Essen. Franz-Josef Overbeck appelliert in seiner Weihnachtsbotschaft an die Solidarität der Menschen. „Jeder Krieg ist eine Niederlage der Menschlichkeit“.
In Zeiten von Krieg, Gewalt und Krisen appelliert Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck an die Solidarität und die Barmherzigkeit der Menschen im Bistum. Zugleich fordert er sie dazu auf, die Demokratie zu stärken und sie nicht den Populisten und Vereinfachern zu überlassen. „Einfache Antworten haben alle einen hohen Preis“, mahnt Overbeck. Zum diesjährigen Weihnachtsfest möchte er den Gläubigen im Bistum Zuversicht mit auf den Weg ins neue Jahr geben. Daher wählte er als Weihnachtsbotschaft einen Satz des Propheten Jesaja: „Frieden ist ein Werk der Gerechtigkeit“. Christopher Onkelbach sprach mit dem Bischof von Essen.
Viele Menschen sind verunsichert durch die starke Zuwanderung von Geflüchteten. Verstehen Sie die Sorgen oder fehlt es uns an Barmherzigkeit?
Bischof Overbeck: Ich denke, dass sich Barmherzigkeit und Sorgen hier oft gar nicht ausschließen. Die Zuwanderung von Geflüchteten und ihre Ursachen hängen mit vielen globalen Problemen zusammen, für die viele Menschen aktuell keine langfristigen Lösungsperspektiven sehen. Ihre Sorgen darüber bringen sie aber doch meist nicht in Form von Unbarmherzigkeit gegenüber geflüchteten Menschen zum Ausdruck. Es gibt nach wie vor starke Zeichen von Verbundenheit und Solidarität! Das ist nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der vielerorts die Tendenz wächst, zuerst auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu schauen. Die Zuwanderung von Geflüchteten ist eine Tatsache. Die Sorgen darüber, wie dies zukünftig weitergehen kann, sind berechtigt, weil die Fluchtursachen nicht beseitigt werden, sondern eher noch zunehmen. Deswegen aber unsere Menschlichkeit zu verlieren, ist Gott sei Dank für die allermeisten Menschen in unserem Land keine Option.
Der Krieg in der Ukraine geht bald ins dritte Jahr. Muss der Westen, muss Deutschland weiterhin Hilfe leisten?
Wir müssen uns darauf einstellen, dass dieser Konflikt noch lange andauern wird, denn dort wird ein Systemkrieg geführt. Wir können sehen, was es heißt, wenn ein Land seinen Nachbarn überfällt, nur um seinem selbst behaupteten Machtspruch Geltung zu verschaffen. Russland steht mit seinem Machtsystem für absolutistische Gewalt und damit für den gescheiterten Versuch, auf den Trümmern der Sowjetunion eine demokratische Ordnung zu errichten und zu erhalten. Die überfallene Ukraine ist auf dem entgegengesetzten Weg – sie will sich die Demokratie bei allen innenpolitischen Problemen nicht mehr nehmen lassen. Dieser Krieg macht deshalb auch deutlich, wie bedeutsam es ist, unser demokratisches Wertegerüst und die damit verbundenen menschenrechtlichen Gewissheiten unter keinen Umständen aufzugeben. Das kann der Ukraine nicht ohne westliche Hilfe gelingen. Es ist unerträglich, was die Menschen in der Ukraine auch dafür aushalten müssen.
Immer mehr Waffen für die Ukraine, unzählige Tote in Israel und im Gazastreifen, der Ruf nach Aufrüstung in Europa - wie können Christen damit umgehen?
Jeder Krieg ist eine Niederlage der Menschheit. Und jeder Krieg ist eine Niederlage der Menschlichkeit – zuallererst derer, die ihn beginnen. Als Christin und Christ kann man all dem nur in dem Bewusstsein begegnen, dass die Anwendung von Gewalt ethisch nur als Ultima Ratio, also als letztmöglicher Weg der Nothilfe, begründet werden kann. Mit der Anwendung von Gewalt geht aber unbedingt die Verantwortung einher, gerechten Frieden erreichen zu wollen. Es kann sogar eine Pflicht zur Nothilfe geben, die ein christliches Ethos der Gewaltfreiheit nicht infrage stellt, sondern davor bewahrt, sich gegen die Menschen zu wenden. Wir müssen Menschen davor schützen können, massivem Unrecht und brutaler Gewalt wehrlos ausgeliefert zu sein.
