Düsseldorf. Hefte, Stifte, Computer: Für Schulutensilien müssen Familien tief in die Kasse greifen. Die SPD dringt auf „echte“ Lernmittelfreiheit.

In Nordrhein-Westfalen gilt die so genannte Lernmittelfreiheit. Sie federt zum Beispiel die Kosten für Schulbücher bis auf einen relativ geringen Eigenanteil ab. Viele Eltern schulpflichtiger Kinder dürften aber von dieser Freiheit wenig spüren. Jetzt vor den Herbstferien, wenn die ersten Hefte voll, die ersten Stifte wieder leer sind und das neue Geodreieck schon verloren ging, müssen manche Familien wieder tief in die Haushaltskasse greifen.

Fast 500 Euro "Nebenkosten" für ein Schuljahr

Anspitzer: 4,79 Euro, fünf Collegeblöcke: 12,45 Euro, Farbkasten: 12,99 Euro, Federmäppchen: 18,99 Euro … Schulexpertin Dilek Engin und ihre SPD-Landtagsfraktion haben eingekauft, was Schülerinnen und Schüler gemäß den Vorschriften ihrer Schulen für ein Jahr benötigen. Unterm Strich stehen demnach bei einem Grundschulkind rund 424 Euro, Schulkinder an weiterführenden Schulen seien mit etwa 485 Euro dabei, so die Abgeordnete. „Nicht nur arme Familien, sondern auch viele aus dem Mittelstand wissen kaum noch, wie sie das finanziell stemmen können“, sagte sie am Dienstag.

Die Landtagsfraktion fordert daher eine „echte“ Lernmittelfreiheit für alle, und auf dem Weg dorthin solle die schwarz-grüne Landesregierung erst einmal feststellen, wie viel Geld der Schulbesuch eines Kindes in NRW tatsächlich im Jahr kostet. Laut der Antwort von NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) auf eine Anfrage von Dilek Engin weiß die Regierung dies nicht und hat auch keine Möglichkeit, diese Daten bei nachgeordneten Behörden zu erfragen.

Auf einmal ist ein Monatseinkommen weg

Die Landeselternkonferenz (LEK) umriss die Kosten für Schulutensilien und vor ein paar Wochen nur grob, aber mit einem durchaus beeindruckenden Vergleich: Von Elternverbänden durchgeführte Umfragen hätten ergeben, dass die Familien in manchen Schuljahren pro Kind ein durchschnittliches Monatseinkommen ausgeben müssten.

Denn, so die Eltern, es gehe ja nicht nur um Tornister, Sportschuhe, Hefte, Zirkel und Federmäppchen, sondern auch um Ausflüge und mehrtägige Klassenfahrten, ums Essen, um Ganztagsbetreuung, Nachhilfe und Miete für Instrumente und Sportgeräte, so die LEK. Viele Schulen seien äußerst erfinderisch beim Auftun neuer Einnahmequellen. Da werde Kopiergeld eingesammelt oder die „Klassenkasse“ gefüllt, ohne klar zu sagen, dass es sich hier nur um freiwillige Beiträge handele. Eltern würden in Fördervereine gedrängt oder müssten Tablets einer bestimmten Marke kaufen.

Die meisten wichtigen Schulutensilien gelten nicht als Lernmittel

Warum aber klafft zwischen der im Landesschulgesetz festgeschriebenen „Lernmittelfreiheit“ und den tatsächlichen Schulkosten eine so große Lücke? Dazu muss man wissen, dass sich die Lernmittelfreiheit nur auf Bücher, geografische Karten und Ähnliches bezieht. Eltern müssen dafür einen Eigenanteil in Höhe von 16 Euro (Grundschule) beziehungsweise 34 Euro (weiterführende Schule) bezahlen.

Ausdrücklich nicht unter die Lernmittelfreiheit fallen laut der Landesregierung Gegenstände, die als „Gebrauchs- oder Übungsmaterial“ gelten. Das sind zum Beispiel Hefte, Zeichenblöcke, Schreib- und Zeichengeräte sowie Taschenrechner. Und wenn es um die so wichtige Ausstattung der Kinder und Jugendlichen mit Tablets, Laptops und anderen richtig teuren Geräten geht, haben manche Familien Glück, andere aber nicht. Zahlreiche Schulen lassen sich zwar von Land und Bund beim Kauf der „digitalen Endgeräte“ unterstützen, aber sie gehören immer noch nicht zur Pflichtausstattung der Schulen, erklärt das Schulministerium.

Bildungsgerechtigkeit bleibt auf der Strecke

In die Röhre gucken laut der Landeselternkonferenz vor allem jene Familien mit normalen oder leicht unterdurchschnittlichen Einkommen. Arme Familien erhielten Unterstützung für den Kauf von Schulutensilien, auch wenn die nicht immer die echten Kosten decke.

Lehrergewerkschaften fordern nicht erst seit heute die Ausweitung der Lernmittelfreiheit. Die Wohlfahrtsverbände in NRW haben das Thema ebenfalls seit langem auf dem Schirm. Die Diözesan-Caritasverband in Köln dringt zum Beispiel darauf, Laptops und vergleichbare digitale Endgeräte grundsätzlich als Lernmittel anzuerkennen. Caritasdirektor Dr. Frank Johannes Hensel sagt mit Blick auf die hohen Schulbesuchs-Kosten: „Wir entfernen uns immer weiter von einer so wichtigen und notwendigen Chancen- und Bildungsgerechtigkeit.“

Papier immer teurer

Die Inflation macht auch vor den Schulutensilien nicht halt. Laut dem Statistischen Bundesamt erhöhten sich zum Schuljahresbeginn die Preise für Papierprodukte wie Schulhefte oder Zeichenblöcke um 13,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr und damit stärker als die Verbraucherpreise insgesamt (plus 6,2 Prozent). Füller, Stifte und Farbkästen waren „nur“ 7,6 Prozent teurer. Die Preise für Schulbücher stiegen nicht so stark: Sie lagen im Sommer 5,3 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.