braucht Gegner
Aber Sport ist schon anders als der Rest der Wirtschaft, oder? „Es ist ein Rattenrennen, bei dem nur eine das Stück Käse bekommt“, formuliert der Ökonom, benennt das Problem der „ruinösen Konkurrenz“ und das „Louis-Schmeling-Paradoxon“: „Sonst ist ein Monopol das Ideal für ein Unternehmen, aber im Sport sind mehrere Akteure für das Produkt notwendig. Auch Bayern München braucht einen Gegner.“ Die dadurch erzeugte Unsicherheit sei wirtschaftlich höchst problematisch und mache zugleich den Reiz aus: „Wenn man wüsste, wie es ausgeht, käme keiner.“
Wie steht Michael Welling zum Erfolg von Hoffenheim, Leverkusen, Wolfsburg, Leipzig oder Ingolstadt? Als Fußball-Fan und Chef eines Traditionsvereins ist er entsetzt. Doch als Ökonom weiß er: „Die Geldgeber waren immer zentral. Am Anfang waren das in England Brauereien, später im Ruhrgebiet Zechen.“
Mit RWE mindestens in die 2. Liga aufsteigen
Und seine Ziele für RWE? „Der Wunsch ist: mindestens zweite Liga. Und wir wollen jedes Spiel gewinnen.“ Deshalb sei im Jahr 3022 der Weltpokal fällig. 3022 erst? „Andere machen auch gute Arbeit.“ Leidet er unter dem Druck zu großer Erwartungen? Der Fußball-Professor formuliert es so: „Die Differenz zwischen Anspruch und Realität ist seit der Insolvenz geringer geworden.“