Essen. Sechs NRW-Städte werden bei der Europameisterschaft zu Gastgebern für teilnehmende Teams. Bringt das was? Oder kostet es sogar Geld?
Ein Satz hat gereicht, um viele Menschen im Rathaus von Iserlohn in Begeisterung zu versetzen. „Die Italiener kommen.“ Ende Januar gab der amtierende Fußball-Europameister bekannt, sein Quartier während des Turniers 2024 in Iserlohn zu beziehen und die Stadt damit zu einem der sogenannten „Base Camps“ zu machen. Seitdem zieht Bürgermeister Michael Joithe auf Presseterminen gerne ein Trikot an, träumt in Anlehnung an die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 von einem „Sommermärchen 2.0.“und will die Stadt mit ihren rund 100.000 Einwohnern möglichst in Schwarz-Rot-Gold und Azurblau tauchen.
Aber auch Märchen gibt es nicht umsonst. Knapp 300.000 Euro sind allein in Sanierung und Neuverlegung des Rasens im Hembergstadions geflossen, in dem die Squadra Azzurra während ihres Aufenthalts trainiert. „Viel Geld“, das man woanders besser hätte anlegen können, schimpfen viele Iserlohner auf der Straße und in den sozialen Netzwerken. Vor allem, weil die Stadt kurz davor steht, in die Haushaltssicherung zu rutschen. Christian Kißmer, Leiter des Iserlohner Sportamtes, kennt diese Stimmen: „Aber das ist ja eine Investition in die Zukunft“, gibt er zu bedenken. Nach dem Turnier werde das Stadion wieder von heimischen Vereinen genutzt.
EM 2024 in NRW und Deutschland: „Wichtig ist, dass das Wetter mitspielt“
Und man möchte ja auch einen guten Eindruck hinterlassen, sich für andere sportliche Großveranstaltungen ins Gespräch bringen. „Italienische Nächte“ soll es geben und einen „Sauerländer Abend“. Und überhaupt ganz viele Events. Auch Public Viewing natürlich. „Wichtig ist“, sagt Kißmer, „dass das Wetter mitspielt.“ Und natürlich, dass Italien so lange wie möglich im Turnier bleibe.
Dann bleiben nämlich auch die Spielerfrauen, Reporter und Kamerateams, die dafür sorgen, dass es ab 10. Juni in den anderen Hotels der Stadt kaum noch ein freies Zimmer gibt. Deshalb bieten erste Privatleute ihre Unterkünfte an, Bauern sollen Flächen für Zeltplätze freigeben. Ja, die Italiener sind fußballverückt. Aber nein, sagt Volker Hellhake, Vorsitzender der Werbegemeinschaft, er wisse auch nicht, wie viele Fans kommen werden. „Auf jeden Fall aber sind die vier Wochen eine Chance, die wir nutzen sollten, um die Stadt so positiv wie möglich zu präsentieren.“
Manche im Rathaus und unter den Händlern hoffen auf Kassen, die gar nicht mehr aufhören zu klingeln. In Duisburg, wo die Italiener während der WM 2006, wohnten, seien Millionen gemacht worden, hat man ihnen erzählt. Tatsächlich hat ein Gutachten damals einen Bruttoumsatz von 4,4 Millionen Euro ergeben. Das meiste davon wurde allerdings vom Team-Hotel und dem Lieferanten für das Pressezentrum gemacht. Auch italienische Gastronomen hätten profitiert, ortsansässige Händler können sich dagegen nicht an goldene Wochen erinnern.
In Bad Lippspringe, wo die Franzosen Quartier beziehen, zeigt man sich zurückhaltender. Wie viele ausländische Fans wohl kommen werden? „Muss man abwarten“, sagt Stadtsprecherin Sabrina Düsenberg. Hotels in der Region seien jedenfalls längst nicht ausgebucht, Ferienwohnungen noch fast komplett frei. Wirtschaftliche Wunder erwartet hier ohnehin niemand. Ein paar Gastronomen könnten Crepe-Variationen auf ihre Speisekarten setzen, der ein oder andere Bäcker werde wahrscheinlich ein paar Baguettes mehr als üblich backen. „Aber das entscheidet jeder selbst“, sagt die Stadtsprecherin.
Gefeiert werden soll natürlich trotzdem. Im kleinen Rahmen. Geplant ist ein Frankreich-Tag unter dem Motto „Bienvenue a Bali“ am Rathaus. In den Straßen des 15.000-Einwohner Städtchens flattern bereits jetzt Wimpelketten in den französischen Nationalfarben, Fahnen der Teilnehmer-Länder hängen an den Laternen der Ortsdurchfahrt und in den Rathausfenstern, Porträts der französischen Kicker in den Fenstern des Westfalenhauses. Damit man auch weiß, wen man da vielleicht trifft in den Straßen des heilklimatischen Kurortes. Unwahrscheinlich zwar, aber nicht ausgeschlossen. „Das Hotel liegt sehr zentral.“
„Wir werden wohl nicht überrannt werden“
In Harsewinkel, Base Camp für die portugiesische Fußballnationalmannschaft, soll es 2006 solche Begegnungen gegeben habe. In Gaststätten, ja sogar an der Pommes-Bude. Jetzt kehren die Portugiesen zurück. Zwar rechnet Stadtsprecherin Stephanie Nölke mit „erhöhtem Interesse“, glaubt aber nicht, „dass wir überrannt werden“. Auch vor 18 Jahren sei das Leben in der 25.000-Einwohner Stadt „relativ normal“ weitergegangen, hat sie sich erzählen lassen. Abgesehen vom Tag der Ankunft. 10.000 Fans waren damals vor dem Hotel im Stadtteil Marienfeld erschienen. Wer dabei war, spricht bis heute von „Ausnahmezustand“.
Danach aber war Ruhe. Weil es nichts zu sehen gab für die Fans. Das dürfte in diesem Jahr kaum anders sein. Abgesehen von einer öffentlichen Trainingseinheit, die die UEFA für jedes Team zwingend vorschreibt, könne man die Mannschaft wahrscheinlich kaum sehen, heißt es in den Städten.
Reporter sollen Städtenamen bekannt machen
In Kamen, Sprockhövel und Velbert bleibt man dann auch entspannt. Albanien, Slowenien und Georgien haben dort ihre Unterkünfte gebucht und werden überall freudig erwartet. Mit großen Fan-Aufläufen aber rechnet niemand. Mit viel Werbung für die Stadt dagegen alle. Das tut auch der Iserlohner Sportamts-Chef: „Am Ende des Turniers“ ist Christian Kißmer überzeugt, „wird jeder italienische Fußballfan durch die vielen Berichte den Namen Iserlohn kennen.“
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