Essen. Begleitet von einem massiven Polizeiaufgebot hat ein leerer Castor das Lager in Ahaus erreicht. Warum jetzt Atomtransporte getestet werden.
Nach einer ersten Probefahrt Anfang November hat nun auch der zweite Castor-Transport am frühen Mittwochmorgen nach einer gut 170 Kilometer langen Fahrt das Zwischenlager Ahaus im Kreis Borken erreicht. Ziel der zweiten Probefahrt mit Startpunkt Jülich war es, den Ablauf möglicher weiterer Transporte im kommenden Jahr zu proben, teilt die Jülicher Entsorgungsgesellschaft Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN) mit.
Zahlreiche Polizeifahrzeuge begleiteten die Fahrt, denn der Schwertransport wurde von Protesten von Atomkraftgegnern begleitet. Zwei Personen protestierten demnach mit einem Banner über der Autobahn A2 gegen die Atomtransporte. In Ahaus blockierten drei Traktorfahrer einen Wirtschaftsweg.
Proteste gegen Atomtransporte
Bereits am Dienstagabend hatten nach Polizeiangaben etwa 150 Menschen in der Nähe des Zwischenlager Ahaus gegen die Transporte protestiert. Landwirte begleiteten sie mit etwa 20 Traktoren. „Wir haben Angst, dass wir hier zum Endlager werden“, sagte eine Demonstrantin dem WDR. Am Abfahrtsort Jülich gab es nach Auskunft von Aktivisten ebenfalls eine Demonstration. Die Polizei habe zudem eine spontane „Mahnwache“ auf einer Autobahnbrücke verhindert.
Die JEN sowie die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) mit Sitz in Essen, zuständig für die Lagerung des Strahlenmülls in deutschen Zwischenlagern, testen mit der Probefahrt neben dem reibungslosen Transport über die Straße auch das sichere Be- und Entladen der gut 25 Tonnen schweren Atommüll-Behälter. „Kalthandhabung“ nennen Experten dieses Verfahren. Man kann dies als eine Art Generalprobe für „echte“ Atomtransporte ab 2024 verstehen. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Um welchen Müll handelt es sich?
Im Forschungszentrum Jülich wurde seit den 1960er-Jahren ein „Kugelhaufen-Versuchsreaktor“ betrieben. Er wurde 1988 nach 21 Betriebsjahren und diversen Störfällen abgeschaltet. Die hochradioaktiven Reste des Reaktorbetriebs werden seither in 152 Castor-Behältern in Jülich gelagert. Darin sind insgesamt knapp 300.000 tennisballgroße Graphit-Kugeln, in die der Kernbrennstoff eingehüllt ist, verstaut.
Warum muss der Atommüll weg?
Jülich liegt im Rheinland, eine der am stärksten durch Erdbeben gefährdeten Regionen in Deutschland. Wegen des fehlenden Nachweises der Erdbebensicherheit verfügte das für die Atomaufsicht in NRW zuständige Wirtschaftsministerium bereits 2014 die „unverzügliche Entfernung der Kernbrennstoffe“ aus dem Behälterlager Jülich. Doch die 152 Castorbehälter stehen immer noch dort.
Wohin sollen die Atomkugeln gebracht werden?
Geprüft wurden seither drei Varianten:
Option eins: Bau eines erdbebensicheren Neubaus am Standort Jülich. Dort sollen die Brennelemente bleiben, bis es irgendwann in Deutschland ein Endlager gibt. Diese Variante ist teuer und zweitaufwendig.
Option zwei: Die Atomkugeln werden in das Zwischenlager Ahaus gebracht und dort gelagert. Dafür liegt bereits seit 2016 eine Genehmigung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) vor. In Ahaus ist für die Jülicher Castoren bereits Platz reserviert.
Option drei ist der Rücktransport des Atombrennstoffs in die USA, woher er ursprünglich kommt. Doch auch hier müssten 152 Castoren zu einem deutschen Seehafen transportiert und dann verschifft werden. Diese Option wurde im Oktober 2022 beerdigt.
Wie laufen die Transporte ab?
Im Zentrum stehe die Erprobung der Arbeitsabläufe zur Beladung des Transporters in Jülich sowie der Annahme in Ahaus, teilt die für den Transport verantwortliche JEN mit. Das Verfahren beginne damit, dass der leere Castor-Behälter mit Hilfe eines speziellen Krans aus der stehenden Position in die Waagerechte gekippt und auf den Tieflader abgelegt wird. Dort wird er vorne und hinten mit eigens konstruierten Stoßdämpfern fixiert und mit einer speziellen Sicherheitshülle geschützt. In Ahaus wird das umgekehrte Verfahren geprobt. Das ganze Prozedere nehme etwa eine Woche in Anspruch.
Wird es ab 2024 „echte“ Transporte geben?
