Essen/Duisburg. Vor 20 Jahren wurden die Unis in Essen und Duisburg verschmolzen. Was damals für Streit sorgte, wurde zum Erfolgsmodell, so Uni-Rektorin Albert.

Mit dem Zusammenschluss der Unis in Duisburg und Essen wollte die damalige Landesregierung das Hochschulsystem im Ruhrgebiet schlagkräftig und zukunftsfest machen. 1972 als Gesamthochschulen im Revier gegründet, wurden die benachbarten Hochschulen 2003 zur „Doppel-Uni“ verschmolzen. Feierlich begeht die Universität Duisburg-Essen (UDE) am 7. September im Audimax Essen ihr 20-jähriges Bestehen. Was zunächst unter heftigen Widerständen vollzogen wurde, entwickelte sich zu einer Erfolgsgeschichte für beide Standorte und für die gesamte Region, meint Uni-Rektorin Barbara Albert im Interview mit der WAZ.

Vor 20 Jahren gab es in den Unis und den Städten viele Widerstände gegen den Zusammenschluss der beiden Hochschulen. Warum war dieser Schritt dennoch nötig?

Barbara Albert: Es steckte viel Weitsicht in diesem Schritt. Die Universität Duisburg-Essen ist jetzt eine Wissenschaftsinstitution, die sich weltweit einen hervorragenden Ruf erarbeitet hat. Durch den Zusammenschluss der beiden Hochschulen gelang der Aufstieg in eine neue Liga. Es war ein großer Schritt, der viel Mut und Kraft erforderte, aber das passt ja zu einer Region, die transformationsbereit ist und in der schon immer groß gedacht wurde.

Wo stünden die Hochschulen heute ohne die von der damaligen Landesregierung verordnete Fusion?

Schwer zu sagen. Man hätte Potenzial verschenkt und heute vermutlich keine Volluniversität vor Ort, die auf Augenhöhe mit den Nachbaruniversitäten in Bochum und Dortmund in der internationalen Hochschullandschaft sichtbar ist. In den letzten 20 Jahren hat sich die UDE mit dem Wissen, Können und großem Engagement aller Mitglieder der Hochschule zu dem gemacht, was sie heute ist: eine moderne, international konkurrenzfähige Universität, ausgestattet mit allen Ressourcen und Entwicklungsperspektiven, die es braucht, um sich auf Spitzenplätzen zu behaupten.

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Bewerten Sie die Entwicklung der Universität Duisburg-Essen im Rückblick als Erfolgsgeschichte?

Ja, unbedingt! Die UDE hat einen steilen Anstieg der Forschungsleistung hingelegt. Seit 2003 haben sich die zusätzlichen Forschungsgelder, die wir bei der EU, der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder anderen Geldgebern einwerben konnten, fast verdreifacht – eine enorme Leistung. Und für die Unterstützung von Studienanfängern haben wir im renommierten CHE-Hochschulranking 2021 in allen benoteten Fächern Bestnoten erhalten. In unserer zwanzigjährigen Geschichte haben wir in vielen Themen Trends gesetzt, zum Beispiel 2008 das bundesweit erste Prorektorat für Diversität eingerichtet. Wir gehören zu den wenigen Universitäten, die ein Institut für Turkistik und einen Studiengang für Sozioökonomie, also zur Ungleichheitsforschung eingerichtet haben. So haben wir das Projekt „Bildungsgerechtigkeit im Fokus“ mit 41 Millionen Euro eingeworben, um die Potenziale junger Menschen zu entwickeln.

Wo steht die UDE in Lehre und Forschung heute?

Die UDE hat ein sehr nachgefragtes Studiengang-Angebot, das sich dynamisch an wissenschaftliche Entwicklungen und gesellschaftliche Bedarfe anpasst. In der Forschung haben wir zu den Spitzenuniversitäten Deutschlands aufgeschlossen, wir sind in vielen großen Forschungsverbünden führend und wir beteiligen uns am bundesweiten Exzellenzwettbewerb von Bund und Ländern. Unsere ingenieurwissenschaftliche Fakultät mit etwa 10.000 Studierenden ist unter anderem für ihre Materialwissenschaft, die Energieforschung und die moderne Schiffstechnik bekannt.

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Die hohe Expertise auch in unseren Geistes-, Gesellschafts- und Bildungswissenschaften spiegelt sich unter anderem in der stark nachgefragten Politikberatung. Wichtig ist mir, dass wir auch unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. In Wechselwirkung mit unserem Umfeld entwickeln wir Ideen und Lösungen für die Gesellschaft der Zukunft. Nehmen wir das Beispiel Nachhaltigkeit, Klimawandel und Biodiversität. Schon seit 2003 gibt es bei uns das Zentrum für Wasser- und Umweltforschung, mit einer innovativen Umweltforschung. Oder die Universitätsmedizin: 2012 wurde das neue Forschungsgebäude des Westdeutschen Tumorzentrums eingeweiht – heute ist die Tumorforschung in Essen eine der führenden Deutschlands, ähnlich wie die Infektiologie: hier retten Innovationen Menschenleben.

Wie gestaltet sich für die Studierenden ein Studium an zwei Standorten? Ist dies ein Nachteil oder sogar ein Vorteil für das Lehrangebot?

Eigentlich haben wir drei - und mehr - Standorte, die zum Glück nicht weit auseinander liegen. Das hervorragende Lehrangebot gleicht logistischen Aufwand jedoch unserer Meinung nach mehr als aus. Für Studierende gilt zudem: ein Studiengang wird üblicherweise nur an einem Ort angeboten, sie müssen also nicht ständig pendeln.

Was sind Ihre Ideen für die Zukunft der Unis im Ruhrgebiet, vielleicht gemeinsam?

In der sehr erfolgreichen Universitätsallianz Ruhr der drei Universitäten Duisburg-Essen, Dortmund und Bochum gibt es inzwischen eine Research Alliance Ruhr (Forschungs-Allianz), in der wir gemeinsam großartige Forschende aus aller Welt berufen. Sie werden noch mehr Wissenschaft in die Region bringen. Aber von Universitäten wird heute mehr als nur Forschung und Lehre erwartet. Wir haben an der Universität Duisburg-Essen schon heute eine Geschichte erfolgreicher Start-ups, und wir forcieren den Weg von der Invention zur Innovation. Wir wollen die Innovationsregion Ruhr voranbringen.

>>>> Zur Person:

Barbara Albert (57) ist eine renommierte und preisgekrönte Professorin für Anorganische Chemie. Sie war seit 2019 Vizepräsidentin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs an der TU Darmstadt. Außerdem ist sie Aufsichtsrätin bei Evonik Industries und der Schunk Group und war als erste Frau Präsidentin der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Seit April 2022 leitet sie als erste Frau an der Spitze die Uni Duisburg-Essen als Rektorin.

Ihr Chemiestudium hat sie in Bonn absolviert, wo sie promoviert wurde und sich habilitierte. 2001 ging sie als Professorin für Festkörperchemie und Materialwissenschaften an die Uni Hamburg, 2005 wechselte sie an die TU Darmstadt. Barbara Albert ist verheiratet und hat einen 18-jährigen Sohn.