Düsseldorf. Lokführer, Zugbegleiter, Mechaniker -- NRW sucht frisches Bahn-Personal, denn die heutigen Beschäftigten gehen auf dem Zahnfleisch.
Die vielen durch fehlendes Personal verursachten Zugausfälle in NRW zwingen die Landesregierung und die Verkehrsunternehmen zum Ausweiten ihrer vor vier Jahren begonnenen Beschäftigungsoffensive. „Fehlende Fachkräfte wie zum Beispiel Lokführerinnen und Lokführer, Stellwerksmitarbeitende und Zugbegleiter sind neben den Bahn-Baustellen das größte Problem für den öffentlichen Nahverkehr“, sagte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) am Mittwoch.
Mehr Lokführer-Kursplätze ab 2024
Sechs Millionen Euro stellt das Land zur Verfügung, um mehr Menschen für ein Berufsleben bei der Bahn zu gewinnen. So wird zum Beispiel die Zahl der Kursplätze für angehende Lokführerinnen und Lokführer, die später auf alle Bahnunternehmen im Land verteilt werden, erhöht. Im laufenden Jahr gibt es 155 Absolventen in 16 Kursen, im kommenden Jahr sollen es 265 in 21 Kursen sein. Eine Ausbildung in Teilzeit soll möglich sein, Mentoren sollen Interessierte behutsam an Jobs bei der Bahn heranführen, Zugewanderte erhalten vorbereitende Sprachkurse.
Quereinsteiger sowie Migranten werden schon lange im Rahmen des Beschäftigungs-Landesprogramms „Fokus Bahn NRW“ umworben, aber die Personallücken könnten bisher nur zum Teil geschlossen werden, erklären die Verantwortlichen. „Es reicht nicht“, bekräftigt Joachim Künzel, Geschäftsführer des Nahverkehrs Westfalen-Lippe. Zwar sei es gelungen, in vier Jahren über das Landesprogramm 490 Lokführerinnen und Lokführer zu qualifizieren. Dennoch fehlten allein in diesem Jahr in NRW 150 dieser Fachkräfte.
Altersalarm: Viele Lokführer gehen bald in Rente
Die Lage dürfte sich weiter verschärfen. Landesregierung, Bahn-Unternehmen und Verkehrsverbünde gehen davon aus, dass bis 2027 etwa 20 Prozent der rund 3000 Lokführer im Land in Rente gehen. Dramatisch sei der Personalmangel auch bei Zugbegleitern, beim Werkstattpersonal und in den Stellwerken.
Marcel Winter, Chef von National Express, berichtete von einer Befragung von Bahn-Mitarbeitenden in NRW mit erschütterndem Ergebnis. Diese Menschen „rackerten sich ab“, müssten angesichts der vielen Störungen ständig improvisieren, flüchteten sich gar in die Krankheit. So liege der Krankenstand unter Lokführern heute im Schnitt bei 15 Prozent und damit etwa doppelt so hoch wie in den Jahren vor der Pandemie.
Der Trend geht weiter Richtung Unpünktlichkeit
Laut dem jüngsten Qualitätsbericht für den Schienenverkehr in NRW waren im Jahr 2022 nur etwa 78 Prozent der Bahnen pünktlich, 2020 waren es 86 Prozent. Bei den Regionalexpress-Linien sank die Pünktlichkeit seit 2020 von 85 auf 71 Prozent.
Jürgen Lenz vom Bundesvorstand der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) lobt die Beschäftigungsoffensive. Sie sei aber nur „ein kleiner Baustein“, sagte er dieser Redaktion. Wer Beschäftigte halten wolle, müsse die Arbeitsbedingungen und die Gehälter verbessern. So dürfe es zum Beispiel keine Dienstpläne geben, die zur Arbeit an drei von vier Wochenenden zwingen.
Fahrgäste erleben seit Jahren, dass auf die Bahnen in NRW kein Verlass mehr ist. Züge sind verspätet, oder fallen sogar ganz aus, die Informationen an die Betroffenen fließen oft nur spärlich. NRW will nun mit einer Ausweitung seiner Beschäftigungsoffensive also zumindest einen Teil der Probleme lösen. Und von denen gibt es viele.
Es knirscht im System
Ein Regionalexpress im Hauptbahnhof Dortmund wartet eine halbe Stunde, weil der Lokführer noch nicht da ist; wegen Bauarbeiten werden Züge zwischen Hamm und Dortmund auf eine Nebenstrecke umgeleitet, auf der sich die Bahnen stauen; Züge Richtung Paderborn fallen wegen des Zugunglücks bei Geseke aus; eine Oberleitungsstörung in Dortmund legt den Schienenverkehr im Ruhrgebiet lahm – Das sind vier Beispiele aus den vergangenen Tagen, die Fahrgäste und Bahnpersonal ins Schwitzen brachten.
Eine Mischung aus Fehlern in der Vergangenheit, unvorhergesehenen Ereignissen und Fachkräftemangel machen das Bahnfahren in NRW zur nervenaufreibenden Angelegenheit. „Wir zahlen jetzt die Zeche für viel zu wenig Investitionen in den letzten Jahrzehnten“, sagte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) am Mittwoch. Jährlich störten 1.000 Baustellen den Betriebsablauf.
Die tägliche Störung trifft auch die Bahn-Beschäftigten hart
Genauso schädlich für den Bahnverkehr wie die Baustellen sei aber der Fachkräftemangel, sagen die Bahn-Anbieter. Marcel Winter, Co-Leiter beim Landesprogramm „Fokus Bahn NRW“ und Geschäftsführer von National Express, erzählte von einer Branchenbefragung, an der sich über 1.500 Mitarbeitende der Nahverkehrsbahnen in NRW beteiligt hätten.
„Der größte Belastungsfaktor sind der Umfrage zufolge die täglichen Störungen, Baustellen, Umleitungen. Darunter leiden nicht nur unsere Fahrgäste, sondern auch die Mitarbeitenden. Sie beenden später die Schicht, kommen später nach zu ihrer Familie “, so Winter. Die vielen Alltagsprobleme führten zum Glück nicht dazu, dass sich viele Lokführerinnen und Lokführer, das Zugbegleitpersonal und andere Beschäftigte Arbeit in anderen Branchen suchten. „Es gibt keine Flucht aus dem System, aber es gibt eine Flucht in die Krankheit“, so der National Express-Chef.
Nur zehn von 15 Lokführer-Azubis schaffen den Abschluss
Erschwerend komme hinzu, dass etwa ein Drittel der Teilnehmenden in Lokführerkursen an den Anforderungen scheiterten. Von 15 Azubis würden zwei bis drei schon in den ersten Wochen aufgeben, zwei bis drei rasselten durch die Abschlussprüfung, erklärt Winter. Und viele von denen, die die Prüfung schafften, würden von Konkurrenten abgeworben.
Einige Vorteile habe ein Job bei der Bahn aber laut Winter im Vergleich zu anderen Beschäftigungen: „In der Pandemie haben wir gemerkt, was es heißt, systemrelevant zu sein. Bei uns gab es keinen Tag Kurzarbeit, keine Lohnkürzung. Bahn-Jobs sind krisenfest. Jeder Berufsanfänger hat sofort eine unbefristete Arbeit, und jeder bei uns leistet einen Beitrag zu Mobilitätswende und Klimaschutz.“