Essen. Vor 50 Jahren bekam das Ruhrgebiet seinen ersten Tatort-Ermittler. Warum Kommissar Haferkamp anders war als seine vielen TV-Kollegen.
Sein Revier ist das Revier. Und sein Essen sind Buletten. Wenn sie kalt sind. Das erfahren TV-Zuschauer heute vor 50 Jahren, am 28. April 1974, um 20.15 Uhr nach der Tagesschau. Denn da ermittelt Hansjörg Felmy als Kommissar Heinz Haferkamp erstmals in Essen. Endlich hat auch das Ruhrgebiet einen eigenen Tatort.
Doch nicht jeder ist begeistert. Und das hat nichts damit zu tun, dass schon damals viele Szenen gar nicht an Rhein und Ruhr entstanden sind, sondern in Münchner Studios. Zwar findet der damalige Essener Polizeipräsident Hans Kirchhoff, dass es Felmy nicht hätte besser machen können. Kritiker aber nennen den Neuen bieder, einen „Langweiler durch und durch“.
„Das Debüt war enttäuschend“, urteilt am Tag nach der Ausstrahlung der Premieren-Folge „Acht Jahre später“ auch der Kritiker der WAZ. Und nennt Haferkamp „sauertöpfisch“. Er ist auf jeden Fall völlig anders als sein Vorgänger. Der von Sieghardt Rupp in sieben Folgen des WDR-Tatorts gespielte Kressin, war so ein wenig der James Bond der „Tatort“-Reihe. Zollfahnder, immer unterwegs, leger die Klamotten, flott die Sprüche. Ein Frauenheld und Haudrauf. Da können weder Haferkamp noch sein Darsteller mithalten.
Erster Ermittler mit einem Privatleben
Dennoch ist der Fahnder aus dem 1. Kommissariat „Tötungsdelikte“ ein ganz eigener Charakter. Wie Felmy ist er stark geprägt durch die Nachkriegszeit, ist – vom stets zerknitterten Mantel mal abgesehen – recht ordentlich und seriös. Ein klassischer Beamter aber ist er keineswegs. Vorgesetzten erzählt er nicht mehr als unbedingt nötig, und im Team arbeiten liegt ihm gar nicht. Stattdessen neigt er zu Eigensinn und Alleingängen, ist der Melancholie näher als dem Frohsinn.
Die meisten Fälle löst Haferkamp analytisch, bleibt bei den meisten Menschen, die er trifft, distanziert. Lediglich sein Assistent Willi Kreutzer (Willy Semmelrogge) ist so eine Art Kumpel, bleibt dabei stets aber auch Untergebener. Haferkamp ist auch der erste Tatort-Ermittler mit einem Privatleben. Und das ist ungewöhnlich. Geschieden ist er, hat aber immer noch ein gutes Verhältnis zu seiner Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum), die ihn einst anscheinend betrogen hat.
30.000 D-Mark pro Folge
Regelmäßig trifft man sich. Gerne mal zum (angedeuteten) Sex, vor allem aber um über Gott und den Fall zu reden, der ihn gerade beschäftigt. Oder über Frikadellen. In 13 seiner 20 Folgen hat der darüber gesprochen, oft geradezu doziert. Denn bei Frikadellen versteht der Mann keinen Spaß, wie der Monolog in der Folge „Treffpunkt Friedhof“ zeigt „Für eine Frikadelle braucht man Erfahrung! Eine Frikadelle darf außen nicht verkrustet sein und nicht zu hell. Schlechte Frikadellen sind matschig oder knochenhart, wenn man sie anfasst. Die meisten sind auch viel zu groß, sind weich und lappig wie ein Pfannkuchen. Sie müssen klein sein und fast rund, ein bisschen abgeflacht, außen kross und innen gerade durch!“
Anders als die Kritiker liebt das Publikum die Figur und seinen Darsteller. „Menschlich“ finden sie ihn. Der Marktanteil der Erstausstrahlung liegt bei 66 Prozent, die anderen Episoden haben nicht viel weniger. Auch, weil sich die deutsche TV-Prominenz beim Tatort Essen quasi die Klinke in die Hand gibt.
Der damals 43-jährige Felmy, dessen Filmkarriere nach großen Erfolgen in den 50ern ein wenig ins Stocken geraten ist, wird nicht nur zu einem der populärsten, sondern auch zu einem der bestbezahlten TV-Stars der 70er-Jahre. Pro Folge kassiert der Sohn eines Generals 30.000 Mark – weit mehr als jeder andere Tatort-Ermittler jener Tage. Nach 20 Folgen schmeißt er trotzdem hin. Warum genau, ist unklar.
Schimanski ist der Nachfolger im Revier
Das Ruhrgebiet aber bleibt noch viele Jahre Tatort-Land. Haferkamps Nachfolger ermittelt zwar ein paar Kilometer weiter in Duisburg und ist – vom Sender so gewollt – das genaue Gegenteil des Esseners. „Horst Schimanski“ heißt der von Götz George gespielte Ermittler und wird nach anfänglichem Entsetzen bei Publikum und Stadtoberen, zum wohl bekanntesten Kommissar der Reihe.
Nach dem Ende der „Schimanski“-Folgen ermittelt seit 2012 Jörg Hartmann als Hauptkommissar Faber in Dortmund, im abgewetzten braunen Parka und neuerdings mit einem alten Opel-Manta als Dienstwagen. Seine besonderen Kennzeichen: Er ist depressiv, sperrig und äußerst unberechenbar. Seine Rolle polarisiert auch die Zuschauer. „Er ist keiner, den die Zuschauer direkt liebhaben. Kein Sausack, aber ein sperriger Typ“, beschreibt Hartmann selbst seine Rolle.
Hansjörg Felmy dreht nach seinem Aus als „Tatort“-Ermittler weiter für das Fernsehen, kann aber nicht mehr anknüpfen an den Tatort-Erfolg. 1995 steht er das letzte Mal vor einer Kamera, dann lebt der in Braunschweig aufgewachsene Berliner zurückgezogen mit seiner zweiten Frau Claudia Wedekind in Niederbayern und an der Nordseeküste. Leisten kann er sich das offenbar problemlos. Vor allem, weil er in seiner langen Karriere nach eigener Aussage gut mit Geld umgehen konnte. „Von verdienten 1,50 habe ich immer nur eine Mark ausgegeben. Das habe ich von meinem Vater gelernt“, hat er mal erzählt.
Im Alter leidet Felmy an Osteoporose, laboriert an mehreren Lenden- und Brustwirbelbrüchen, von denen er sich nicht wieder erholt. Am 24. August 2007 stirbt Hansjörg Felmy. Als Tatort-Ermittler bleibt er über seinen Tod hinaus unvergessen. 2008 wird in einer großen Umfrage nach den beliebtesten Kommissaren der Reihe gefragt. Heinz Haferkamp auf Platz drei. Knapp 28 Jahre nach seinem letzten Fall.