Frechen. Kamelle im Karneval stammen vielfach von Ralf Krott in Frechen. Er hat Wurfmaterial zu Werbeplattformen entwickelt - und neue Tütchenformen.
Ralf Krotts Griff geht tief in die transparente Plastikdose. Als er die Hand hinauszieht, lässt er den Inhalt auf den Büroboden fallen: ein stattlicher Haufen Kamelle-Tütchen. Dann zeigt er seine Neuheit: Dieselbe Hand, der gleiche Wurf – doch nur wenige Beutelchen fliegen durchs Büro. Grund ist eine neue Tütchenform. Man wird’s bei den kommenden Karnevals-Umzügen merken.
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Eine Hochregal-Lagerhalle in einem Gewerbegebiet in Frechen ist seit Wochen Pilgerstätte für Karnevalisten und -innen. Krott ist bundesweit der Kamelle-Profi schlechthin. Ob Prinzen oder Dreigestirne: „Wir statten die Top-Vereine aus“, sagt er. Und viele andere Karnevals-Vereine, Fußgruppen, Privatleute, die in Umzügen mitlaufen, auch.
Karneval an Rhein und Ruhr: Kamelle sind ein Millionen-Business
Krott ist nicht nur ein Händler, sein Geschäft ist das „Artikel veredeln“, vom Inhalt bis zur Verpackung. Karneval „ist eine riesige Werbeplattform“, sagt der 53-jährige beim Besuch. So finden sich zunehmend auch QR-Codes auf den Packungen, per Handy gescannt ploppen Videos oder Websites auf. Gar für Personalwerbung werden sie inzwischen genutzt, „mit Erfolg“, sagt Krott, wie zuletzt im Rosenmontagszug in Düsseldorf bewiesen. Mit 4,5 bis 5 Millionen Euro Umsatz rechnet er in diesem Geschäftsjahr, das im Juni endet. Nur mit Kamelle.
Hans Hermann Mleczak, Ehrenpräsident der 1. KG Königshardt, hat bei Krott in der Woche vor dem Start des Straßenkarnevals gute 30.000 Euro gelassen: Wurfmaterial für fünf Karnevalswagen bei zwei großen Umzügen in Oberhausen. Finanziert von Sponsoren. Die auch den LKW bereitgestellt haben, mit denen er und Vereinskollegen neun brusthoch mit Süßwaren-Kartons beladenen Euro-Paletten in Frechen persönlich abgeholt haben: „Das machen wir seit 20 Jahren so“, berichtet Mleczak, der den Firmenchef Krotti nennt. „Karneval ist ein ‚Du‘-Geschäft“, erklärt dieser: „Es läuft alles über Empfehlung.“
12.000 Euro nur für Kamelle im Rosenmontagszug - Duisburgs Prinz dankt seinem Sponsor
Duisburgs Prinz Karneval Matthias Ufermann etwa, Schatzmeister und Leiter der Tanzgarde von Rot-Weiß Hamborn-Marxloh, saß mit seiner Entourage schon im vergangenen Sommer bei Krott im Büro, das umrahmt ist von Regalen voll mit Kamelle-Proben. Ein Drei-Stunden-Termin war das, berichtet Ufermann am Telefon - und es ging einzig und allein ums Thema Kamelle: Was kommt beim Publikum an, was bleibt am Boden liegen? Wie lässt sich das Budget am besten aufteilen - und die Verpackungen individuell bedrucken? Solche Fragen gilt es zu klären und der zeitliche Aufwand sei üblich, wenn die Großen sich beraten lassen, erklärt Ralf Krott.
Schon Ufermanns Vorgänger waren bei Krott Kunden. Für 12.000 Euro Budget hat Ufermann sich schließlich ausstatten lassen mit Waffeln, Schaumgummi, Brezeltütchen, Schokoriegeln – was die Herzen am Straßenrand erfreut. Die Verpackungen sind bedruckt mit dem Namen von Ufermanns Arbeitgebers, einer Personalberatung, die das finanziert. „Ich freue mich wahnsinnig auf Rosenmontag“, sagt Ufermann: „Die Menschen sollen ihre Freude haben!“ Lesen Sie auch:Rosenmontagszug in Duisburg: Wo tonnenweise Kamelle fliegen
Ein Kind in einem Schul-Umzug mit Wurfmaterial ausstatten? „50 Euro sollte man schon einplanen“, meint Ralf Krott. Je nach Länge des Zugwegs. Damit sich die Jecken am Wegesrand nach dem Wurfmaterial auch bückten, „muss man Qualität bieten“, auch in Sachen Optik, meint der 53-Jährige, der vor 25 Jahren sein Unternehmen gründete und dafür einen gut bezahlten Management-Job bei Bayer aufgab: Waffeln – 12 Gramm Inhalt – farblich bunt gemischt verpackt mit aufgedruckten Piraten-Smileys „sehen interessant aus, die bleiben nicht auf der Straße liegen“, wirbt Krott; der 4-Kilo-Karton kostet bei ihm 21,99 Euro.
Auch Marken-Süßwaren sind bei Jecken beliebt, nicht alle Produzenten aber nutzten den Karneval als Absatz-Möglichkeit, räumt Krott ein, der auch für die Lufthansa produzieren lässt und demnächst auch die Bahn mit ‚Kamelle‘-Ähnlichem beliefert - ganz abseits vom Karneval: „Die Waren liegen ja am Boden.“ Damit sie da nicht liegen bleiben, setzen auch kleinere Vereine darauf „lieber etwas weniger zu werfen, dafür was Ordentliches“, wie Stefan Pitzer berichtet, Vorsitzender der „Saubande“, die in Düsseldorf-Gerresheim den Veedelszoch organisiert. Pitzer kauft beim Großhändler Metro ein („Auch Vereine sind da zugelassen“), der Weg nach Frechen ist ihm zu weit. Und die Metro? Wird laut Krott in Sachen Kamelle auch von seinem Unternehmen beliefert...
