Hagen. . Ihr Mann behandelte sie wie “Müll“. Nach einem Streit landete sie auf der Straße. Eine Hagenerin erzählt, wie sie plötzlich obdachlos wurde.

Ein paar Wörter nur, zwei Sätze, schon sind die Tränen da. Eine kurze Unterbrechung, dann erzählt sie weiter. Weil sie mit ihrer Geschichte anderen zeigen will, dass es Unterstützung gibt. „Wer weiß, ob ich ohne die Hilfe hier überhaupt noch da wäre?“

Zwei Jahre ist es etwa her, dass sie bei Christine Wienstroth in der Wohnungslosenhilfe der Diakonie Mark Ruhr zum ersten Mal saß. Weil sie über Nacht ihr Zuhause verloren hatte. „Unser Sohn brach die Lehre ab, zog wieder bei uns ein“, erzählt sie, wie das kam – und wieder sind die Tränen da. Das passte dem Vater nicht. Eines Abends eskalierte der Streit. „Mein Mann hat in der Wohnung alles kurz und klein gehauen.“ Auch sie habe er beinahe geschlagen, als sie sich zwischen Vater und Sohn stellte. Nur in Bruchstücken berichtet sie von jenem Abend wie traumatisiert. Mit der einen Hand hält sie das Taschentuch umklammert, das sie immer wieder braucht.

Mann schmeißt Frau aus der Wohnung: "Ich war nur Müll"

Dann habe ihr Mann zur Arbeit gemusst, den Jungen noch aufgefordert, zu gehen und über die Mutter gesagt: „Die kannste auch gleich mitnehmen, die kann ich eh nicht mehr gebrauchen.“

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Er brauchte sie wohl nicht mehr, weil seine beiden älteren Söhne, die er aus einer früheren Verbindung in die Ehe mitgebracht hatte, mittlerweile erwachsen waren. Geschätzt hatte er seine Frau allerdings auch nicht, als sie die Kinder noch großzog. Der Tag, an dem der Streit eskalierte, war wohl nicht der erste schlimme. Nicht alles will sie öffentlich machen.

Aber: Egal, wie viel sie getan habe, es sei ihrem Mann immer zu wenig, nie genug gewesen. „Ich war nur Müll.“ Die Arme verschränkt sie fast schützend vor dem Körper, während sie redet, die Schultern zieht sie hoch, mit dem Kopf verschwindet sie fast in dem dicken Schal, den sie trotz der Wärme an diesem Tag um den Hals gewickelt hat. Als Schlampe habe er sie beschimpft, mit Dingen nach ihr geworfen, einmal sogar mit einem Stuhl, berichtet sie aus der Ehe. „Aber ich konnte da nicht mehr raus. Ich habe mich immer gefragt, was denn aus den Kindern wird, wenn ich ausbreche“, sagt sie.

Wohnungslosenhilfe vermittelt der Frau eine Wohnung

Die Ehe erscheint wie die Fortsetzung ihrer Kindheit: Auch der eigene Vater war gewalttätig, trank zu viel Alkohol wie ihr Mann, die Eltern trennten sich und die Mutter musste von Sozialhilfe leben. Doch nach dem Abend, an dem der Streit mit ihrem Mann eskalierte, hat sie es geschafft. Sie hat den Sohn zu ihrem Bruder geschickt. Hat selbst ein paar Sachen zusammengepackt, hat eine Nacht in der Wohnung einer Freundin verbracht und ist danach zu ihrer Schwester nach Hagen gegangen.

Bei ihr aber konnte sie auf Dauer nicht bleiben. Das Jobcenter, bei dem sie Hartz IV beantragte, schickte sie zur Wohnungslosenhilfe: Um Leistungen zu bekommen, brauchte sie dort ein Postfach. Und dann beginnt sie doch zu lächeln, als sie sich an das erste Gespräch mit Christine Wienstroth erinnert, an deren Lachen. Sie kommt noch heute hierher, erhält Unterstützung. Dabei hatte sie doch innerhalb von vier Wochen in Hagen eine eigene Wohnung gefunden, zog mit ihrem Sohn ein. Aber sie hätte das Zuhause ohne die weitere ambulante Betreuung der Wohnungslosenhilfe vermutlich längst wieder verloren, räumt sie ein. „Mit einer neuen Wohnung sind die Probleme nicht weg“, bestätigt Christine Wienstroth.

Gesundheitliche Probleme machen einen geregelten Job unmöglich

Formulare beim Jobcenter ausfüllen – das hätte sie nicht geschafft, sagt die Frau, die ihren Namen nicht öffentlich machen möchte. Sich durchsetzen, wenn Leistungen einmal ausbleiben, auch nicht. Ebenso wenig eine Rente beantragen, weil sie aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr in Arbeit vermittelbar ist.

Sie leidet an Depressionen und neurologischen Ausfällen, kann nur unsicher gehen. Sie wäre allein nicht einmal zum Arzt gegangen, vermutet Christine Wienstroth.

Suche nach geeigneter Wohnung ist schwierig

Nun fürchtet die Frau, ihre Wohnung wieder zu verlieren. Der Sohn steht mittlerweile auf eigenen Beinen. Weil ihr allein nur eine kleinere, günstigere Wohnung zusteht, wird ihr das Geld für die Miete vom Amt um 60 Euro monatlich gekürzt. Umziehen kann sie aber nicht. So dringend suchte sie vor zwei Jahren, dass sie sich auf einen Zeitmietvertrag einließ, der noch nahezu ein Jahr läuft. Einen Nachmieter zu finden sei schwierig. Noch schwieriger aber, eine kleinere Wohnung für eine Person zu finden in dem Preissegment, das das Jobcenter anerkenne, sagt Christine Wienstroth. „Da ist der Markt auch hier in Hagen leergefegt.“

Also wird die Frau die 60 Euro irgendwie von ihrem Hartz-IV-Satz aufbringen. „Dann gibt es halt weniger zu essen“, fügt die schmale Person hinzu. Zur Tafel oder Suppenküche möchte sie nicht gehen, weil sie glaubt, dass andere, Ältere die Hilfe dringender brauchen als sie. Sie will es dennoch schaffen, nur nicht noch einmal wohnungslos werden. Die Tränen sind im Moment verschwunden. Sie lächelt.

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