Berlin/Neukirchen-Vluyn. Ein neuer Tango-Workshop macht Führungskräfte und Mitarbeitende fit für den Unternehmenserfolg. Dazu müssen sie gemeinsam tanzen.
Was macht eine gute Führung aus? Eine Frage, die sowohl Menschen in Unternehmen bewegt, als auch Tänzer des Argentinischen Tango. Diese Verbindung haben Susanne Opitz (52) und Andreas Neumann (58) ebenfalls gesehen. Sie ist Inhaberin des Studios „Tangotanzen macht schön“ in Berlin-Kreuzberg, er war lange Zeit Vorstandsmitglied eines großen deutschen Pharmakonzerns und viele Jahre in Moers und Vluyn zu Hause. In ihrem Leadership-Crossover-Workshop wollen sie Führungskräften und Mitarbeitenden im ganzen Land zeigen, was moderne (Unternehmens-)Führung vom Argentinischen Tango lernen kann.
Ein ungewöhnlicher Workshop – wie läuft er ab?
Susanne Opitz: Im praktischen Erfahrungsteil kommen die Teilnehmer in Bewegung, werden „sich selbst führen“, ihren eigenen Körper, ihre eigenen Bewegungen, Grenzen wahrnehmen. Sie werden fühlen, dass Schieben, Drücken und Ziehen ungeeignet sind, Ziele zu erreichen. Druck aufbauen und Gegendruck sind aber falsch. Wir müssen in eine gleichberechtigte Kommunikation kommen, wobei der eine führt und der andere folgt, aber dabei seinen Raum gestalten kann. Es ist eine Co-Kreation und deshalb auch wunderbar übertragbar auf Beziehungen im Leben – das können eben auch Beziehungen im Unternehmen sein.
Andreas Neumann: Unser Workshop ist ein Erlebnisworkshop. Wir verknüpfen hier zwei Dinge miteinander zu etwa gleichen Anteilen. Einmal das Erfahren von Bewegungen, die Körperarbeit, das Spüren. Der zweite Teil schlägt dann die Brücke zum Unternehmen, beispielsweise, wie kraftvoll es ist, wenn in einer Firma alle an einem Strang ziehen. Dies scheint selbstverständlich, ist es aber nicht. Die inhaltliche Arbeit dockt an die Erfahrungen des Bewegungsteils an – die Teilnehmenden arbeiten mit deren Hilfe häufig an einem aktuellen Thema im Unternehmen.
Tango-Workshop für Führungskräfte: Statt zu kontrollieren, lieber mal vertrauen
Warum kommt der Workshop Ihrer Meinung nach zum richtigen Zeitpunkt?
Susanne Opitz: Tango ist politisch. Wir treffen uns als Community und suchen nach Begegnung, nach Verbindung. Es geht nicht um totale Harmonie, aber um Austausch, vor allem um Gemeinschaft. In unseren Milongas sind Menschen aus aller Welt. Sie umarmen sich und tanzen miteinander. Egal, wo in der Welt sie geboren wurden, welche Sprache sie sprechen, welcher Religion oder welchem Geschlecht sie angehören. Wir suchen nach dem Miteinander – und es täte der Welt im Moment gut, wenn viele miteinander Tango tanzten. Es gibt derzeit eine große Sehnsucht nach Begegnung und Verbindung. Bodo Jansen spricht in seinem Buch „Das neue Führen“ vom „Geist des Wir“ und fragt, wie man damit in Berührung kommen kann. Meine Antwort darauf ist Tango. Und deshalb lohnt für Unternehmen der Blick über den Tellerrand.
Andreas Neumann: Um Verbindung geht es auch in Unternehmen. Was sie in der Vergangenheit erfolgreich gemacht hat, funktioniert so heute in einer Welt voller Umbrüche und Veränderungen nicht mehr zwingend. Man muss deshalb auch das Thema Führen neu denken. Mit den alten Ansätzen kommt man nicht mehr weiter. Meist scheitern nicht die Strategien eines Unternehmens, weil sie schlecht sind, sondern wegen der Menschen, die man nicht mitnimmt. Unternehmen legen überproportional viel Wert auf das Messbare, stattdessen sollte man die Menschen in den Mittelpunkt stellen – man kann vom Tango viel lernen, von der Verbindung der Menschen zueinander. Statt alles zu kontrollieren und abzusichern, lieber mal vertrauen. Wenn es um Führung im Unternehmen geht, ist Vertrauen ein entscheidendes Element.
Was kann eine Führungskraft vom Argentinischen Tango lernen – und auch der Tangotänzer von der Führungskraft?
