Dortmund. Zum Bau einer tödlichen Chemiewaffe war er nicht fähig. Warum das Dortmunder Landgericht einen IS-Anhänger trotzdem für gemeingefährlich hält.
Das Dortmunder Landgericht hat einen Terrorverdächtigen wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu vier Jahren Haft verurteilt. Darüber hinaus ordnete die Kammer die anschließende Unterbringung des Mannes in der Sicherungsverwahrung an. Nach Ansicht der Richter hatte der 26 Jahre alte Iraner einen terroristischen Anschlag mit einer Giftwaffe geplant.
Als er vorgeführt wird, trägt Jamal J. einen dicke Strickjacke mit Kapuze und eine OP-Maske, die nichts von seinem Gesicht erkennen lässt. Erst als Fotografen und Kameraleute den Saal 130 des Dortmunder Landgerichts verlassen haben, nimmt der Angeklagte seinen Gesichtsschutz ab und hört regungslos zu, wie der Vorsitzende Richter das Urteil gegen ihn verliest.
Spezialkommando stürmte Wohnung in Castrop Rauxel
Vier Jahre Haft und anschließende Sicherungsverwahrung wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat lautet es. Nach Überzeugung des Gerichtes hatte der 2015 aus dem Iran Geflüchtete zum Jahreswechsel 2022/2023 einen Anschlag mit einer Chemie-Bombe geplant. Um möglichst viel Schaden anzurichten, habe er Kontakt mit Angehörigen des Islamischen Staates (IS) aufgenommen und über das Internet Anleitungen zur Herstellung der Giftstoffe Rizin und Cyanid erhalten.
Das neue Jahr ist gerade eine Woche alt, als ein SEK-Trupp in Spezialanzügen in de Castrop-Rauxeler Innenstadt eine Wohnung stürmt. Minuten später werden zwei Personen in Unterwäsche abgeführt, vor einem Feuerwehrwagen mit einer Flüssigkeit besprüht und dann unter strenger Bewachung zu einer Dekontaminationsstraße gebracht. Wenig später bestätigt die Polizei: Es geht um Gift, genauer gesagt um Cyanid und Rizin und damit um „biologische Kriegswaffen“.
43000 Fotos und viele Hassvideos auf dem Handy
Schnell rückt Jamal J. ins Zentrum der Ermittlungen. Denn die Polizei hat sein Smartphone ausgewertet und nicht nur über 43000 Fotos und viele Hass- und Hinrichtungsvideos, entdeckt, sondern auch die Zugänge zu mehreren Messengerdiensten, auf denen der Verdächtige angemeldet und eingeloggt ist. Seine Unterhaltungen dort hat er ebenso wenig gelöscht wie die Nachrichten aus WhatsApp oder den Suchverlauf bei Google.
Die Daten zeigen nach Ansicht des Gerichts, dass J. immer wieder Kontakt zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) gesucht hat. Anleitungen zur Herstellung von Giften und zum Bau einer Bombe habe er angefordert und erhalten. Silvester will er zuschlagen, doch es fehlt eine Zutat. „Wäre ein guter Tag gewesen, aber sei nicht traurig“, schreibt ihm sein IS-Kontakt. Am 7. Januar schreibt J. zurück, er habe nun alle benötigten Substanzen endlich zusammen. Nach einem Tipp eines bis heute offiziell nicht genannten, ausländischen Geheimdienstes schlägt die Polizei noch in der Nacht zu.
Angeklagter war der Polizei schon lange bekannt
J. hat zu den Vorwürfen nahezu die gesamte Verhandlung über geschwiegen. Lediglich gegenüber einem psychiatrischen Sachverständigen hatte er sich in einem mehrstündigen Gespräch zu den Vorwürfen geäußert. Die Hinrichtungsvideos auf seinem Handy habe er nie angeschaut, die Anleitungen nur „aus Neugier“ angefordert. Jedenfalls sei er kein „religiöser Fanatiker“. Das klingt 2017 noch anders, als er bei einem Polizeieinsatz auffällt, weil er ankündigt, er wolle Deutsche töten und eine Bombe zünden. Außerdem fordert er seine Ausweisung, um sich dem IS anschließen zu können, denn: „Ich bin ein Terrorist.“
Zumindest ist er schon lange polizeibekannt. Mehrfach gerät er betrunken in Streit, immer wieder landet er kurzzeitig in psychiatrischen Kliniken. Vorbestraft ist er auch. Anfang 2019 verurteilt ihn das Landgericht Dortmund wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Im Sommer zuvor hatte er einen zehn Kilogramm schweren Ast von einer Brücke auf die A45 fallen lassen und den Wagen einer Frau getroffen, die nur durch Glück körperlich unverletzt blieb. Ein Jahr sitzt er in Haft, dann zwecks Reintegration in verschiedenen Suchtkliniken, unter anderem auch in Hagen. Seit Herbst 2022 darf er unbegleitet und auch über Nacht seinen Bruder in Castrop-Rauxel besuchen, wo er seine Anschlagspläne schmiedet.
Schuld waren immer die anderen
J. sei „kampfbereit“ gewesen, zeigte sich eine im Prozess aussagende Islamwissenschaftlerin schon vor Wochen überzeugt. Und der psychologische Gutachter nennt ihn „hochgefährlich“ und „rückfallgefährdet“. Das Gericht beurteilt J. ähnlich und ordnet deshalb Sicherungsverwahrung nach Ende der vierjährigen Haftstrafe an. Unzufriedenheit mit seiner Lage habe sich „wie ein roter Faden“ durch das Leben des Angeklagten gezogen, heißt es in Urteilsbegründung. Und immer habe J. anderen die Schuld an seiner Lage gegeben. Zudem besitze eine niedrige Frustationsschwelle.
Objektiv habe es in diesem Fall allerdings nie eine Gefahr für die Bevölkerung gegeben. Nicht nur, weil es offenbar weder genaue Zeit noch einen Ort für einen Anschlag gegeben hat. „Die Anleitungen waren alle ungeeignet“, sagt der Vorsitzende Richter. Auf das Strafmaß hat das allerdings keinen Einfluss gehabt. Denn subjektiv, so der Richter weiter, sei J. überzeugt gewesen, Gift herstellen und eine Bombe bauen zu können.