Düsseldorf. Beim Parteitag in Kamen stellt die NRW-FDP klar, dass Lindner in der Ampel für Schuldenbremse und gegen Steuererhöhungen kämpfen muss.
Genscher geht hier immer. Bundesjustizminister Marco Buschmann trägt beim Landesparteitag der nordrhein-westfälischen FDP am Wochenende in Kamen zwar einen beigen Rollkragenpullover und keinen gelben Pullunder wie einst die liberale Legende. Dafür hüllt er sich umso demonstrativer in den Regierungspragmatismus des 2016 verstorbenen Ahnherrn.
„Ich frage mich“, ruft Buschmann also den Delegierten zu, „was Hans-Dietrich Genscher auf seiner Wolke denkt.“ Die Antwort schiebt er gleich hinterher: Der im Rhein-Sieg-Kreis beigesetzte Langzeit-Minister und Weltstaatsmann würde in der aktuell schier ausweglosen Haushaltslage der Ampel-Bundesregierung „nicht die Flinte ins Korn werfen“, sondern „den Helm enger schnallen“.
Bundesjustizminister Buschmann spricht von "Heilungschance"
Zuvor hat Buschmann ausbuchstabiert, was das für ihn heißt. Nach der Klatsche aus Karlsruhe müsse die FDP mithelfen, den Bundeshaushalt 2023 zu reparieren. Mit der nachträglichen Erklärung einer „Notlage“ sollen die ohnehin fast vollständig ausgezahlten Kredite legalisiert werden. „Wenn eine Heilungschance besteht, dann muss man sie ergreifen. Wir sind doch keine Bananenrepublik, die einen verfassungswidrigen Zustand akzeptiert“, sagt der Bundesjustizminister aus Gelsenkirchen.
Für die in den kommenden Wochen anstehenden Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2024 stellt Buschmann zugleich klar, was mit der FDP alles nicht zu machen sein wird: Eine Aufweichung oder Abschaffung der Schuldenbremse, wie sie sich Teile von SPD und Grünen vorstellen, seien der völlig falsche Weg. Steuererhöhungen dürfe es ebenfalls nicht geben. Also: „Der Staat muss sparen lernen.“ Das werde schwierig, weil es um „substanzielle Milliardenbeträge“ gehe.
Die NRW-FDP gestattet Lindner in der Ampel nur wenig Bewegungsspielraum
Der Landesparteitag fasst sogar den formalen Beschluss, einer neuerlichen Aussetzung der Schuldenbremse für das Jahr 2024 eine Absage zu erteilen. FDP-Landeschef Henning Höne beschwört eine „haushaltspolitische Weggabelung“ und die Chance, die bisherige Art des Politikmachens auf Kosten künftiger Generationen final in Frage zu stellen.
Von der Basisidee, per Mitgliederentscheid gleich über den Ausstieg aus der ungeliebten Ampel abstimmen zu lassen, hält der Funktionärskörper in Kamen indes wenig. „In einer solchen Situation wäre es der größtmögliche Fehler, das Schiff zu verlassen“, sagt Höne. In der Parteitagsaussprache fällt später sogar der Satz: „Wir sind keine Feiglinge.“ Ein Ende der Regierungsbeteiligung im Bund darf zumindest nicht wie Verantwortungsflucht aussehen.
Der Grat zwischen Pragmatismus und Prinzipientreue hat sich immer wieder als zu schmal erwiesen: 2013 regierte sich die FDP kompromissbereit mit Merkel ins Bundestags-Aus, 2017 sollte lieber nicht als falsch in einer Jamaika-Koalition regiert werden, jetzt wirkt man auch nach zwei Jahren Ampel schon wieder wundgescheuert.
NRW-FDP erinnert sich an "Lieber neue Wahlen als neue Schulden"
In Zeiten mieser Umfragewerte und katastrophaler Landtagswahlergebnisse versteifen sich die Liberalen auf die Erwartung, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner, der erstmals seit gefühlten Ewigkeiten bei einem Landesparteitag seines Heimatverbandes fehlte, zumindest mit Zähnen und Klauen die sozial- und klimapolitischen Ausgabenwünsche der rot-grünen Koalitionspartner abwehrt. Viel Bewegungsspielraum für die Haushaltsberatungen gewährt die Partei Lindner damit nicht mehr.
Der Chef der Ruhr-FDP, Ralf Witzel, ist längst nicht mehr der Einzige, der entschlossen für solide Finanzen eintritt: „Mit der FDP wird es weder eine Abschaffung der Schuldenbremse geben noch deren Aufweichung für den Haushalt 2024.“ Statt neuer Schulden oder höherer Steuern stünden jetzt Sparanstrengungen „durch kluge Prioritätensetzungen und Subventionsabbau oben auf der Agenda“.
Was ist auch sonst geblieben? Im Landtagswahlkampf 2022 warf sich die FDP noch dem cleveren Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) an den Hals und feierte „echte Liebe“ zu Schwarz-Gelb, als der längst Schwarz-Grün vorbereitete. Die Unversöhnlichkeit, mit der in Kamen über Wüst als „Muster-Schwiegersohn des Landes“ hergezogen wird, lässt einigen Selbsthass vermuten. Henning Höne ist zu Jahresbeginn mit demütigenden 54 Prozent ins Amt des Landesvorsitzenden gewählt worden und trat es nur an, damit die NRW-FDP nicht vollends im Chaos versinkt.
Lindners Endspiel um den Bundeshaushalt 2024 dient also auch der liberalen Selbstvergewisserung. Es gibt ein tiefes Bedürfnis nach Prinzipientreue. Und ein historisches Vorbild. 2012 ließ sich die NRW-FDP in deprimierender Umfragelage auf Landtagsneuwahlen ein und war mit dem Slogan „Lieber neue Wahlen als neue Schulden“ sensationell erfolgreich. Man habe die Parlamentsauflösung damals „mit Blut unterschrieben“, wird heute mit wohligem Schauer erinnert. Dass der Erfolg von 2012 auch gehörig mit der CDU-Schwäche und einem gewissen Spitzenkandidat Norbert Röttgen zusammenhing, wird verdrängt. „Nie wieder Umfaller-Partei“, scheint das FDP-Gebot der Stunde. Man wüsste gern, was Genscher auf der Wolke dazu sagt.