Köln. Das Kölner Landgericht hat Thomas Drach am Donnerstag zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er will sich nun mit einer Revision wehren.
Der wegen Raubs und versuchten Mordes verurteilte Thomas Drach wehrt sich juristisch gegen das Urteil des Kölner Landgerichts. Der 63-Jährige habe über seine Anwälte Revision eingelegt, bestätigte das Gericht am Dienstag (9. Januar) auf dpa-Nachfrage. Zuvor hatten mehrere Medien darüber berichtet.
Noch im Gerichtssaal hatte Drach erklärt, dass er sofort Revision einlegen wolle. Das Gericht hatte ihn aber abgeblockt und erklärt, dass dies schriftlich bei der Geschäftsstelle geschehen müsse. Drach hatte in dem Prozess stets alle Vorwürfe bestritten, seine Verteidiger hatten Freispruch für ihn beantragt.
So war der Prozess gegen Thomas Drach in Köln: 63-Jähriger spricht zum Abschluss von „Geschwätz“ und „Lügen“
Unsere Reporterin hat das zwischenzeitliche Finale des Prozesses am vergangenen Donnerstag begleitet und wie folgt zusammengefasst:
Sie haben ihn einen „Mammutprozess“ genannt. Aber zwei Jahre Verhandlung nach mehreren Raubüberfällen auf Geldtransporter und versuchtem Mord mit einer Kalaschnikow sind nicht einmal viel für Deutschlands vielleicht bekanntesten Schwerverbrecher. Am genau 100. Verhandlungstag ist am Donnerstag in Köln Thomas Drach verurteilt worden. Der inzwischen 63-Jährige, der schon 25 Jahre seines Lebens in Haft verbracht hat und einmal über sich selbst gesagt hat, er sei „seit 50 Jahren kriminell“, wird nun vielleicht nie mehr freikommen: Die 21. Große Strafkammer des Landgerichts verurteilte ihn zu 15 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.
Mag sein, dass er tatsächlich ein wenig nervös ist an diesem Morgen. Umständlich sortiert er mehrere eng beschriebene Seiten Papier, atmet schwer, sitzt dann abwartend mit verkrampften Händen. Dabei ist die Situation für ihn nichts Neues: Thomas Drach ist der Mann, der in den 90er-Jahren den Tabakerben Jan Philipp Reemtsma entführte und mit Millionen im Ausland verschwand. Der auch nach einer langen Gefängnisstrafe immer wieder gesucht wurde. Der weiß, er ist „sehr, sehr bekannt“. Deutschland kennt sein Gesicht, auch wenn es mehr geworden ist und das Haar noch weniger, und Drach kennt das Gericht. Und die Kameras, die auf ihn warten.
Er hat viel gesagt im Prozess: unterstellte seinem einstigen Opfer Reemtsma, seine Verurteilung zu betreiben, einem Verteidiger, in die Anklägerin verliebt zu sein. Was ihn selbst betraf aber, hat er alles bestritten und am Donnerstag nun das „letzte Wort“. Und Thomas Drach in seiner Trainingsjacke teilt einmal mehr aus. Die Anklage eine „konstruierte Geschichte“, die Verhandlung „alles dummes Geschwätz“. Die Zeugen „gekauft“, die Vorwürfe „abstrus“, die Beweise erfunden, ein Gutachter ein „zugekokster Wichtigtuer“. Alles Lüge! „Ich erwarte“, sagt der Angeklagte Drach, „einen glasklaren Freispruch.“ Der Staatsanwältin schickt er eine Drohung hinterher: Sollte das Urteil so ausfallen, wie Anja Heimig gefordert habe, werde er sie „vor einem unabhängigen Gericht anzeigen“.
