Bochum. Bochumer Theologen erfinden ganz besondere Düfte für hohe Feiertage. Wie Weihnachten riecht und warum der Glaube direkt durch die Nase geht.

Wie riecht eine Kirche? Im besten Fall nach kaltem Weihrauch. Meist aber: muffig, staubig, miefig, abgestanden. Nach feuchten Textilien und verbrauchter Luft. Wie kann da die Botschaft eine frohe sein? Kirche – das ist für die Nase eher Zumutung als Genuss. „Da fehlt der frische Wind!“, sagt Prof. Matthias Sellmann, katholischer Theologe und Leiter des Zentrums für Angewandte Pastoralforschung (ZAP) an der Ruhr-Uni Bochum. Und weil der ganze wissenschaftliche Sinn des ZAP darin besteht, die Arbeit der Kirche besser zu machen, hat Sellmann überlegt, wie man für frischen Wind sorgen könnte. Und dabei geht es überhaupt nicht mehr um das ewige Weihrauch.

Denn was das Riechgedächtnis bislang unter Kirche abgespeichert hat, steht bei vielen für alt, langsam, schwer, behäbig, vergangen. Was soll man da? Kirche zu verändern, das bedeutet also dann: Fenster aufreißen, Licht und Luft hineinlassen, sie verjüngen, sie spannend und attraktiv und sinnlich machen. Und das geht am besten mit einem guten Duft, denn wie Riechforscher wissen, gehen Gerüche von der Nase ohne bewusste Umwege ins Gehirn und lösen spontane Reaktionen aus.

Unvergesslich: Der Duft von Omas Pflaumenkuchen

Das Riechgedächtnis speichert gute und schlechte Gerüche tief und für immer ab: Den Duft von Omas Pflaumenkuchen - niemand wird das jemals vergessen und sofort Bilder vor Augen haben, in Erinnerungen schwelgen. Das kann Kirche auch, dachten sich die ZAP-Leute. Warum nicht über den Geruch eine positive Erinnerungsspur zur Kirche legen, zu Religion und Glaube? „Bisher lief die Verkündung der frohen Botschaft oft verkopft und moralisierend ab“, erklärt Sellmann. „Düfte aber sind Medien, die wir in der Verkündigung kaum nutzen – außer eben Weihrauch. Wir wollen die theologische Botschaft des Christusfestes einmal anders kommunizieren als über Bücher, Gewänder, Rituale und Musik.“

Aber wie sollte Kirche riechen? Mit Hilfe des bekannten Bochumer Riechforschers Prof. Hanns Hatt und des berühmten Parfümeurs und Duftentwicklers Marc vom Ende wurden vier Düfte für das ZAP komponiert: „Kenosis“ für Ostern, „Dynamis“ für Pfingsten, „Phronesis“ für den christlichen Alltag und „Physis“ für Weihnachten. Gemeinsam bilden sie die „Zap-Aerothek“, also eine Sammlung von Duftlüften. Denn Paulus schrieb in seinem Brief an die Korinther: „Wir sind der Wohlgeruch Christi.“ (2. Kor, 2,15)

Der Bochumer Theologe Prof. Matthias Sellmann ist einer der Erfinder der Duftidee: Ein Fläschchen „Physis“ taucht den Kirchenraum in einen festlichen Weihnachtsaroma.
Der Bochumer Theologe Prof. Matthias Sellmann ist einer der Erfinder der Duftidee: Ein Fläschchen „Physis“ taucht den Kirchenraum in einen festlichen Weihnachtsaroma. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Wie also riecht Weihnachten, Herr Sellmann? „Die Bauchnote hat eine irdische Duftsprache“, schwärmt er. Es riecht holzig, erdig, nach Ambra, Zedern- und Sandelholz und weckt Gedanken an Stall, Heu und Stroh. Die Botschaft: „Jesus wurde in der Krippe geboren. Gott wird Mensch.“ Die Kopfnote ist freundlicher: Ein heller, fruchtiger Duft nach Mandarinen, Lebkuchen, Zimt, Muskat, Tannennadeln, das soll eine positive Stimmung vermitteln, denn Weihnachten ist ein frohes Fest.

