Berlin. Fleisch-Alternativen aus Pflanzenproteinen sollen besser schmecken. Daran arbeiten Anja Wagemans und ihr Team. Ein Besuch im Labor.

  • Fleischersatzprodukte werden immer beliebter – und auch besser
  • Dafür, dass sie möglichst authentisch schmecken, sorgen Wissenschaftlerinnen wie Anja Wagemans
  • Wir haben sie in ihrem Labor besucht

Das falsche Hackfleisch riecht würzig. Es liegt in drei durchsichtigen Schalen. Anja Wagemans nimmt einen der Behälter in die Hand, um mit einer Pipette Wasser auf die braunen Krümel aus Erbsenproteinen zu tropfen. „Hackfleisch ist viel einfacher als ein Steak“, sagt die Professorin für Lebensmitteltechnologie und stellt die Schale zurück auf den Tisch. „Beim Hack sind wir schon sehr weit, beim Steak muss noch viel passieren.“

Wagemans steht in einem Labor an der Technischen Universität Berlin. Ihr Fachgebiet der Lebensmittelbiowissenschaften liegt in Dahlem. Beim Blick aus dem Fenster schaut die 36-Jährige ins Grüne. Hier arbeitet sie mit ihrem Team und mehreren Herstellern am Fleischersatz der Zukunft. Die Produkte sollen dem Original ähnlicher werden – „eine große Herausforderung“, sagt Wagemans.

Fleischersatz-Produkte: 42 Prozent mehr Umsatz als noch 2020

Fleisch-, Fisch-, Milch- oder Käsealternativen sind im Handel relativ neu. Es gibt sie erst seit wenigen Jahren. Doch die Entwicklung hat Fahrt aufgenommen. Mindestens 1500 Unternehmen weltweit arbeiten daran. In Deutschland sind es etwa 90, berichtet das Good Food Institute (GFI), eine international tätige Nichtregierungsorganisation, die sich für ein nachhaltigeres Lebensmittelsystem einsetzt. Die Umsätze im hiesigen Einzelhandel betrugen im vergangenen Jahr 1,9 Milliarden Euro, ein Plus von 42 Prozent im Vergleich zu 2020.

Trotz dieser Zuwächse und einer breiter werdenden Produktpalette machen Alternativprodukte bisher nur einen Bruchteil des Gesamtmarktes aus. Bei Milch beträgt er 13 Prozent, bei Fleisch etwa zwei, bei Käse ein Prozent. „Damit pflanzenbasierte Produkte auf Augenhöhe mit ihren tierischen Pendants kommen und die nachhaltigen Optionen attraktiver für weite Teile der Bevölkerung werden, braucht es weitere Verbesserungen“, sagt Ivo Rzegotta vom GFI. Die Produkte müssten besser schmecken, eine bessere Textur haben und bessere Kocheigenschaften. „Und die Waren müssen günstiger werden.“

Forschung an Fleischersatz: Im Labor von Anja Wagemans werden verschiedene Fleischsorten möglichst gut nachgeahmt.
Forschung an Fleischersatz: Im Labor von Anja Wagemans werden verschiedene Fleischsorten möglichst gut nachgeahmt. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Dass bei Geschmack und Qualität noch etwas fehlt, um die Masse zu erreichen, davon ist auch Anja Wagemans überzeugt. „Wenn die Waren dann genauso viel kosten oder sogar günstiger sind, dann kann das funktionieren“, sagt sie. Die Wissenschaftlerin ist Flexitarierin. Sie isst selten Fleisch – wegen der schlechten Klimabilanz und des Tierleids in der industriellen Produktion.

Auch aus beruflichen Gründen greift Wagemans gern zum Fleischersatz: vegane Wurst, vegetarische Schnitzel, alternatives Gyros. „Ich probiere alles aus, weil ich wissen will, was die Hersteller gemacht haben“, sagt sie.

Forscherin: Fleischersatz fühlt sich oft anders an beim Beißen oder Kauen

Besonders interessiert ist die Forscherin an Struktur und Konsistenz. „Fleischproteine sind faserig, Pflanzenproteine sind globulär, also kugelförmig“, sagt sie. Die Unterschiede seien gewaltig, weshalb sich Fleischersatz oft anders anfühle als das Original – beim Beißen zum Beispiel oder Kauen. „Wir müssen herausfinden, an welcher Stelle wir die Strukturen verändern müssen.“

Ein Schlüssel dafür ist für die 36-Jährige das bessere Verständnis des Originals. Wie etwa beeinflussen sich Fleischfasern, Bindegewebe oder Fett? „Wenn wir Fleisch sensorisch prüfen, dann wissen wir, dass etwas sehr zäh ist, zart, hart oder saftig. Aber was das strukturell bedeutet, ist noch nicht ganz klar“, sagt Wagemans. „Wir müssen die Mechanismen aufklären.“

Prof. Anja Wagemans weiß: „Essen ist sehr persönlich und privat. Und die Leute werden emotional, wenn man ihnen bei Autonomie oder Genuss etwas wegnehmen will.“
Prof. Anja Wagemans weiß: „Essen ist sehr persönlich und privat. Und die Leute werden emotional, wenn man ihnen bei Autonomie oder Genuss etwas wegnehmen will.“ © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Wissenschaftlerin spricht von Grundlagenforschung, mit der man Fleischersatz und dessen Herstellung optimieren könne. „Bei Hack- oder Wurstalternativen bin ich manchmal erstaunt wie weit wir schon sind“, sagt sie.

Sie zu entwickeln sei dabei einfacher, weil Original und Alternative sprichwörtlich durch den Wolf gedreht sind. „Bei Bockwurst geht es dann vor allem um den typischen Knack, aber auch den kann man schon nachahmen. Doch auch beim Steak werden wir immer näher ans Original herankommen“, so Wagemans.

Pflanzliche Alternativen statt Fleisch: Was bringt das fürs Klima?

Das wichtigste Argument, warum das erstrebenswert ist, ist für die Professorin der Klimaschutz. Die größte wissenschaftliche Organisation von Klimaforschern, das IPCC, kommt zu dem Schluss, dass das Nahrungsmittelsystem aktuell bis zu 37 Prozent aller vom Menschen verursachten Treibhausgase ausmacht.

Die Nutztierhaltung trage wesentlich dazu bei. Neben dem von Rindern und anderen Wiederkäuern ausgestoßenen Methan trügen aber auch der starke Einsatz von Düngemitteln oder die Umwandlung von Naturflächen in Ackerland maßgeblich zur Erderwärmung bei. Um diese zu begrenzen, so die Forscherinnen und Forscher, sei die Reduktion des Fleischkonsums sinnvoll. Pflanzenbasierte Alternativen versprächen dabei eine erhebliche Verringerung direkter Treibhausgasemissionen.

Als besonders nachhaltig gilt ein Fleischkonsum von etwa 350 Gramm pro Woche, bisher essen die Deutschen im Schnitt 990. „Essen ist sehr persönlich und privat. Und die Leute werden emotional, wenn man ihnen bei Autonomie oder Genuss etwas wegnehmen will“, sagt Anja Wagemans. Für sie ist klar, dass es immer Menschen geben werde, die beim Fleischersatz die Nase rümpften.

Wissenschaft, Hersteller und Handel müssten trotzdem weiterarbeiten, um mit guten Alternativprodukten mehr Verbraucher dazu zu bewegen, das Essverhalten zu verändern. „Jedes echte Steak, das nicht gegessen wird, bedeutet eine Verbesserung der Klimabilanz“, sagt die Forscherin. „Mit harten Statements allerdings kommt man da nicht weiter.“