Kranenburg. Der niederländische Autor Jaap Robben erzählt im Interview, warum er nach NRW gezogen ist und wie er die Zukunft der Grenzregion sieht.
Zwischen zwei Ländern leben und arbeiten, das ist für Jaap Robben Faszination und Alltag zugleich. Auf einem alten Bauernhof in Kranenburg am Niederrhein hat der bekannte niederländische Schriftsteller schon vor über zehn Jahren ein neuen Zuhause mit seiner Familie gefunden – im ursprünglichen Herkunftsland seiner Urgroßeltern.
Die Grenzregion prägt Robben persönlich wie beruflich. Nicht umsonst spielt sein Erfolgsroman „Kontur eines Lebens“ im Nimwegen der 1960er Jahre – das durchaus Parallelen zu der damaligen Tabugesellschaft in Deutschland aufweist.
Auch die Themen Zweisprachigkeit und Grenze an sich, ihrer Bedeutung für Frieden und Freiheit, aber auch ihr Potenzial für Ausgrenzung, widmet Jaap Robben sich immer wieder aufs neue literarisch. Warum ihn die Grenze als Fragestellung so lange begleitet und er einst den Entschluss fasste, aus den Niederlanden nach Deutschland zu ziehen, erzählt der Autor im Interview.
Herr Robben, welche Rolle spielt die Grenzregion für Ihre Literatur?
Eine immer größere. Ich bin sehr oft auf Lesereisen zwischen beiden Ländern unterwegs. Und thematisch beschäftigt mich mit den Jahren mehr und mehr, was eine Grenze eigentlich bedeutet.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Ich habe etwa über das ehemalige Grenzgebäude auf der deutsch-niederländischen Grenze geschrieben. Es gehört noch zu Deutschland, inzwischen werden Geflüchtete darin untergebracht. Ich habe dort Interviews geführt, weil ich wissen wollte, wie es ist, genau auf einer Grenze zu leben.
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Es sind Menschen, die ihr Leben riskiert haben, um Landesgrenzen zu überwinden. Jetzt wohnen sie genau auf einer offenen Grenze. Aber sie können nicht einfach frei in die Niederlande reisen. Beim Spazieren in der Umgebung haben sie teilweise Angst, aus Versehen die Grenze zu überqueren und festgenommen zu werden. Man kann die Grenze ja nicht auf dem Boden sehen. Darüber müssen wir uns keinerlei Gedanken machen. Das ist verrückt.
Warum sind Sie eigentlich nach Kranenburg gekommen?
Meine Eltern sind aus den Niederlanden nach Kleve gezogen. Wir waren also schon oft hier. 2012 haben wir in Kranenburg dann einen alten Bauernhof gekauft, weil wir gerne ländlich leben wollten. Ursprünglich kommen Teile meiner Familie auch aus Deutschland. Es hat sich immer sehr nahe angefühlt. Meine Urgroßeltern sind einst in die Niederlande geflüchtet. Das habe ich alles erst mit der Zeit in unserem Familienarchiv entdeckt. In meiner Familie wurde kein Deutsch mehr gesprochen.
Was bedeutet es Ihnen, dass Zweisprachigkeit nun doch Ihr Alltag geworden ist?
Ich finde es sehr schön, dass meine Kinder zwischen beiden Ländern aufwachsen. Es berührt mich, wenn sie deutsch reden. Das haben sie ja nicht von uns gelernt. Wir sprechen zu Hause Niederländisch mit ihnen, in der Schule lernen sie Deutsch. Ich empfinde das als Reichtum. Der Umzug hat meinen Horizont erweitert. Am Anfang in Kranenburg fühlte ich mich noch wie ein ‚English man in New York‘ . Aber seitdem wir unsere Kinder haben, sind wir noch tiefer in Deutschland verwurzelt. Ich fühle mich inzwischen auch eingedeutscht.
Woran machen Sie das fest?
Ich war einmal für ein paar Monate in Amsterdam. Da bin ich auf dem Fahrrad an einem Park vorbeigekommen. Und der erste Gedanke war: ‚Darf ich im Park überhaupt Radfahren?‘ So etwas hätte ich vor meinem Umzug nach Deutschland nicht gedacht. Das ist wohl der neue Deutsche in mir, der überlegt, ob etwas verboten oder erlaubt ist. Das fand ich witzig.
Wo nehmen Sie noch Unterschiede zwischen den Niederlanden und Deutschland wahr?
Wenn ich die Grenze überquere, verändert sich die Landschaft innerhalb von Sekunden. Es ist plötzlich alles anders. Wir spielen oft das Spiel mit unseren Kindern, wenn wir in der Nähe der Grenze sind: In welchem Land sind wir gerade und woran erkennt man das? Das zeigt sich in einer anderen Bepflanzung, Häuser, andere Farben, Verkehrsschilder – wie der Rasen gemäht wird. Während der Corona-Zeit ist mir das noch bewusster geworden. Die Grenze, die langsam verschwunden ist, war plötzlich wieder da. Ich habe bemerkt, wie wichtig es ist, die Offenheit füreinander nicht zu verlieren.
Wie kann das noch besser gelingen?
Wir müssen uns klar machen, dass das etwas Wichtiges ist, obwohl wir uns schon daran gewöhnt haben. Uns klar machen, dass das nicht einfach so bleibt. Das ist mir seit dem Ukraine-Krieg noch bewusster geworden. In Kriegszeiten denken wir über Frieden nach, in Friedenszeiten nicht. Die Grenzregion ist für mich so eine wichtige Gegend, weil es bei Krieg immer um Grenzen geht. Wir müssen unsere guten Beziehungen erhalten. Für viele Menschen bedeutet die offene Grenze, dass man im Nachbarland – teilweise günstiger – einkaufen kann. Aber es ist so viel mehr als das.
Was könnte man denn für einen stärkeren Zusammenhalt beider Länder tun?
Es gibt keine allgemeingültige Antwort darauf. Die Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland ist eine besonders interessante. Ich habe mal gehört, dass über diese Grenze die meisten Liebesbeziehungen pro Kilometer Grenze gehen. Das ist bei so vielen unserer Freunde auch so. Die schönste grenzübergreifende Beziehung ist die Liebe. Das kann man nicht beeinflussen.
Wo sehen Sie konkrete Möglichkeiten für eine bessere gesellschaftliche Zusammenarbeit?
Es könnte mehr Austausche an Schulen oder Projekte für Jugendliche geben. Das Interesse an Deutschland und der Sprache ist nicht mehr ganz so groß. Das war in meiner Jugend noch anders. Wenn man sich nur noch über Englisch verständigen kann, ist das schade. Ich merke, dass sich die Niederlande in den vergangenen Jahren immer mehr auf sich konzentriert. Sie wird nationalistischer, ist nicht mehr so offen. In Deutschland scheint die Welt größer zu sein als in den Niederlanden. Das merke ich, wenn ich in beiden Ländern Nachrichten gucke.
Was würden Sie sich für die Zukunft der Grenzregion wünschen?
Wir sollten noch stärker in Kontakt miteinander kommen, zum Beispiel durch Sprach- oder Kulturprojekte. Ich möchte zum Beispiel, dass das deutsch-niederländische Festival „Literarischer Sommer“ auch nach Nimwegen kommt. Ich habe Angst, dass wir uns in Zukunft weniger verstehen können und uns voneinander entfernen. Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren einander noch näherkommen. Es ist so wichtig, interessiert aneinander zu bleiben. Da helfen Unterschiede, sie müssen auch bestehen bleiben.