Und über allem schwebt ein warmer Vanille-Geruch. Warum Vanille? „Weil jeder Mensch auf der Welt diesen Duft mag und er Erinnerungen an Muttermilch weckt“, sagt Sellmann. Man denkt an Maria im Stall, das Christuskind, Geburt, Menschwerdung, Geborgenheit und Freude. Aber das ist kein profanes Vanille-Aroma! Es handelt sich um ein kunstvoll komponiertes Vanille-Bouquet. Sellmann hat zur Probe im Flur den Diffusor angeworfen – und tatsächlich: Der ganze Bürotrakt duftet nach Weihnachten, und das nüchterne Ambiente macht plötzlich einen ganz gemütlichen Eindruck. Der Duft scheint auf geheimnisvolle Art die Laune zu verändern. Plötzlich haben alle ein Lächeln im Gesicht. Es wirkt!

Große Nachfrage der Gemeinden

Gemeinden können die Flacons erwerben und bei Gottesdiensten, Chorproben, Gebetsrunden oder Gesprächskreisen verduften. Ein kleines Sprühfläschchen kostet 20 Euro. Ein Paket mit größeren Duftgläsern und allen vier Düften kostet 120. Um damit einen großen Kirchenraum zu aromatisieren, benötigt man allerdings ein Gerät, einen speziell entwickelten Diffusor. Das ist ein etwa Schuhkarton großer weißer Kasten, in den man das Duftfläschchen einschraubt. Der schlägt allerdings mit rund 1000 Euro zu Buche. Dennoch sei die Nachfrage enorm, sagt Sellmann. „Wir haben schon mindestens 50 Pakete verkauft.“

Prof. Matthias Sellmann, Gründer und Leiter des ZAP, Zentrum für Angewandte Pastoralforschung der Ruhr-Uni Bochum.
Prof. Matthias Sellmann, Gründer und Leiter des ZAP, Zentrum für Angewandte Pastoralforschung der Ruhr-Uni Bochum. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Auf die Idee kamen die ZAP-Forscher beim „Silent Mod-Event“ im Kölner Dom während der Computerspielemesse Gamescom 2016. Die Menschen strömten in den Dom, es gab Musik, Licht, Laser, Musik – und Duft. An drei Abenden kamen 50.000 Menschen in die Kathedrale, sagt Sellmann. „Das ist richtig eingeschlagen.“ Die Leute seien begeistert gewesen von der neuen Art der Glaubenssprache: höflich, modern, sinnlich, laut, jung.

Doch vor den Toren des Doms hatten sich lange Schlangen gebildet, alle wollten rein, hinten in der Reihe gab es bald Unruhe. Sellmann schickte Mitarbeiter hinaus, die Duftkärtchen mit einem beruhigenden Geruch an die empörten Leute verteilten. Später stand im Bericht der Kölner Polizei: Die Menge habe sich daraufhin auf „rätselhafte Weise“ beruhigt. Sellmann grinst. „Das hat uns motiviert. Anschließend haben wir die Duftsache richtig vorangetrieben.“

Und dann kommt Ostern, wie riecht denn das? Ostern ist Frühling, Frische, Durchbruch zum Leben, eine Zeit des Übergangs vom Winter zur warmen Jahreszeit. Das Fest der Auferstehung ist das wichtigste der Christenheit. Da kommt die Duftkreation „Kenosis“ zum Einsatz. Kopfnote: Zitrone, Grapefruit, Orange und Geranium. Die Bauchnote wird bestimmt durch Lindenblüte, Maiglöckchen, Muskat und Magnolie. Die Basis bildet eine Komposition aus Zedernholz, Ambra, Moschus und Myrrhe.

Die christliche Botschaft mit allen Sinnen erfahrbar machen

Das ergibt einen „balsamischen Blütenduft“ voller Aufbruchstimmung, Freude und Elan. „Ein Duft, der Mut macht, seinen Weg zu gehen“, heißt es in dem schönen ZAP-Buch „Weil mehr als Weihrauch möglich ist“, das auch Hinweise zum Einsatz der Düfte in Liturgie und Gottesdiensten aufzählt. Zu Weihnachten sind die meist gähnend leeren Kirchen sowieso immer voll - aber vielleicht „riecht“ sich das ja herum?

Aber natürlich geht es den ZAP-Theologen um mehr als nur um Wohlgerüche an Feiertagen. „Es geht darum, alle Sinne anzusprechen, um die christliche Botschaft auf die Erde zu holen und menschlich zu machen“, sagt Sellmann. Denn: „Glaube geht durch die Nase.“