Düsseldorf/Ratingen. Nach der Explosion in einem Ratinger Hochhaus gehen die Ermittlungen weiter. Die Polizei geht von einem gezielten Angriff aus. Ein Überblick.
Nach einer Angriff auf Einsatzkräfte in Ratingen bei Düsseldorf wurde gegen einen 57-Jährigen Haftbefehl erlassen. Sein Motiv bleibt weiter unklar.
Was wir wissen
Der Tatablauf: Um 9.49 Uhr am Donnerstagmorgen werden zwei junge Beamten der Polizei zu einer Wohnung im 10. Obergeschoss eines Wohnhauses in Ratingen gerufen. Der Grund: Sorge um eine Bewohnerin wegen eines übervollen Briefkastens. Die Einsatzkräfte nehmen Verwesungsgeruch wahr. Um 10.37 Uhr wird die Feuerwehr alarmiert, sie soll bei der Öffnung der Türe helfen. Ein Löschfahrzeug, ein Notarzt und ein Rettungswagen rücken an. Für die Hilfskräfte ist es ein Standardeinsatz, wie er mehrfach wöchentlich vorkommt.
Als Polizei und Feuerwehr vor der Wohnungstür stehen, reißt der 57-jährige Sohn der Frau die Tür auf. Er überschüttet die Einsatzkräfte mit einer brennenden Flüssigkeit. Es handelt sich um Benzin, möglicherweise angereichert mit weiteren ätzenden Flüssigkeiten. Die Beamte stürzen teils lebensgefährlich verletzt aus dem Haus. Um 11.18 Uhr rufen sie über Funk um Hilfe. Die beiden Polizisten und drei Feuerwehrmänner sind mit großflächigen Verbrennungen lebensgefährlich verletzt, sie werden später mit Hubschraubern ausgeflogen. Vier weitere Feuerwehrleute werden bei dem Angriff schwer verletzt.
Die Behörden lösen Großalarm aus. Während der 57-Jährige seine Wohnung in Brand steckt, rücken Dutzende Rettungswagen, Notärzte, Feuerwehrwehrautos und Polizeifahrzeuge an. Spezialkräfte sichern das gesamte Hochhaus ab, auf den Balkonen der gegenüberliegenden Wohnungen bringen sich Scharfschützen in Stellung. Weil während der Explosion eine Dienstwaffe der Polizei verloren gegangen ist, können die Einsatzkräfte nicht ausschließen, dass der Gewalttäter in den Besitz dieser Waffe gekommen war.
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Am Ende stürmen am Nachmittag Spezialkräfte die Wohnung und nehmen den Mann fest. In der Wohnung wird eine Leiche gefunden. Eine Obduktion kommt zu dem Ergebnis, dass sie bereits seit Wochen tot ist. Ob es sich bei der toten Frau, die in der Wohnung des Verdächtigen entdeckt wurde, um die 91-jährige Mutter des 57-jährigen Verdächtigen handelt, ist weiterhin nicht abschließend geklärt. Hinweise auf Fremdverschulden gibt es nicht. Später finden die Ermittler in einer anderen Wohnung des Hochhauses eine weitere Leiche.
Die Verletzten: Eine 25-jährige Polizistin und ein 29-jähriger Polizist werden lebensgefährlich verletzt, zudem drei Feuerwehrleute. Vier weitere Beamte der Feuerwehr werden schwer verletzt. Fünf Einsatzkräfte befanden sich am Freitag nach Angaben der Feuerwehr Ratingen im künstlichen Koma. Sie waren in Spezialkliniken für Brandverletzte nach Köln, Duisburg, Dortmund, Düsseldorf und Bochum gebracht worden. Sie erlitten Verbrennungen von bis zu 40 Prozent der Körperoberfläche. 21 Spezialkräfte der Polizei waren vorsorglich wegen Verdacht auf Rauchvergiftung behandelt worden, entpuppten sich aber letztlich als nicht verletzt.
