Düsseldorf. “Mission Impossible“ oder ““Das Beste kommt zum Schluss“? Wie Sarah Philipp und Achim Post die NRW-SPD aus der Krise führen wollen.

Sarah Philipp -- die Geduldige

2017 galt Sarah Philipp schon einmal als Anwärterin auf höchste politische Ämter. Nach der Wahlniederlage von Hannelore Kraft mischte sie als junge Abgeordnete vorübergehend mit forschen Auftritten den Landtag auf. Danach wurde es stiller um die Duisburgerin. Jetzt, sechs Jahre später, ist sie wieder da.

„Armin Laschet und Christian Lindner wollen mit dem Mietrecht und der wohnungspolitischen Abrissbirne zurück in den Wirtschaftsliberalismus des 19. Jahrhunderts. Das heißt: Freie Fahrt für Miethaie.“ Sätze wie diese aus dem Sommer 2017 machten neugierig auf eine damals erst 34-jährige Landtagsabgeordnete, die nicht nur der CDU-FDP-Regierung, sondern auch ihrer noch im Schmerz der verlorenen Landtagswahl gefangenen Partei Beine machte.

Indirektes Lob von Armin Laschet

Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) soll damals gesagt haben: „Wenn die SPD beim nächsten Mal Sarah Philipp zur Spitzenkandidatin macht, dann hätte ich ein Problem.“ Presseleute reisten nach Duisburg, um die „junge Wilde“ zu porträtieren, schauten hinein in einen kleinen Laden, in dem Sarah Philipps Mutter Gudrun 20 Jahre lang im Stadtteil Hochfeld Lottoscheine, Zeitschriften und Tabakwaren verkaufte. Und dann „verschwand“ die Abgeordnete plötzlich wieder von der Bühne.

Ein Grund: Die Beförderung zur Parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD im Landtag. Formal ein Aufstieg, allerdings einer mit Risiken und Nebenwirkungen. Denn ein „PG“ ist ein Fraktionsmanager, gut beschäftigt mit Einnahmen und Ausgaben, Tagesordnungen, Anträgen und Rednerlisten. Aus der forschen wurde im Parlament eine leisere Sarah Philipp. Eine Schramme fing sie sich auch ein: Im Frühjahr 2022 musste sie sich gegen Vorwürfe wehren. Einer ihrer Mitarbeiter soll versucht haben, die minderjährige Tochter der im Zuge der „Mallorca-Affäre“ zurückgetretenen Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) ausgespäht zu haben.

Die Herren hatten andere Pläne

Der zweite Grund: Philipp kam 2017 nicht an der männlichen Parteielite vorbei: Michael Groschek und Norbert Römer hatten andere Pläne. „Sarahs Zeit kommt erst noch“, hieß es halb abwehrend, halb gönnerhaft. Kurz drauf rangen Marc Herter und Thomas Kutschaty um die Fraktionsführung, und der Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann wurde NRW-SPD-Chef.

„Ihre Zeit kommt noch“ – das ist stets eine trügerische Prognose. Denn wer sich darauf verlässt und artig wartet, dessen Zeit kommt womöglich nie. Diese Befürchtung dürfte eine Rolle gespielt haben, als sich Philipp im Mai 2023 überraschend für den Vorsitz der Landtagsfraktion bewarb und sich auch nicht zum Verzicht überreden ließ. Nachfolger von Thomas Kutschaty wurde dann zwar Jochen Ott, aber Sarah Philipp hatte ihr Ausrufezeichen gesetzt: Ihre Zeit sei jetzt!

Wenige Tage später rief der Übergangs-Parteichef, Hamms Oberbürgermeister Marc Herter, an und fragte, ob sich Philipp eine Kandidatur für den Parteivorsitz vorstellen könne. Nach kurzer Bedenkzeit und mit der Aussicht auf eine Doppelspitze mit Achim Post sagte sie zu.

