Brilon. . Für sich sein oder in der Gemeinschaft: In Brilon-Radlinghausen lebt und wohnt eine Senioren-WG auf einem Bauernhof. Mehr als ein Mietverhältnis.

Viele Tore hat er geschossen. Früher. „Ich war Mittelstürmer bei DJK Arminia Lirich, in Oberhausen.“ Erwin Miducki strahlt. Die Erinnerung an seine aktive Zeit als Fußballer muntert ihn auf. Bester Gesprächsstoff. Der 80-Jährige hat viel zu erzählen. Seine Geschichte.

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Er war Glasmacher. Und seit 13 Jahren, „ich war der Erste“, lebt der heute 80-Jährige in einer Senioren-Wohngemeinschaft auf einem Bauernhof in Brilon-Radlinghausen. Ja, Tanzmusik hat er mit der vierköpfigen Band „Stardust“ gemacht. „Ich war Gitarrist und Sänger. Die anderen Drei sind tot.“ Ein vergilbtes Schwarz-Weiß-Bild an der Wand zeigt das Quartett bei einem umjubelten Auftritt.

Ort mit 134 Einwohnern

Als Rentner ist er aus Oberhausen in ein Dorf im Sauerland mit 134 Einwohnern gezogen. Der richtige Schritt im Alter? „Ja. Bei einem Kurzurlaub habe ich hier in der Nähe in einer Grillhütte gesessen, die Landschaft und das Gezwitscher der Vögel genossen. Da wusste ich, Erwin, das ist es.“ Die Entscheidung hat er nicht bereut. Vier Wochen wohnte er auf Probe. Und er weiß heute: „Ich bleibe hier bis zum Ende meiner Tage.“

Er lebt in seinem 38-Quadratmeter großen Reich mit Küche und Bad. Die Schrankwand ist von Zuhause. Er kocht selbst: „Probieren Sie den Reibekuchen. Lecker.“ Wenn er keine Lust hat, am Herd zu stehen, kann er bei Andrea Müller Essen bestellen, wie es andere Mitbewohner machen.

Die 54-Jährige ist die gute Seele des Hofes, an ihrer Seite Ehemann Theo (64) und ihre Kinder Rebecca (29) und Manuel (26), Heilpädagogin und Schreinermeister von Beruf. Sie kam auf die Idee, den Bauernhof nach der Aufgabe der Viehhaltung in eine Senioren-WG mit Familienanschluss zu verwandeln.

„Eine ältere Dame“, so die gebürtige Gelsenkirchenerin, „die ich bei einem Krankenhausaufenthalt in Paderborn kennengelernt habe, hat mich auf die Idee gebracht. Sie war gebrechlich, sollte in ein Altersheim und hat mich gefragt, ob sie nicht bei mir wohnen könnte. Ich hätte doch viel Platz.“

Später schaltet sie eine Kleinanzeige mit dem Text: „Senioren-WG auf Bauernhof sucht Mitbewohner.“ 40 Interessenten melden sich auf Anhieb. Mit ihrem Mann gründet sie ein Dienstleistungsunternehmen. „Das ist gesetzlich vorgeschrieben.“ Warum? Die Senioren sind Mieter. Jeder zahlt im Monat 450 Euro. „Alles was darüber hinausgeht“, sagt Andrea Müller, „wie Putzen, Waschen oder Essen kann hinzugebucht werden. Jedem steht es frei, diese Angebote zu nutzen oder seine Sachen selbst zu organisieren.“ Werden Pflegedienstleistungen notwendig, werden die Angehörigen eingeschaltet, die dies mit den Pflegediensten regeln. „Damit haben wir nichts zu tun.“

Eine gute Wahl

Wer in die Gesichter der Senioren schaut, sieht, es ist mehr als ein gewöhnliches Mietverhältnis. Wie in einer großen Familie wird gemeinsam gekocht, geturnt. gespielt und gesungen. Jeder hat die Möglichkeit, sich zurückzuziehen oder die Gemeinschaft zu suchen. Beim Schälen und Schnippeln des Gemüses für den Eintopf wird an diesem Vormittag heftig gefrotzelt. Dass eine alte Ausgabe dieser Zeitung als Unterlage für die Abfälle benutzt wird, amüsiert die Runde. Einhelliger Tenor: Es ist eben ein gutes Blatt. Saugfähig.

Nicht dabei ist Josef Kosub. Der 85-Jährige ist gehbehindert und genießt die Ruhe im Sessel. Seit dem Tod seiner Frau Rosemarie im Februar 2017 und dem Verkauf des Eigenheimes in Brilon-Gudenhagen lebt er hier. „ Meine drei Töchter, heute sind sie 49, 51, und 61 Jahre alt, wohnen alle weiter weg und haben ein eigenes Haus. Ich habe es gut getroffen.“