Angesichts von Krieg, Inflation, Klimawandel und politischen Krisen scheinen gewohnte Sicherheiten wegzubrechen. Woran sollen sich die Menschen orientieren, was dürfen sie hoffen?
Viele Menschen plagen akute Existenzängste. Ich gebe zu, auch keinen einfachen Rat zu wissen angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wenn wir einander ehrlich eingestehen würden, wie schwierig die Lage ist und wie sehr wir in dieser Zeit auf Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung angewiesen sind, dann wäre schon viel gewonnen. In den kommenden Monaten und Jahren werden mit hoher Wahrscheinlichkeit noch größere Belastungen auf uns zukommen. Wir können sie nur gerecht und solidarisch schultern und dürfen dabei unsere Zuversicht nicht verlieren. Dabei sollten wir lernen, aus der Vergangenheit Kraft für das Kommende zu schöpfen, anstatt das Rad der Zeit zurückdrehen zu wollen. Denn das wird uns nicht gelingen.
Wie kann die Kirche den Menschen in diesen Zeiten Halt geben?
Als Kirche ist es unsere Aufgabe, dieser Welt und den Menschen wirklich zu begegnen – und uns dabei nicht von Traumwelten und Illusionen blenden zu lassen. In dieser Welt und in den Menschen dieser Welt zeigt sich Gott – und ruft uns dazu auf, ihn in der Welt und im Miteinander-Leben zu entdecken. Aus vielen Begegnungen weiß ich, dass es eine intensive und auch neugierige Suche nach Sinn und Orientierung gibt, genauso wie einen tiefen Wunsch nach Vergemeinschaftung. Dafür braucht es Identifikationsorte von Kirche, in denen sich Menschen wertgeschätzt und beheimatet wissen dürfen – so, wie sie sind.
Hören die Menschen überhaupt noch auf das Wort der Kirche, des Bischofs?
Nur wenige Menschen hören meiner Wahrnehmung nach noch auf Worte, nur, weil sie Worte der Kirche sind. Wir müssen vor allem mit unseren Botschaften aufgrund ihrer Inhalte überzeugen und für diese selbst auch eintreten. Inwiefern mir dies als Bischof gelingt, mögen andere beurteilen.
Was ist Ihre größte Sorge angesichts der gesellschaftlichen Lage?
Stark ist unsere Gesellschaft und unser Sozialstaat dann, wenn unsere Demokratie auf festen Rückhalt und Zusammenhalt in der Bevölkerung zählen kann. Nur so können große Krisen bewältigt werden. Das wissen die Feinde der Demokratie. Deshalb setzen sie alles daran, diesen Zusammenhalt zu zersetzen und Vertrauen zu zerstören. Von außen her versuchen dies Autokraten, die selbst vor einem Angriffskrieg nicht zurückschrecken. Von innen her versuchen es jene, die auf die schwierigen Fragen unserer Zeit verlockend einfache und bequeme Antworten anbieten. Diese einfachen Antworten haben alle einen hohen Preis. Sie wollen überzeugen, indem sie das Vertrauen in unsere Demokratie schwächen. Das dürfen wir nicht zulassen.
Wie lautet Ihre diesjährige Weihnachtsbotschaft?
„Frieden ist ein Werk der Gerechtigkeit“ – das können wir in der Bibel beim Propheten Jesaja (32,17) lesen. Es gehört zu den Grundüberzeugungen gläubiger Menschen, dass Gott Frieden will. Jeder gerechte Frieden basiert auf einem guten und fairen Ausgleich zwischen Gegnern, aber auch miteinander ringenden Parteien. Das ermöglicht Versöhnung. Und so ist Frieden immer ein Werk der Gerechtigkeit.
Zur Person:
Franz-Josef Overbeck ist seit 2009 Bischof von Essen. 2011 ernannte ihn Papst Benedikt XVI. zum Katholischen Militärbischof für die Bundeswehr. Der Ruhrbischof verantwortet damit die kirchliche Leitung der katholischen Militärseelsorge. Die katholische, evangelische und jüdische Militärseelsorge ist ein eigenständiger Organisationsbereich der Bundeswehr. Als Militärbischof steht Overbeck (59) aber in keinem Dienstverhältnis zum Staat.