Düsseldorf/Dortmund/Essen/Mülheim. Drogen, Waffen, Auftrags-Schläger. Unter „Crimemarket“ gab es im Internet alle Arten von kriminellen Angeboten. Jetzt ist Schluss damit.
Rot und klein die Augen, müde das Gesicht, so kommt Kriminaldirektor Michael Graf von Moltke am frühen Freitagnachmittag zur Pressekonferenz im Düsseldorfer Polizei-Präsidium. „War spät letzte Nacht“, sagt er und lächelt. Hat sich aber gelohnt. Denn in einer bundesweiten Aktion ist die Ermittlungskommission Agora (Marktplatz) von Düsseldorf und Köln aus bis tief in die Nacht gegen die „größte deutsche kriminelle Handelsplattform“ vorgegangen, die es bisher in Deutschland gab. Nicht im für Laien schwer erreichbaren „Darknet“, sondern in dem Bereich, den die Fahnder „Clearnet“ nennen – also im ganz normalen Internet. „Da konnte jeder ohne IT-Kennnisse rein“, sagt von Moltke. „Da gab es keine Hürden.“
„Crimemarket“ geschlossen: Angebot ließ keine Wünsche offen
Dafür gab es ein Angebot, das kaum einen kriminellen Wunsch offenließ, übersichtlich aufgegliedert in Kategorien, so wie man es von den großen legalen Plattformen kennt. Von dem Plattformbetreiber selbst und von dort gebündelten „speziellen“ Anbietern. Nur dass bei „Crimemarket“ nicht Bücher, Musik oder Haushaltswaren zu kaufen waren, sondern Drogen aller Art, gestohlene Kreditkartennummern oder Zugänge zu Bezahl- und Kleinanzeigenportalen. Auch die Auswahl an Waffen war groß – von verbotenen Messern über Handfeuerwaffen bis zur Maschinenpistole war alles zu haben. Altersnachweis nicht nötig. Und selbstredend gab es auch ein spezielles Werkzeug, mit dem sich gefälschte Personalausweise herstellen lassen.
Damit nicht genug: Wer von den rund 180.000 registrierten Kunden sich nicht gerne selbst die Hände schmutzig macht, konnte in der Rubrik „Verbrechen als Dienstleistung“ auch einen Schläger oder Räuber buchen. „Dir schuldet jemand Geld, ich besorge es dir.“ Auch Terror ohne Grund war im Angebot – solange die Bezahlung stimmte. Gezahlt wurde per Kryptowährung oder über Treuhändler. Und Bewertungen gab es natürlich auch: „Schnelle Lieferung, guter Stoff, gerne wieder.“ Dauerte eine Lieferung mal zu lange, legte mancher Verkäufer zur Entschuldigung ein oder zwei Gramm extra hinzu.
Anleitungen für kriminelle Einsteiger
Selbst Einsteiger waren willkommen. Für sie gab es Schulungsunterlagen in Sachen Verbrechen wie „Betrug mit der Paketstation“. Er habe ja schon einiges erlebt als Ermittler, sagt der Kriminaldirektor. „Aber das hat mich doch überrascht, ja sogar geschockt.“ Zumal unter der Kundschaft nach den bisherigen Ermittlungen auch viele Kinder und Jugendliche waren.
Insgesamt wurden in der Nacht zu Freitag 102 Objekte in Deutschland durchsucht. 36 davon NRW, wo 500 Einsatzkräfte unter anderem in Essen, Bottrop, Dortmund und Mülheim im Einsatz waren. Bundesweit sichergestellt wurden dabei Bargeld, Luxuslimousinen, Schmuck und Taschen im Gesamtwert von mehr als 600.000 Euro. In Korschenbroich wurde ein 23-Jähriger festgenommen, der zu den Köpfen der Plattform zählen soll. Gegen ihn werde wegen Geldwäsche und Computerbetrugs ermittelt, bestätigte die Staatsanwaltschaft. Insgesamt gab es sechs Festnahmen, drei davon in NRW.
Umsatz in Millionenhöhe
Crimemarket öffnete nach bisherigen Ermittlungen 2018 seine virtuellen Pforten. In den letzten vier Jahren hat der Plattform geschätzt rund 25 Millionen Euro Umsatz gemacht. Welchen Schaden die Kundschaft mit den dort georderten Waren angerichtet hat, weiß niemand.
2020 wurde die Polizei auf den illegalen Internetshop aufmerksam und nahm Ermittlungen auf. Natürlich hätten sie schneller zuschlagen können, sagt Staatsanwalt Christoph Hebbecker von der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW). Aber einfach nur eine Seite zu blockieren und einen Server abzuschalten sei nur „ein kurzfristiger Erfolg“, so der Staatsanwalt. Meist sei das Angebot oft schon Stunden später wieder online, weil es stets auf mehreren Servern gespiegelt und gesichert wird. „Da steht man dann schnell ganz doof da. Wie wollten das nachhaltiger machen.“
Die Arbeit der Ermittlungskommission ist noch nicht abgeschlossen
Mit der Aktion der Nacht, sagt Hebbecker weiter, sei die Arbeit der EK-Agora auch nicht abgeschlossen. Ganz im Gegenteil. Bei den zahlreichen Durchsuchungen seien unter anderem auch Kundenlisten beschlagnahmt worden – teils mit Datensätzen in sechsstelliger Größenordnung. Vor allem aber mit Klarnamen und Postadressen, weil viele Bestellungen eben per Post verschickt wurden. Gegen die Kunden soll nun auch ermittelt werden. „Das ist noch viel zu tun“, räumt Hebbecker ein.
Er würde nie so weit gehen und sagen, Crimemarket sei „zerschlagen“, zeigt sich der Staatsanwalt realistisch. Weil nicht auszuschließen sei, dass irgendwo bereits irgendwer wieder dabei ist, die Seite neu zu programmieren. „Aber es war ein großer Schlag gegen die Szene“, sagt er. Und auch eine Warnung, wie Hebbecker mehrfach betont. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“, stellt er klar. Selbst Crimemarket-Kunden, die in den nächsten Tagen und Wochen nicht von der Polizei hören, sollten sich nicht zu sicher sein. „Es kann auch sein, dass wir erst in einem Jahr vor ihrer Tür stehen.