Ein Kamelle-Trend in diesem Jahr: Tütchen in Pyramidenform
Die eigens entwickelten Kamelle-Tütchen in „Pyramidenform“, die Krott im Büro über dem Lager vorgeführt hat, haben ‚Bück-Faktor‘, verspricht der Kamelle-Profi. Und gute Flugeigenschaften, je nach Inhalt. Wichtig vor allem bei Männern: „Die werfen von Wagen gern weit und hoch.“ Weiterer Vorteil: „Man kommt mit weniger Wurfmaterial aus.“ Ein Kamelle-Trend 2024 angesichts gestiegener Preise, sagt Krott. Auch interessant: Bis 40 Prozent teurer: Weniger Kamelle beim Karneval in NRW
Ebenfalls diesmal neu: Kamelle mit Prädikat „halal“ – um neue Zielgruppen an den Karneval zu führen. Krotts Lebenspartnerin sei Rektorin einer Brennpunktschule in Köln - so sei die Idee entstanden. Vegan sei indes noch kein Kamelle-Trend, sagt Krott: Vegane Produkte seien dreimal teurer im Einkauf als herkömmliche, erklärt Krott.
Nachhaltige Kamelle kommen bei den Karnevalsumzügen 2025 groß raus
2025 werde auch die Nachhaltigkeit im Karneval an Fahrt aufnehmen, kündigt Krott an: „Wir sind die ersten, die dann Kamelle in Papier-Packungen anbieten werden – statt Plastik.“ Was auch kommen soll: Fair gehandelte Schokolade aus Kakao-Ersatz, mit deutlich besserer CO₂-Bilanz und viel günstiger im Preis, preist Krott an. Er glaubt: „Kakao wird zum Luxusprodukt werden“, für Kamelle kaum mehr zu bezahlen.
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800 verschiedene Produkte hat Krott zur Auswahl, zumeist Essbares. 2000 Paletten fasst sein Lager. Seit Wochen ist der Betrieb ein tägliches Rein und Raus und Krott hat das Telefon am Ohr, wenn er in Daunenjacke im Lager unterwegs ist. Bis Karnevalssamstag kann sich jeder bei Krott noch mit Wurfmaterial eindecken.
Kürzlich sei ein Prinzenpaar aus Niedersachsen bei ihm gewesen, erzählt Krott zum Schluss: „Die dachten, 1000 Euro für Kamelle seien viel.“ Er macht eine vielsagende Pause nach dem Satz. Sein Tipp: „Man darf an Kamelle nicht über den Preis rangehen.“ Denn: „Für billige Bonbons bückt sich keiner mehr.“ Und allen, die mit kleinen Kindern in Umzügen mitlaufen, rät der Profi: „Eltern, haltet euch zurück, lasst Eure Kinder werfen.“ Kleine Hände fassen weniger. Gut fürs Budget…
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>> Hintergrund: Viele Namen für Kamelle
Im Rheinland sind mindestens zehn verschiedene Begriffe verbreitet zum Wurfgut in Karnevalsumzügen. Am Niederrhein sind „Bröcksges“ geläufig, in den Kreisen Neuss und Viersen zumeist „Klömpkes“, im Raum Köln ist „Kamelle“ verbreitet. Auch „Ballekes“, „Bömskes“ oder schlicht „Bonbons“ finden sich in bestimmten Orten oder Gegenden in NRW, hat das LVR-Institut für Landeskunde in Bonn 2018 für NRW ermittelt. Es geht wohl auf den Kölner „Held Karneval“ und den Beginn des organisierten Karnevals vor 200 Jahren zurück, dass in den Umzügen Bonbons und Blumen geworfen wurden. Anfangs nur vom Prinzen selbst, sagt LVR-Referentin Gabriele Dafft. Dieser Brauch wiederum war angelehnt an alte herrschaftliche Rituale, dem Volk dann und wann etwas Gutes zu tun, was auch als „kleine Demonstration von Status und Macht“ zu verstehen gewesen sei. „Nicht plausibel“ sei es laut Dafft, das Kamelle-Werfen ausschließlich aus einer religiösen Bedeutung abzuleiten, als Ausdruck der Völlerei vor der Fastenzeit, die für Christen mit Aschermittwoch beginnt. Der Grund, sagt Dafft: „Anfangs wurde nicht mit vollen Händen geworfen.“ Das ist erst ein Phänomen unserer Zeit. (dae)
>> Karneval als Wirtschaftsfaktor
Alleine der Kölner Karneval schätzt die Wirtschaftskraft von Sitzungen und Umzügen auf 600 Millionen Euro. Die jüngsten Zahlen waren aber vor dem Knick durch die Corona-Pandemie. Am meisten profitiere das Hotel- und Gaststättengewerbe. Doch es gibt Unterschiede, sagt Thorsten Hellweg vom Gaststättenverband Dehoga NRW. „Neben den Betrieben, die über Karneval deutlich mehr an Umsätzen generieren, gibt es auch die Betriebe, die wegen ausbleibenden Geschäftsreiseverkehrs beispielsweise weniger Umsätze machen.“ Eine Umfrage 2023 zeigte, rund um den Dom ist das Karnevalsgeschäft ausgeprägter als in Düsseldorf, mit Blick auf die Kneipen profitieren Gastronomen fast in der gesamten Stadt, in Düsseldorf zumeist nur in der Altstadt. Mehr Umsatz aber machten Gaststätten zur Weihnachtszeit, „weil an Karneval traditionellerweise mehr getrunken als gegessen wird.“ (dae)