Es kommt genau so. Eineinhalb Stunden nimmt sich die Kammer zur weiteren Beratung, dann heißt es im Namen des Volkes, was auch im Plädoyer der Anklage stand: 15 Jahre plus Sicherungsverwahrung. Für das Gericht ist klar, es war Drach, der 2018 und 2019 drei Raubüberfälle auf Werttransporter in Köln und Frankfurt am Main begangen hat. Bei zwei der Taten zog er seine Langwaffe, „schoss die Geldboten über den Haufen“, wie der Vorsitzende Richter Jörg Michael Bern sagt. Die beiden Männer erlitten schwere Verletzungen, körperlich wie seelisch. Einer ist inzwischen verstorben, seiner Witwe spricht die Kammer nun Schmerzensgeld zu. Nur ein ursprünglich ebenfalls angeklagter Überfall im hessischen Limburg war Drach nicht nachzuweisen, das hat auch die Staatsanwältin so gesehen. Obwohl zwischen den Zeilen durchklingt: Es passt auch bei dieser Tat vieles auf den „Berufskriminellen“, wie Bern sagt.
Thomas Drach: „Niemand hat mich erkannt“
Der wiederum hat zwar behauptet, es habe ihn niemand wirklich erkannt. Auch seine Verteidiger argumentierten so: „Niemand hat gesagt: Da ist er doch, der Thomas, der Reemtsma-Entführer.“ Ihr Mandant sei „vielleicht verdächtig“, die Indizien reichten aber nicht. Das sieht die Strafkammer anders. Beim Aneinanderreihen aller Indizien, so Richter Bern, würden „deutliche Schnittmengen“ offenbar: Das Erbgut von Drach an einem Fluchtauto, die Ähnlichkeit der Täter in Statur, Gummistiefeln, weißen Handschuhen bis hin zu den X-Beinen, der einem Geldboten gestohlene Revolver, der bei der nächsten Tat wieder auftauchte, die immer gleichen Autotypen, deren Vermittler Drach allesamt kannten – „das lässt nicht mehr an Zufälle glauben“.
Ein Zeuge, dem Drach sich offenbart haben soll – Bern nennt ihn den „Knastzeugen“ – habe das „schon gefundene Ergebnis“ lediglich bestätigt. Die Verteidigung hatte den Mann als nicht glaubhaft bezeichnet, Medien hatten ihn einen „Joker“ genannt. Das Gericht aber sei sich bewusst gewesen, „im Knast wird viel erzählt, wenn der Tag lang ist“. Und habe die Aussage nicht überbewertet.
Jeder Punkt der Urteilsbegründung wird von zwei Seiten im Saal quittiert: Links nickt die Staatsanwältin zustimmend, rechts schüttelt die Verteidigung fassungslos den Kopf. Allein Thomas Drach selbst sitzt regungslos da, den Kopf in die Hand gestützt. Bei den Juristen sieht man so viel Reaktion selten. Aber auch der Kammervorsitzende spart damit nicht. Deutlich kritisiert Bern den Verlauf der Verhandlung, die manche „schillernd“ genannt haben oder wenigstens „reich an überraschenden Wendungen“. Da sei der Anwalt gewesen, der erst des Saales und dann des Verfahrens verwiesen wurde. Die Entbindung eines Sachverständigen, den Drachs Anwälte „persönlich angingen, wie ich das noch nie erlebt habe“.
Vorsitzender Richter wirft Anwälten „Respektlosigkeit“ vor
Der Umgang auch mit Zeugen aus den Niederlanden, die Köln empört verließen. Der plötzliche Aufmarsch „einer Fußballmannschaft so genannter Kronzeugen, die dann doch nichts gesagt haben“. „Schlecht gespielte Empörung“, „Respektlosigkeit“, „Unverschämtheit“, wirft der Vorsitzende den Rechtsanwälten Drachs vor, und „eine Impertinenz, die ihresgleichen sucht“. Die Herren der Verteidigung fühlten sich dem Ziel der Wahrheitsfindung offenbar „nicht mehr verpflichtet“.
