Düsseldorf. Immer mehr Geflüchtete, zu wenige Unterkünfte: Josefine Paul muss ihre Flüchtlingspolitik gegen immer härtere Kritik verteidigen.
Josefine Paul, die grüne Flüchtlingsministerin in NRW, ist keine Mimose. Sie ist bekannt für ihr robustes Auftreten, sie spielt gern Fußball und kämpft wie eine Löwin für die Gleichstellung von queeren Menschen. Aber der Sturm, der sich gerade über der 41-Jährigen zusammenbraut, dürfte der bisher heftigste in ihrem politischen Leben sein. Paul wirkt inmitten der sich verschärfenden Flüchtlingskrise zunehmend wie eine Getriebene. In einigen Rathäusern heißt es, sie unternehme nicht genug, um die Städte bei der Aufnahme von Geflüchteten zu helfen.
Ein dickes Fell scheint nicht mehr zu reichen
Man sieht ihr den Stress nicht an, und ihre Stimme ist fest, als sie am Donnerstag im Landtag eine Rede hält. Nur zu Beginn verhaspelt sie sich kurz, kommt aber gleich wieder in den Redefluss. Josefine Paul zeigt keine Schwäche, obwohl ihr die harschen Vorwürfe von SPD, FDP und AfD noch in den Ohren klingeln. Regierungsmitglieder brauchen ein dickes Fell, aber in diesem Fall benötigte die Münsteranerin zwei davon. Da ist einerseits die offene, harte Kritik: Sie sei „unfähig“, „hilflos“, „überfordert“, „planlos“. Einige Kritiker üben sich aber auch in einer subtilen Art der Attacke, die darauf abzielt, am Selbstverständnis der grünen Politikerin zu rütteln.
Der SPD-Abgeordnete Christian Dahm zitiert einen nicht namentlich genannten Bürgermeister, der gesagt haben soll: „Gerade die grüne Flüchtlingsministerin in NRW macht die inhumanste Politik, die wir je hatten, weil sie die Städte zwingt, die Menschen in Turnhallen auf Feldbetten unterzubringen. Damit wird sie nicht nur den Menschen auf der Flucht nicht gerecht, auch legt sie damit die Axt an die Akzeptanz vor Ort an.“ Ihre humanitäre Grundhaltung ziehe er nicht in Zweifel, sagt Dahm zu Paul. „Aber das, was sie und die Landesregierung von Hendrik Wüst tun, das ist eine inhumane Politik.“
Der Sturm begann im Herbst '22 als laues Lüftchen
Der Sturm, in dem die frühere Grünen-Landtagsfraktionschefin gut ein Jahr nach ihrem Aufstieg zur Ministerin steht, begann im vergangenen Herbst als laues Lüftchen. Der Grundkonsens zwischen Land und Kommunen, die Unterbringung von Geflüchteten gemeinsam zu meistern, sei „ernsthaft in Gefahr“, warnte zum Beispiel Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda (SPD), und erinnerte an die Situation im Jahr 2015, als Land und Städte schon einmal eine Flüchtlingskrise meistern mussten. Der Chef des Städtetages NRW, Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), forderte die Landesregierung zu Jahresbeginn auf, in den „Krisenmodus“ zu schalten.
Inzwischen schlägt der Ministerin mancherorts offener Zorn entgegen. Die Nerven liegen blank, es fehlen überall Unterkünfte, und im Umfeld mancher Flüchtlingsheime ist die Stimmung angespannt. In Arnsberg wurden Pläne für eine Unterbringungseinrichtung nach Bürger-Protesten sogar ganz fallengelassen. Hinter vorgehaltener Hand raten selbst hochrangige Kommunalpolitiker der grünen Ministerin, ihr Engagement so sehr auf die Flüchtlingsunterbringung zu konzentrieren wie auf die Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen. Nüchtern betrachtet, ist es dumm und unfair, das eine mit dem anderen aufzurechnen. Aber es wirft ein Licht auf die Stimmungslage.
Streit um die Zahl der Plätze für Geflüchtete
Immer wieder muss sich Josefine Paul den Vorwurf anhören, sie habe das von ihr selbst gesteckte Ziel, bis zum Frühjahr 2023 insgesamt 34.500 Landesplätze für Geflüchtete zu schaffen, verfehlt. Derzeit sind es gut 30.000, und das komme „Arbeitsverweigerung“ gleich, wetterte der FDP-Landtagsabgeordnete Marc Lürbke am Donnerstag. 2015/16 sei es NRW gelungen, mehr als 80.000 Plätze zur Verfügung zu stellen, moniert die Opposition.
Josefine Paul versucht dann zu erklären, dass diese Zahlen trügerisch seien: „Bei diesen damals 80.000 Plätzen kommt es auf eine ehrliche Betrachtung an. 80 Prozent dieser Plätze befanden sich in Notunterkünften wie zum Beispiel Turnhallen. Das kann in der aktuellen Lage nicht der Weg sein.“
Auch Dietmar Panske (CDU) warnt vor einer Verklärung der Vergangenheit. „Sie haben damals über Nacht die Kommunen aufgefordert, sofort Plätze zur Verfügung zu stellen. Das waren schwerpunktmäßig Turnhallen. Die wurden zugemacht. Und das ist nicht die Politik von CDU und Grünen. Wir wollen vermeiden, dass wieder flächendeckend Hallen geschlossen werden, damit Kinder und Jugendliche weiter Sport treiben können. In der Pandemie haben sie schon genug gelitten.“
Josefine Paul appelliert abschließend an Bund, Länder und Kommen, die Probleme gemeinsam zu lösen. Sie bekommt Applaus dafür, aber der ist dünn.
Flucht nach NRW
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine haben mehr als 220.000 Ukrainerinnen und Ukrainer Zuflucht in NRW gefunden. Inzwischen übersteigt die Zahl der neu ankommenden Asylsuchenden aus Syrien, Afghanistan und anderen Krisenländern die Zahl der neu ankommenden ukrainischen Geflüchteten. Das Land rechnet in diesem Jahr mit insgesamt 60.000 Asylsuchenden, im kommenden Jahr mit 70.000.