„Wir halten den Beginn der Transporte im Jahr 2024 für möglich“, sagt JEN-Sprecher Jörg Kriewel. Eine Transportgenehmigung des BASE liegt derzeit noch nicht vor, die JEN erwarte diese aber in den nächsten Monaten. Gibt die BASE grünes Licht, könnten die ersten Transporte mit gefüllten Castoren Anfang 2024 starten, sofern dagegen nicht geklagt wird. Gegen die Lagerung der Jülicher Castoren in Ahaus liegt indessen bereits eine Klage der Stadt beim Oberverwaltungsgericht Münster vor. Dies könne „aufschiebende Wirkung“ haben, heißt es bei der BGZ. Zugleich sind die Jülicher verpflichtet, die Option eines erdbebensicheren Neubaus weiter zu verfolgen.
Wie steht die Landesregierung zu den Transporten?
Sie möchte Castor-Transporte lieber vermeiden. Im Koalitionsvertrag hat Schwarz-Grün festgelegt: „Wir setzen uns für eine Minimierung von Atomtransporten ein. Im Fall der in Jülich lagernden Brennelemente bedeutet dies, dass wir die Option eines Neubaus eines Zwischenlagers in Jülich vorantreiben.“ Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) stellte kürzlich erneut klar, „dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Entscheidung für eine der beiden Optionen getroffen wurde. Beide möglichen Optionen, der Neubau am Standort Jülich wie auch der Transport nach Ahaus, werden parallel von der zuständigen Gesellschaft JEN vorangetrieben.“ Das Land sei aber von „Entscheidungen auf Bundesebene“ abhängig.
Und was sagt der Bund dazu?
Die Bundesregierung verfolgt offenbar eine andere Richtung als NRW. Denn im September 2022 kamen gleich drei Bundesministerien – Finanzen, Umwelt und Forschung – in einem Bericht zu dem Schluss, dass die Ahaus-Option „grundsätzlich vorzugswürdig“ sei. Die parallele Verfolgung des Baus eines erdbebensicheren Zwischenlagers in Jülich soll nach Ansicht der Bundesministerien nach den ersten erfolgreichen Transporten mit beladenen Behältern beendet werden. Davon geht offenbar auch die für den Transport verantwortliche Jülicher Gesellschaft aus.
Wie werden die Castor-Behälter transportiert?
Der direkte Weg führt von Jülich etwa 170 Kilometer durch NRW nach Norden über Ortschaften am Niederrhein, über den Rhein, an Duisburg, Oberhausen und Dorsten vorbei bis zum Zwischenlager in Ahaus im Kreis Borken. Die JEN verfügt über vier schwere Transportfahrzeuge, die jeweils einen Castor-Behälter transportieren können. Voraussichtlich werden die Castoren einzeln nach Ahaus gebracht. Es wird also insgesamt 152 Fahrten geben müssen, wohl meist in der Nacht.
„Derzeit gehen wir von einer Gesamtdauer von etwa zwei Jahren aus“, sagt JEN-Sprecher Kriewel. Es werde Zeiträume geben, wo vier Fahrten pro Woche möglich sind, aber auch Phasen, wo es über Wochen keinen Transport geben kann. So seien voraussichtlich während der Fußball-EM im Sommer 2024 kaum Fahrten möglich, da dafür schon viele Polizeikräfte gebunden seien.
>>>> Kein Endlager in Sicht: Atommüll bleibt noch Jahrzehnte in Zwischenlagern
Das Ende der Atomenergie in Deutschland, das mit der Abschaltung der letzten drei Kraftwerke am 15. April 2023 besiegelt wurde, bedeutet nicht das Ende der Atomprobleme. Denn bis heute steht in Deutschland kein Endlager für hochradioaktive Abfälle zur Verfügung. Daher werden die Abfälle aus dem Betrieb von Atomkraftwerken und Forschungsreaktoren in Zwischenlagern aufbewahrt.
Die Betriebsgenehmigungen aller Zwischenlager für hochradioaktive Atomabfälle in Deutschland sind aber auf 40 Jahre begrenzt. Die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) mit Sitz in Essen ist verantwortlich für die „zuverlässige Zwischenlagerung“ atomarer Abfälle in Deutschland an insgesamt 16 Standorten, einer davon ist Ahaus.
Obwohl das Zwischenlager in Ahaus vermutlich weitere hochradioaktive Abfälle aus Jülich sowie aus Forschungsreaktoren in München, Mainz und Berlin aufnehmen soll, endet die Betriebsgenehmigungen für das Lager im Jahr 2036. in Gorleben endet diese schon 2034, bei anderen Lagern endet sie in den 2040er-Jahren.
Sicherheitsüberprüfung der Castor-Behälter
Da ein geeignetes Endlager keinesfalls wie geplant bereits 2050 betriebsbereit sein wird, muss die BGZ neue Genehmigungen für Ahaus und andere Zwischenlager beim Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) beantragen. Für Ahaus wird dies voraussichtlich 2028 erfolgen.
Dieser Antrag ist indes kein einfacher Verwaltungsvorgang, sondern erfordert eine aufwendige wissenschaftliche und technische Überprüfung der Sicherheit. Die BGZ hat dazu bereits ein umfangreiches Forschungsprogramm gestartet. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, ob die Castor-Behälter den Strahlenmüll noch viele Jahrzehnte sicher einschließen.
Ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ist bereits genehmigt: Das Endlager Konrad in Salzgitter soll Anfang der 2030er-Jahre in Betrieb gehen.