Bochum. Wer seine Partnerin umbringt, geht seltener als Mörder ins Gefängnis. Das fand eine Soziologin in Bochum heraus. Warum Gerichte umdenken sollten.

Seine Freundin wollte Schluss machen, der 63-Jährige erdrosselte sie. So geschehen vergangenen Oktober in Witten. Mord, fand die Staatsanwaltschaft, Totschlag, urteilten im Mai die Richter. Ein typischer Fall, wie die Sozialwissenschaftlerin Dr. Julia Habermann sie hundertfach untersucht hat. Für ihre preisgekrönte Doktorarbeit an der Ruhr-Uni Bochum fand sie heraus: Männer, die ihre Frau oder Lebensgefährtin töten, wandern seltener als Mörder ins Gefängnis als Täter, die eine Frau umbringen, die nicht ihre Partnerin war.

Das Wittener Urteilist noch zu jung für die Forschungsarbeit, für die die 35-Jährige 472 Täter aus den Jahren 2015 bis 2017 unter die Lupe genommen hat, 32 von ihnen aus dem Ruhrgebiet. Aber es wäre auch bei diesem Fall spannend zu fragen: Warum erkannte das Gericht keine Mordmerkmale? Welche Rolle spielte, dass die Partner offenbar seit Jahren stritten? Dass eine Ex-Frau den Mann als aufbrausend beschrieb und Angst hatte, ihm die Tür zu öffnen? Habermann nämlich hat festgestellt, dass solche Vorgeschichten nicht immer genug berücksichtigt werden: ob es bereits vorher Gewalt in der Beziehunggab, Drohungen, Machtgefälle. „Solchen Hinweisen“, findet die Wissenschaftlerin, „sollte nachgegangen werden, um mehr über die Hintergründe der Taten und das mögliche Gewalterleben der Frau vor der Tat zu erfahren.“

In den meisten Fällen passiert die Tat im eigenen – oder nach einer Trennung im früheren – Wohnumfeld.
In den meisten Fällen passiert die Tat im eigenen – oder nach einer Trennung im früheren – Wohnumfeld. © Shutterstock / chayanuphol

Trennungen und Eifersucht: Das sind die häufigsten Motive

Habermann verglich 154 Männer, die ihre (Ex-)Frau oder Partnerin getötet haben, mit 318 Tätern, die eine andere Person umgebracht haben. (Aus dem Ruhrgebiet ging es in 15 um eine so genannte „Partnerinnentötung“.) Ob nun Mord oder Totschlag, dies sind die wesentlichen Unterschiede: Die fast ausschließlich allein handelnden Täter bei Partnerinnentötungen sind älter, sind seltener arbeitslos, drogenabhängig, alkoholisiert oder vorbestraft und haben häufiger eine abgeschlossene Berufsausbildung als Täter, die eine andere Person als die (ehemalige) Partnerin töten. Meist bringt der ältere Mann die jüngere Frau um.

Die Männern, die ihre Frau töteten, lebten zum Tatzeitpunkt mehrheitlich mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt, oft schon eine längere Zeit. Meistens begehen sie auch genau dort ihre Tat, oft durch Messergewalt oder Strangulation, wählen danach selbst den Notruf. Sehr häufig, sagt Julia Habermann, habe sich eine Trennung angedeutet, war in mehr als einem Drittel bereits vollzogen. Trennungen „lassen sich auch am häufigsten als Motiv ausmachen, gefolgt von Eifersucht“.

Bloß ein Affekt? Viele Täter haben dem Opfer schon vorher gedroht

Klar, möchte der Laie da vermuten: Der Gehörnte bringt die Geliebte um im Affekt. Und wenn es Streit gab, wird es auch einen Grund gegeben haben für seine haltlose Wut. Was trieb ihn an, tatsächlich eine behauptete „ausweglose Situation“? Stereotyp, so zu denken, widerspricht die Studienautorin. „Erst war Streit, und dann passiert es irgendwie...?“ Auch die Strafkammern würden als Motiv häufig Gefühle wie Wut oder Verzweiflung wegen einer Trennung benennen. Aber „fast jeder dritte Täter gibt seine Tötungsabsicht vor der Tat bekannt, hat also bereits gedroht“. Und beinahe drei von vier Männern seien bereits vor dem Tötungsdelikt „mindestens einmalig gewalttätig“ gegenüber dem späteren Opfer gewesen.

Gerichte sollten die Frage stellen: Warum haben Mann und Frau gestritten?