Susanne Opitz: Präsenz, Fokus, Klarheit, Empathie, Improvisation, Verantwortung, den Umgang mit Unvorhersehbarem, spielerisches Handeln, Gelassenheit. Es ist ein Prozess des Zulassens.
Andreas Neumann: Einiges. Der Tanz, seine Interpretation ist das Ergebnis geteilter Verantwortung. Beide Rollen sind verantwortlich für die Qualität der Schritte, die Dynamik, das Timing. Im Tango braucht es nicht nur Führungsqualitäten, sondern auch die Qualität des Folgens. Man wird nicht gut führen können, wenn man nicht auch folgen kann. Und umgekehrt. Beim Tango ist Führen dabei ein zweiseitiger Prozess. Der Führende gibt einen Impuls, die andere Rolle nimmt diesen auf, interpretiert ihn und setzt einen weiteren Impuls. Jeder ist für den Erfolg gleichermaßen verantwortlich und hat eine aktive Rolle. Gleiches gilt für Unternehmen, deren Führungskräfte und Mitarbeitende.
Sie haben beide Seiten kennengelernt, die des Tanzes, und die der Unternehmensführung. Welches sind Ihre wichtigsten persönlichen Lebenserfahrungen aus beiden Bereichen?
Susanne Opitz: Beim Tango habe ich sehr viel über mich selbst gelernt. Ich tanze beide Rollen und bin mir der Unterschiedlichkeit dieser beiden aus meiner Sicht gleichwertigen Rollen sehr bewusst. Ich fühle mich als Gestaltende und weiß, dass meine stetige Entwicklung den Tanz entwickelt. Ich habe Vertrauen in den anderen, weil nur so etwas Gemeinsames entstehen kann. Als Unternehmerin habe ich das Loslassen von Perfektion gelernt. Ich gebe nur den Rahmen, nicht die Inhalte vor. Im Übrigen leiten wir das Unternehmen zu zweit. Jeder von uns übernimmt mal die führende Rolle.
Andreas Neumann: Der Boxer Muhammad Ali wurde einmal von Studenten nach einem Gedicht gefragt. Er antwortete: „Me.We.“ Genau das ist es, neben dem „Ich“ ist vor allem das „Wir“ entscheidend. Beim Tango wie beim Unternehmen. Wenn eine Führungskraft nur an Selbstoptimierung denkt, nur ans „Ich“ und nicht ans „Wir“, wird man keinen unternehmerischen Erfolg erschaffen. Das „Wir“ wird leider noch zu oft vergessen.
Führungskräfte lernen Tango – und damit Menschlichkeit
Welche Eigenschaften des Tangos würden einer Führungskraft, einem Unternehmen schnell weiterhelfen?
Susanne Opitz: Das Anerkennen der Co-Kreation, der Gleichwertigkeit der Rollen. Es muss jemanden geben, der immer den Überblick hat, der die Verantwortung trägt und den Rahmen gibt – aber gleichzeitig die andere Rolle wertschätzt. Der Geführte braucht Raum sich zu entfalten, ist aber entlastet davon, ständig den Gesamtüberblick zu haben. Hier sind Improvisation und die aktive Rolle des Folgenden die großen Themen. Über die Verteilung der Rollen sollte aber Klarheit bestehen. Man braucht eine Matrix.
Andreas Neumann: Ultimatives Ziel im Tango ist es, sich als Einheit auf der Tanzfläche zu bewegen. Das gilt auch für Unternehmen im Markt. Man stelle sich vor, dass alle Mitarbeitenden hinter der Richtung, der Strategie, den Zielen und Werten stehen. Das gelingt nur, wenn man dem anderen zuhört, mit dem Versuch, ihn auch zu verstehen: Hin zu Empathie und Menschlichkeit, weg vom patriarchalischen Führungsverständnis.
Die ersten Workshops sind gelaufen. Was hat Sie bestätigt, was hat Sie überrascht?
Susanne Opitz: Die Teilnehmer gingen mit leuchtenden Augen, weil sie etwas erlebt haben. Überrascht hat mich, als ein Teilnehmer nach dem Praxisteil sagte, er hätte erkannt, dass er gar nicht so gerne Führen möchte, sondern sich wohler fühle in der Rolle des Folgenden.
Andreas Neumann: Wir freuen uns, wenn die Teilnehmer mit mehr Energie nach Hause gehen als zu Beginn zu sehen war. Es ist auch schön zu sehen, wie die Menschen mit Veränderungen umgegangen sind. Man muss ins Tun, ins Handeln kommen und auch Mut zum Handeln haben. Häufig gehen sie mit einem Lächeln im Gesicht – das macht uns glücklich.
Weitere Informationen: über Susanne Opitz und Andreas Neumann.