Dokumentiert worden sei das auch durch die Flut von Befangenheitsanträgen gegen das Gericht, die zum Schluss allein neun Aktenbände füllten. Immer wieder habe die Verteidigung den Richtern „Beweismittelfabrikation“ vorgeworfen, Zeugen wie Ermittlern Bestechung und Korruption. Die Behauptung: „Wäre es nicht Thomas Drach gewesen, wäre es gar nicht zu einer Anklage gekommen“, nannte Bern „absurd“. Es gebe „keinerlei Anhaltspunkte für eine Einflussnahme auf das Gericht“.
Das, betont Richter Bern, habe sich durchaus „Mühe gegeben“, etwas zu finden, das zugunsten des Angeklagten hätte gewertet werden können. „Aber da war kaum etwas.“ Die Verfahrensdauer, die Unterbringung im Hochsicherheitsbereich, der schwierige Start zu Corona-Zeiten? Oder das fortgeschrittene Lebensalter: „Aber das hat ihn ja auch nicht von den Taten abgehalten.“ Auf der anderen Seite stünden die Vorstrafen, allesamt für schwere Verbrechen und „komplett ohne Eindruck geblieben“.
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Thomas Drach, das hat auch ein Sachverständiger gesagt, habe einen „fest eingeschliffenen Hang zur Begehung von Straftaten“. Der 63-jährige ordne sich grundsätzlich eher einem kriminellen Umfeld als der Zivilgesellschaft zu. Er wolle ein luxuriöses Leben führen, wiederholt Bern, „unter Vermeidung der dafür üblichen Anstrengungen“. Millionen hatte Drach durch die Entführung Reemtsmas gemacht, die Gesamtsumme der nun verurteilten Taten beläuft sich auf „mickrige“ 142.000 Euro.
Nach dem Urteil: Thomas Drach kündigt Revision an
Teurer kommt den Staat wohl nun sein Prozess. Aus Sorge, der Gangster könne doch noch die Flucht versuchen oder mit Waffengewalt früherer Komplizen befreit werden, fanden alle 100 Verhandlungstage unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Das Viertel um das Justizzentrum wurde abgesperrt, Hundertschaften der Polizei sicherten das Gebäude und den Transport des Angeklagten aus der nahen JVA ins Gericht: mit dem Hubschrauber. Insgesamt soll das einen Millionenbetrag gekostet haben.
Thomas Drach verkündete noch im Gerichtssaal durch das Saalmikrofon, er werde in Revision gehen. Zuerst war fraglich, ob seine Verteidiger ihm dabei helfen: Nach kruden Verschwörungstheorien hatte der Mandant auch mit ihnen seit einigen Wochen kein Wort mehr gesprochen. Seit Dienstag, dem 9. Januar, ist klar: Er wehrt sich juristisch mit einer Revision.
>>INFO: TEILVERFAHREN LÄUFT NOCH WEITER
Der Start in das Verfahren gegen Thomas Drach und einen mutmaßlichen Mittäter geriet gleich nach Beginn im Februar 2022 wieder ins Stocken. Zahlreiche Verhandlungstage fielen wegen Corona-Infektionen und anderer Erkrankungen aus. So klagte Drachs Mitangeklagter immer wieder über Schulterschmerzen. Schließlich trennte das Gericht das Verfahren des Niederländers ab, seit Sommer 2023 wird gegen ihn separat verhandelt.
Dem Hauptverfahren ging eine längere Suche nach Drach voraus. Er wurde im Mai 2021 schließlich aus den Niederlanden nach Deutschland ausgeliefert. 1996 hatte Drach den Erben der Hamburger Tabak-Dynastie Reemtsma, Jan Philipp Reemtsma, entführt und nach 33 Tagen wieder freigelassen, gegen ein Lösegeld von 15 Millionen D-Mark und 12,5 Millionen Schweizer Franken. Für die Tat war er zu vierzehneinhalb Jahren Haft verurteilt worden.