Der Verdächtige: Bei dem 57-jährigen Deutschen handelt es sich nach Angaben der Ermittler um einen Gewalttäter, der bereits wegen drei Körperverletzungen aufgefallen ist und gegen den deswegen zwei Strafbefehle verhängt worden waren. Weil er eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte, sollte er vor einer Woche eine Ersatz-Freiheitsstrafe antreten. Der Mann hatte allerdings nicht die Tür geöffnet.
Bei einer Durchsuchung der Räumlichkeiten fanden die Ermittler im Keller unter anderem Messer, Dolche und eine Schreckschuss-Waffe. Der Mann soll der sogenannten Prepper-Szene angehören. Er habe Vorräte etwa von Toilettenpapier angelegt. Als Prepper, abgeleitet vom englischen „prepare“ (vorbereiten), werden Menschen bezeichnet, die sich auf das Überleben im Katastrophenfall vorbereiten.
Die Wohnung hat nach Angaben der Ermittler den Eindruck gemacht, dass der Mann zurückgezogen lebte. Er ist nach Angaben der Ermittler keiner Arbeit nachgegangen und hat in der Wohnung mit seiner rund 90 Jahre alten Mutter gelebt.
In einer Befragung hat er sich noch nicht zu den Tatvorwürfen geäußert. Ebenso habe der Mann auf anwaltlichen Beistand verzichtet. Ihm sei ein Pflichtverteidiger an die Seite gestellt worden. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Mann schuldfähig ist.
Der Verdächtige selbst ist entgegen früherer Angaben nicht schwer, sondern nur leicht verletzt worden.
Die Ermittlungen: Ein Gericht hat am Freitag gegen den Verdächtigen Haftbefehl wegen versuchten Mordes in neun Fällen erlassen. Die Tat sei heimtückisch gewesen und mit gemeingefährlichen Mitteln verübt worden.
Was wir nicht wissen
Der Tatablauf: Hat der Verdächtige die Rettungskräfte möglicherweise absichtlich in einen Hinterhalt gelockt? Diese Frage ist Teil der laufenden Ermittlungen. „Die Situation in der Wohnung, die Verwendung von dieser brennbaren Flüssigkeit und die Art und Weise, wie diese Flüssigkeit dann gegen die eingesetzten Kräfte verwendet wurde, lassen darauf schließen, dass das durchaus gut durchdacht ist“, sagte Heike Schulz, Kriminaldirektorin in Düsseldorf, die heute die Ermittlungen übernommen hat. „Die Tür war verbarrikadiert, das macht man auch nicht mal so eben.“ Sie gehe nicht von einer spontanen Tat aus, eher von mehreren Tagen Vorbereitung, so die Ermittlerin.
Die Leiche: Bei der gefundenen Leiche handelt es sich laut Polizei vermutlich um die Leiche der Mutter. Ganz sicher sei dies aber noch nicht, obwohl die Tote bereits obduziert worden sei.
Der zweite Tote: Am Freitag gibt die Polizei bekannt, dass eine weitere Person zu Tode gekommen sei. Ein älterer Mann, der in dem Haus gelebt habe, sei gestorben. Weitere Angaben machen die Ermittler zunächst nicht. Nach Informationen des „Spiegel“ hatte der Mann durch den mehrstündigen Einsatz nicht mehr versorgt werden können.
Das Motiv: Das Motiv des mutmaßlichen Täters ist derzeit noch unklar. Heike Schultz von der Düsseldorfer Polizei sagte: „Wir haben Hinweise darauf, dass er auch ein Corona-Leugner ist, konkrete Hinweise darauf.“ Ob es einen Zusammenhang zur Tat gebe, sei aber nicht geklärt. Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gibt es bislang nicht: Man stehe mit den örtlichen Behörden in Kontakt, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft. Derzeit lagen demnach aber keine Anhaltspunkte für eine Übernahme der Ermittlungen vor.
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