Enge Verbindung zum Revier

In der Familie Philipp ist viel Ruhrgebiets-DNA. Die Mutter und die Großeltern stammen aus Ruhrort. Dort, in Hafennähe, wo einst „Schimanski“ seinen ersten Fall löste, konnte sich Philipp in Kinderjahren nicht sattsehen an Schiffen, Kränen und Kohle. Der Vater, ein Kfz-Mechaniker, kommt aus Neudorf. Seit ein paar Monaten lebt Sarah Philipp in Duisburg-Wanheim mit Blick auf die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann, die noch immer ein abendliches Spektakel bieten, das andernorts im Revier längst Geschichte ist: den leuchtenden Himmel nach einem Abstich. Aufgewachsen ist Philipp im bürgerlichen Buchholz, studiert hat sie Wirtschaftsgeografie und Politik an der RWTH Aachen.

Sarah Philipp, Kandidatin für den SPD-Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen.
Sarah Philipp, Kandidatin für den SPD-Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen. © Olaf Fuhrmann / FUNKE Foto Services

Am Samstag in Münster möchte sie sich von rund 450 Delegierten an die Spitze der Landespartei wählen lassen. „Ich traue mir das zu“, sagt sie mit jenem Selbstbewusstsein, das sie vor ein paar Jahren durchblicken ließ. Ihre Hauptbotschaft an den Parteitag: „Wir müssen uns bei allem, was wir tun, immer die Kontrollfrage stellen: Für wen machen wir eigentlich Politik?“

Im WAZ-Video sagt Philipp: „Wir wissen: In vielen Dingen ist Luft nach oben. Wir müssen in der Partei mehr miteinander sprechen, und wir müssen mit gemeinsamen Botschaften rausgehen.“

Zur Person:

Sarah Philipp (40) trat 1998 im Alter von 15 Jahren in die SPD ein. Dem Landtag gehört sich schon seit 2012 als Abgeordnete an, zuletzt war sie Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion. Nach ihrem Uni-Abschluss 2008 arbeitete Philipp als Projektmanagerin in einem Dortmunder Stadtplanungsbüro.

Achim Post -- der Erfahrene

„Gib mir mal Teheran“, bellt Hans-Jürgen Wischnewski und bringt damit seinen neuen Mitarbeiter ins Schwitzen. „ich wusste nicht, was er von mir wollte“, erinnert sich Achim Post an seinen Start Mitte der 1980-er Jahre im Bundestagsbüro des legendären „Ben Wisch“, der 1977 durch geschicktes Verhandeln die Erstürmung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu ermöglichte.

Der damals 25-jährige wissenschaftliche Mitarbeiter Post lernte schnell, wen sein Chef meinte, wenn er "Teheran" oder "Washington" verlangte. Posts wichtigste Lektion im Büro des mit allen diplomatischen Wassern gewaschenen Wischnewski war aber diese: „Wenn man sich anstrengt, überall Leute kennt, mit jedem spricht, flexibel und pragmatisch ist, dann kann man alles erreichen.“

"Politik ist wie Blumen gießen"

Achim Post, heute 64 Jahre alt, reifte zu einem umtriebigen und disziplinierten Politiker heran. Sein Adressbuch ist voll, sein Netzwerkt trägt, und er weiß, an welchen Fäden er ziehen muss. „Politik machen ist wie Blumen gießen“, meint er. Wer nur alle vier Jahre zur Gießkanne greife, stehe schnell vor vertrockneten Beeten.

In der vordersten Reihe der Bundespolitik stand der SPD-Abgeordnete aus Ostwestfalen bisher nicht. Aber in der Reihe dahinter zählt der langjährige Chef der NRW-Landesgruppe im Bundestag, SPD-Fraktionsvize und Haushaltsexperte zu den Einflussreichsten. Gut möglich, dass die frühere SPD-Chefin Andrea Nahles 2019 nach ihrem erzwungenen Abschied von der Partei- und Fraktionsspitze einen Moment lang gedacht hat: Mit Achim Post hätte ich öfter mal ein Stück Kuchen essen sollen.

