Ruhrgebiet. Seit Oktober vergangenen Jahres sprengen unbekannte Täter quer durchs Ruhrgebiet Fahrscheinautomaten. Was steckt dahinter?
Eigentlich soll so ein Fahrkartenautomat einiges aushalten. Seine Sicherheitsklasse RC4, so ein Branchendienst, „bietet auch erfahrenen Tätern Widerstand, die mit Schlagaxt, Stemmeisen, Hammer und Meißel sowie Akku-Bohrmaschinen vorgehen“. Es sei denn, besonders erfahrene Täter greifen kurzerhand zu einem Sprengmittel.
Dann sieht das Bild so aus: Die Innereien des zerstörten Automaten sind notdürftig verdeckt mit Spanplatten, einzig rot-weißes Flatterband scheint das Wrack noch zusammenzuhalten; seine abgesprengte Fassade liegt irgendwo in der Nähe, dazu Splitter, Schrauben und Geräteteile.
Wohl fünfzehnmal haben unbekannte Täter oder Täterinnen seit Ende Oktober 2023 solche Automaten des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) an Haltepunkten der Bahn nachts gesprengt.
Schaden mit jedem gesprengten Ticketautomaten: 20.000 bis 25.000 Euro
„Derzeit kommt es im Verbundraum vermehrt zu Automatenaufbrüchen“, sagt Dino-Niemann, Sprecher des VRR. Und das fast immer im Ruhrgebiet, zwischen Dortmund-Dorstfeld und Duisburg-Rheinhausen, zwischen Marl-Hamm und Essen-Kupferdreh. Dazu: Bochum, Bottrop, Gelsenkirchen. Betroffen sind überwiegend kleine Stationen, wo nachts niemand ist und wo es dauert, bis jemand nachschauen kann, was hinter dem Knall gesteckt hat, den der ganze Stadtteil gehört hat. Die bisher letzte Explosion geschah Mitte Dezember. Die Polizei geht von einer Serie aus.
Haben vielleicht die berüchtigten Geldautomaten-Sprenger aus Holland ein neues Ziel gefunden? Wohl eher nicht. „Generell ist die Erwartung an einen hohen Geldbetrag in Ticket-Automaten gering“, heißt es bei der Polizei in Essen: „Deswegen gehen wir davon aus, dass es häufig um nichts weiter als Vandalismus geht.“ Sie ermittelt wegen schweren Diebstahls und wegen des „Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion.“
Ticketautomaten der einzelnen Verkehrsgesellschaften nicht betroffen
Zur Höhe der Beute äußert sich der VRR nicht, aber jeder Totalschaden schlägt mit 20- bis 25.000 Euro zu Buche. Und der Verbund unterhält mehr als 440 solcher Automaten. Kurioserweise interessieren sich die großen Unbekannten bisher nicht für die Automaten der einzelnen Verkehrsgesellschaften. „Wir haben aktuell keine Vorfälle an den Fahrscheinautomaten zu verzeichnen“, sagt Stefanie Knück von der Stoag in Oberhausen. Katrin Naß von der Duisburger DVV meldet „aktuell glücklicherweise keine Probleme“, und auch die Ruhrbahn und die Bogestra sind wenigstens in dieser Hinsicht sorgenfrei.
Für Fahrgäste ist die Lage freilich misslich, wenn sie an einem Haltepunkt dann gar kein Ticket kaufen können. Allerdings informiere der Verkehrsverbund die Bahnunternehmen, wo Automaten defekt sind, so VRR-Niemann. Fahrgäste könnten dann das Ticket beim Zugbegleiter oder der Zugbegleiterin kaufen. Wichtig: Sie müssen sie im Zug aufsuchen und dürfen nicht irgendwo sitzen, bis eine Kontrolle kommt. Denn dann besteht Schwarzfahrverdacht.
„Raubstopptinte“ soll die Beute entwerten
An mindestens fünf der betreffenden Standorte hat der VRR vorübergehend die Annahme von Bargeld gesperrt. „Aufgrund wiederholter Aufbrüche und Vandalismus akzeptieren wir an diesem Automaten vorerst kein Bargeld mehr. Wir bitten um Entschuldigung“, heißt es auf einem Aushang in Essen. „Aktuell“ werde aber nicht daran gedacht, das ganze System auf bargeldlos umzustellen.
Sowohl der Verkehrsverbund wie etliche seiner Gesellschaften setzen außerdem sogenannte Raubstopptinte ein. Sie verfärbt die Geldscheine im Moment einer Sprengung unwiederbringlich. Dennoch nehmen die Täter und Täterinnen auch solche Scheine häufig mit. Vermutlich hoffen sie, man könne die Farbe wieder herauskriegen oder es gebe einen Markt für besonders bunte Banknoten. Das wird ja gern erzählt.
„Keine Hinweise auf einen Schwarzmarkt, reinigen ist nicht möglich“
Doch „das ist eine Mär“, sagt Markus Niesczery vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen. Es gebe „keine Hinweise auf einen Schwarzmarkt“. Und: „Reinigen ist nicht möglich.“ Man darf wohl unterstellen, dass der Sprengtrupp schauen will, ob vielleicht einzelne Scheine doch nicht verfärbt sind. In Einzelfällen ist auch bekannt, dass Menschen mit markierten Scheinen bezahlt haben oder das wollten, etwa in der Hektik eines Samstagvormittags an der Kasse im Supermarkt.
Doch Vorsicht: Auch wenn einem das Sprengen von Fahrkartenautomaten persönlich fernliegt, darf man mit einem solchen Schein zweifelhafter Herkunft nicht einfach irgendwo bezahlen. „Wer einen Gegenstand, der aus einer rechtswidrigen Tat herrührt . . . verwahrt oder für sich oder einen Dritten verwendet“, dem droht eine Freiheits- oder Geldstrafe. So steht es in Paragraf 261 Strafgesetzbuch. Es ist der Paragraf: Geldwäsche.