Düsseldorf. Die CDU-Politikerin Ina Scharrenbach gilt als arbeitswütig und faktensicher. Wie konnte es zum Debakel um die Altschulden kommen?
Ina Scharrenbach ist im Tunnel. Konzentriert bearbeitet sie am Mittwochmorgen ihr aufgeklapptes Tablet. Sie schaut nicht nach links, nicht nach rechts, merkt nicht auf. Eine Frau allein mit sich und ihrer Aufgabe. Die nordrhein-westfälische Kommunalministerin sitzt auf der Regierungsbank des Düsseldorfer Landtags eingeklemmt zwischen Staatskanzleichef Nathanael Liminski und Finanzressortchef Marcus Optendrenk, doch die geflüsterten Kollegengespräche oder die dröhnende Haushaltsdebatte am Rednerpult erreichen sie heute scheinbar gar nicht.
Scharrenbach erlebt gerade einen Sommer des Missvergnügens. Die 46-jährige CDU-Politikerin aus Kamen musste am Dienstag ihren Vorschlag zur Lösung der Altschuldenproblematik vieler NRW-Kommunen zurückziehen. Das ist in der Politik in etwa so glücklich wie die krasse Gewinnwarnung eines Dax-Konzerns.
Scharrenbach erklärte in einer eilig anberaumten Videokonferenz ungewohnt wortreich, warum mal wieder der Bund schuld sei und wie man im nächsten Jahr einen neuen Anlauf nehmen werde. Doch am Ende dampften alle Ausflüchte auf einen Halbsatz zusammen: Die schwarz-grüne Landesregierung werde ihren Altschuldenvorschlag, den sie erst Ende Juni durchs Kabinett gebracht hatte, „in der Form erstmal nicht umsetzen“.
Ankündigung im Koalitionsvertrag war zur forsch: Altschuldenregel kommt 2023 nicht
Seither kritisiert die SPD eine „Bruchlandung“ und macht Scharrenbach zur Erfinderin eines „Münchhausen-Modells“. Die FDP spricht von einer „Blamage“ und einem „handwerklich schlecht gemachten Schnellschuss“. Vor allem der Vorwurf fehlender Verwaltungsfertigkeiten dürfte Scharrenbach hart treffen.
Die gelernte Betriebswirtin, die vor ihrem politischen Aufstieg für eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gearbeitet hat, versteht sich eigentlich auf Prozessoptimierung. Seit sie 2017 zur Kommunalministerin berufen wurde, schien sie all die fast unheimlichen Geschichten über ihre Arbeitswut und ihren Aktenfleiß fast zu genießen.
In Düsseldorf entstand das Bild einer Paragrafen-Frau, die nie Urlaub macht und Politik als schnörkellose Problemlösung begreift. Außer einer Zigarette zwischendurch oder einem Griff in den Süßigkeitenschrank in ihrem Vorzimmer schien Scharrenbach an ihren 14-Stunden-Tagen nichts zu brauchen. Wer sie trifft, wird zwar in der Regel korrekt behandelt, sollte dies aber nie fahrlässig als Einladung zum Rumlabern verstehen.
Geld nur umverteilt: Proteststurm war in den Kommunen groß
Und nun das. CDU und Grüne hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag im vergangenen Jahr dazu verpflichtet, das Mikado um die Altschulden endlich zu beenden. Man werde mit der Bundesregierung abermals nach einer Lösung suchen, um die milliardenschweren Verbindlichkeiten zur Liquiditätssicherung einiger Städte zu übernehmen. Kommunen wie Hagen oder Wuppertal brauchen dringend Hilfe. Erweitert wurde das Versprechen damals um einen forschen Satz: „Sollte der Bund seiner Verantwortung nicht nachkommen, bekennen wir uns dazu, im kommenden Jahr selbst eine Lösung herzustellen und dafür einen Altschuldenfonds einzurichten, der für die teilnehmenden Kommunen eine substanzielle und bilanzielle Entlastung bringt.“
Weil Schwarz-Grün aber gar keine 500 Millionen Euro pro Jahr für einen Altschuldenfonds zusammensparen konnte oder wollte, verfiel die Koalition auf eine verwegene Idee: Der jährliche Anteil der Kommunen an der Grunderwerbsteuer von 460 Millionen Euro, mit dem die Kämmerer ohnehin geplant hatten, sollte quasi einfach nur neu verteilt werden. Weitere „frische“ 500 Millionen Euro müsste bitteschön Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) beisteuern.
Scharrenbachs Führungsstil ist umstritten
Die „Mogelpackung“ entfachte einen Proteststurm in den Kommunen. Zudem winkte der Bund ab. Schwarz-Grün blieb am Ende nichts anders übrig, als das erste wichtige Versprechen des eigenen Koalitionsvertrages zu brechen. Die Grünen, eigentlich seit Jahren ehrliche Treiber der Altschulden-Debatte, gaben sich dennoch trotzig für eine PR-Mitteilung mit der CDU her: „Das Land steht zu seinem Wort für eine Altschuldenlösung.“
Scharrenbach selbst ist wohl viel zu sehr Realistin, um die Lage schönzureden. Gerade jetzt müsste sie sauber abliefern. Die „strenge Ina“, wie sie auf den Landtagsfluren genannt wird, gilt schließlich als mögliche nächste Ministerpräsidentin. Sofern es Hendrik Wüst 2025 nach Berlin zieht. Sie ist als stellvertretende CDU-Landesvorsitzende, Chefin der Frauen-Union und Präsidiumsmitglied der Bundespartei zweifellos ein Machtfaktor. Doch ihr Führungsstil ist umstritten.
Landesverfassung bremste mögliche Wüst-Rivalin aus
Obwohl Scharrenbach mit dem Gärtnereibetrieb ihrer Eltern großgeworden ist, den noch heute ihr Zwillingsbruder führt, liegt ihr die leutselige Serviceorientierung eher nicht. Über ihre mitunter schneidende Art und einsamen Entscheidungen wird in Regierungskreisen schon lange geklagt. Im Juli wechselten sogar ihre beiden engsten Vertrauten lieber ins Finanzministerium, was in ihrem Haus als kein gutes Zeichen gedeutet wird.
Einige hatten Scharrenbach bereits 2021 auf dem Zettel, als die Nachfolge ihres einstigen Förderers Armin Laschet anstand. Doch damals hatte sie noch kein Landtagsmandat, das laut NRW-Verfassung Voraussetzung für das Ministerpräsidenten-Amt ist. Ihr Gegenspieler Wüst hingegen schon. Später wurde bekannt, dass Scharrenbach im Flutsommer 2021 zu einer Geburtstagsparty des Ehemanns der zurückgetretenen Umweltministerin Ursula Heinen-Esser nach Mallorca geflogen war. Da die Kommunalministerin trotz eines Bronzekurses im Tanzen nie als feierwütig galt, versendete sich das peinliche Thema schnell. Die Altschulden könnte da zur größeren Schramme werden.