Der SPD-Politiker Achim Post in seinem Wohnort Espelkamp in Ostwestfalen.
Der SPD-Politiker Achim Post in seinem Wohnort Espelkamp in Ostwestfalen. © Ralf Rottmann/ Funke Foto Services

Auftrag: Die NRW-SPD aus der Krise führen

Wenn Post am Samstag mit Sarah Philipp zum Vorsitzenden der NRW-SPD gewählt wird, dann steht er in einer Reihe mit berühmten Vorgängerinnen und Vorgängern wie Johannes Rau und Hannelore Kraft. Der Mann vom nordöstlichen Rand NRWs darf dann den größten SPD-Landesverband führen. Das Problem: Die NRW-SPD ist nur ein Schatten ihrer Vergangenheit.

Sie hat bei der Landtagswahl 2022 eine historische Niederlage erlitten und sich zwischen 2018 und 2021 einen zermürbenden Streit zwischen Ex-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty und dem früheren Parteichef Sebastian Hartmann geleistet. „Ich mache mich stark dafür, dass die SPD deutlich geschlossener auftritt als in den letzten Jahren“, versichert Post.

Flucht-Erfahrung hat die Familie Post geprägt

Zusammenhalt ist überlebenswichtig. Diese Erfahrung ist tief in der Familiengeschichte der Posts verankert. Die Wirren des Krieges vertrieben 1945 Achim Posts Vater Kurt, dessen Mutter und zwei Schwestern von einem Bauernhof in Ostpreußen nach Ostwestfalen.

Sie „reisten“ in Viehwaggons, wurden Zeugen von Erschießungen und anderen Grausamkeiten. Kurt Post, heute 87, erzählt detailreich, aber manchmal mit stockender Stimme von Zeiten, in denen er sich „irgendwie durchbeißen“ musste, in denen Alteingesessene denen „aus dem Osten“ misstrauten und von einer Lehrerin, die bevorzugt Flüchtlingskinder schlug. Mutter Irene, eine Kauffrau, stammt aus Ahlen in Westfalen.

Espelkamp als Vorbild für öffentlichen Wohnungsbau?

„Das habe ich schon als Kind gehört. Flucht, Krieg und Politik waren große Themen in meiner Familie“, erzählt Post. Espelkamp, die Heimat der Posts, wuchs erst durch den Zuzug von Geflüchteten zur Stadt heran, heute an vielen Straßennamen abzulesen. Die „Breslauer Straße“ im Herzen des Ortes wird kurz „Bre“ genannt, angelehnt an die berühmte „Kö“ in Düsseldorf.

Zu den Besonderheiten des Ortes zählt die im wörtlichen Sinne bunte Wohnbebauung der „Aufbaugemeinschaft Espelkamp“, einst gegründet vom Land NRW, der Diakonie und der Evangelischen Kirche. „Beim Wohnen gibt es zwei Städte in Europa mit Vorbildcharakter: Wien und Espelkamp“, scherzt Post. Der ernste Gedanke dahinter: NRW setzte viel zu wenig auf öffentlich geförderten Wohnungsbau. Das will er ändern. Als Chef der NRW-SPD.

Im Video sagt Achim Post: „Es passt zwischen Sarah Philipp und mir. Sie ist im Landtag und eine junge Frau. Ich bin im Bundestag und schon ein bisschen erfahrener. Diese Doppelspitze ist für die SPD genau das Richtige.“

Zur Person:

Achim Post wurde 1959 in Rahden/Westfalen geboren und lebt in Espelkamp. Er ist evangelisch, verheiratet und hat zwei Töchter. Post ist Diplom-Soziologe, arbeitete für mehrere SPD-Bundestagsabgeordnete und gehört dem Bundestag seit 2013 als Abgeordneter an. Seine Schwerpunkte sind Europa, Haushalt und Finanzen. In die SPD trat er 1976 ein.