Fragt nach der „geschlechtsbasierten Motivation“ von Männern, die ihre Frauen töten: Soziologin Dr. Julia Habermann.
Fragt nach der „geschlechtsbasierten Motivation“ von Männern, die ihre Frauen töten: Soziologin Dr. Julia Habermann. © KÖRBER STIFTUNG | DAVID AUSSERHOFER

Um Begriffe wie Besitz, Patriarchat oder Rache gehe es vor Gericht eher selten, dabei müsse es fragen: Warum haben die beiden gestritten? Ging es um Macht und Kontrolle seinerseits, um ihren Willen, selbstbestimmt zu leben? Wie wichtig war die „geschlechtsbasierte Motivation“ für die Tat, hat also das Frauenbild des Täters eine Rolle gespielt? Solche Fragen, findet Julia Habermann, müssten bei der Urteilsfindung beachtet werden: Vergleichsweise selten, sagt sie, habe sie „niedrige Beweggründe“ als Mordmerkmal gefunden. Folge: Nur etwa jeder dritte Täter einer Partnerinnentötung wird nach Habermann wegen Mordes verurteilt, in der Vergleichsgruppe sei es jeder zweite. Wer seine Frau umbringt, wird also seltener als Mörder bestraft.

Bei der Länge der Haft im Totschlagsfall aber unterscheidet sich das Strafmaß wenig. Im Schnitt lag sie in den untersuchten Fällen bei etwa neun Jahren, der Wittener Täter bekam sogar zwölf. Dabei müsse, findet Habermann, auch bei der Strafzumessung die Vorgeschichte eine Rolle spielen. Jeder zweite Täter nämlich war gegenüber der Partnerin schon zuvor körperlich und/oder sexualisiert gewalttätig, „dies wird aber nur in etwa jede fünfte Strafzumessung einbezogen“. Auch bei vorherigen Drohungen würden die Taten oft als spontan beurteilt. Julia Habermann aber sagt: „Täter von Partnerinnentötungen kündigen die Tat häufig an, setzen sich gedanklich mit dieser auseinander, bereiten sie vor und führen die Tatsituation herbei.“

Soziologin fand viele Fälle von Mord und Totschlag, „da hätte ich gern diskutiert“

Frauenleiche im Koffer- Zwölf Jahre Haft für EhemannFazit der Wissenschaftlerin: „Das Narrativ von Verzweiflung und Ausweglosigkeit muss in Frage gestellt werden, andere Motivationen wie Macht- und Besitzanspruch sollten stärker einbezogen werden.“ Wie man das ändert? Eine Doktorarbeit ist keine Handlungsanweisung und auch keine politische Forderung, aber Habermann hat „viele Fälle erkannt, da hätte ich gern diskutiert“. Sie ist auch kein Vorwurf an die Juristen, aber die Sozialwissenschaftlerin beobachtet manches Mal ein „verzerrtes Erfahrungswissen“. Stereotype Vorstellungen der Menschen am Richtertisch seien ein Problem, mangelndes Wissen zu geschlechtsbezogenen Gewaltformen aber könne man vermitteln: Richterinnen und Richter, sagt Julia Habermann, sollten überdenken, wie sich in Partnerinnentötungen „eine geschlechterbasierte Motivation zeigt“ – damit, und hier zitiert sie eine Forscherkollegin, „Vorurteile [nicht] zu Urteilen werden“.

>>INFO: DER DEUTSCHE STUDIENPREIS

Für ihre Dissertation über „Partnerinnentötungen und deren gerichtliche Sanktionierung“ bekommt Julia Habermann (35) den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Studienpreis. Mit ihm zeichnet die Körber-Stiftung „exzellente Dissertationen aus, die eine besonders hohe gesellschaftliche Relevanz haben“. Die Jury lobte ihre Arbeit: Abseits des wissenschaftlichen Diskurses nützten die Erkenntnisse dem Monitoring der Istanbul-Konvention und der Politik in aktuellen Diskussionen von Gesetzesreformen.

Neben Soziologin Habermann, die ihre Doktorarbeit an der Fakultät für Sozialwissenschaften und am Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum schrieb, werden in diesem Jahr die Juristin Samira Akbarian von der Goethe-Universität Frankfurt am Main (forscht zu Zivilem Ungehorsam) und der Chemiker Nikita Hanikel von der Universität von Kalifornien (arbeitet zu Wassergewinnung aus der Luft), geehrt.