Düsseldorf. Seit Jahren wird in NRW um Anliegerbeiträge bei kommunalen Straßenerneuerungen gestritten. Jetzt kündigt sich eine Lösung an.
Ina Scharrenbach hat in den Ferien durchgearbeitet. Einbruch des Wohnungsbaus, Kritik an ihrem Vorschlag zur Lösung des kommunalen Altschuldenproblems, Diskussionen über die „Brandmauer“ zur AfD in den Stadträten - die 46-jährige Bau- und Kommunalministerin konnte sich über ein „Sommerloch“ nicht beklagen. Zeit für ein ausführliches Gespräch nahm sie sich trotzdem.
Die Zahl der Baugenehmigungen bricht ein. Der Traum vom Eigenheim oder der bezahlbaren Wohnung rückt für viele in weite Ferne. Wie kann die Politik gegensteuern?
Die wirtschaftliche Gesamtlage plus Steigerung von Zinsen und Materialkosten sind schwierige Rahmenbedingungen, aber die Bundesregierung verstärkt mit ihrer Art der Baupolitik sogar noch die Unsicherheit. Hin und Her bei der Kfw-Förderung, Gebäudeenergiegesetz, jetzt auch noch die kommunale Wärmeplanung – bei diesen permanent wechselnden Bedingungen investiert kein Mensch. Privatleute und Wohnungsbaugesellschaften warten ab, bis sich der bundespolitische Nebel lichtet.
Was tun Sie in eigener Verantwortung?
Wir erleben zurzeit einen echten Run auf die öffentliche Wohnraumförderung. Wir haben dieses Jahr die öffentliche Wohnraumförderung für mittlere Einkommen geöffnet. Das ist das erste Mal in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Nordrhein-Westfalen hat bundesweit zudem die verlässlichste Förderkulisse mit bis zu 55 Prozent Tilgungsnachlässen für die Modernisierung bestehender Wohnungen. So kann es gelingen, bei der Eigentumsbildung und im preisgebundenen Wohnraum echte Fortschritte zu erzielen. Ich bin jedenfalls vorsichtig optimistisch, dass wir die 1,6 Milliarden Euro an Fördermitteln, die zur Verfügung stehen, in diesem Jahr auch wirklich bewilligen können.
War das abrupte Ende des Grunderwerbsteuer-Puffers in NRW da nicht genau das falsche Signal?
Mein Kollege aus dem Finanzministerium beendet das Förderprogramm nicht abrupt, sondern lässt es auslaufen – mit Planungssicherheit für alle, die ihre Immobilie vor dem 14. Juli gekauft haben. Angesichts der tendenziell sinkenden Marktpreise für Häuser und Wohnungen erscheint mir der Zeitpunkt, ein von vornherein befristetes Programm zu beenden, vertretbar. Für die Zielgruppe, die davon profitiert hat, gibt es weiterhin alternative Hilfen des Landes beim Erwerb von Wohneigentum.
Gesetzesentwurf zu umstrittenen Straßenausbaubeiträgen kommt dieses Jahr
Die Straßenausbaubeiträge sorgen weiterhin für Verärgerung. Das Land hat zwar ein Förderprogramm aufgelegt, um Eigentümer zu entlasten, aber Unsicherheit und bürokratischer Aufwand bleiben. Warum ändern Sie nicht einfach das Gesetz?
Wir starten in diesem Jahr ein Gesetzgebungsverfahren, das die Beitragspflichten für Eigentümerinnen und Eigentümer endgültig abschaffen wird. Außerdem soll darin geregelt werden, wie das Land den Kommunen die entgangene Anliegerbeteiligung an den Kosten der Straßenerneuerung erstattet. Unsere Fachleute erarbeiten gerade eine rechtssichere Lösung. Glauben Sie mir: Alle sind die Debatte leid. Unser 65-Millionen-Förderprogramm ist ein wichtiger Schritt gewesen, um die Belastung der betroffenen Eigentümerinnen und Eigentümer schnell faktisch auf null zu setzen.
Ihr Vorschlag für eine Altschuldenlösung wird von den Kommunen als „Mogelpackung“ abgelehnt, weil das Land bloß ohnehin zugesagtes Geld für Städte und Gemeinden neu verteile. Was ist schiefgelaufen?
Bundes- und Landesregierung haben sich gemeinsam verpflichtet, die Herausforderung der kommunalen Altschulden anzugehen. Der Bund prüft noch immer, aber wir wollten ein Konzept vorlegen, mit dem wir zumindest den Einstieg in die dringend benötigte Hilfe schaffen - obwohl im Landeshaushalt 2024 kein Euro Spiel ist und absehbar kein Geld vom Himmel fallen wird. Wir garantieren einen Anteil der Kommunen an der Grunderwerbsteuer von 460 Millionen Euro jährlich, so dass wir als Land sehr wohl frisches Geld zuschießen werden, wenn das tatsächliche Steueraufkommen niedriger ist. Außerdem übernehmen wir das Zinsänderungsrisiko bei kommunalen Krediten, die aufs Land übergehen.
Wachstumschancengesetz könnte NRW-Kommunen 400 Millionen Euro pro Jahr kosten
Wie wird der Bund sich beteiligen?
Wir warten täglich auf eine Antwort aus Berlin und sind zuversichtlich, dass sich die Ampel an ihren eigenen Koalitionsvertrag halten wird. Neue Sorgen bereiten den Kämmerern aber leider die Pläne des Bundesfinanzministers für sein Wachstumschancengesetz, das ein weiterer Griff des Bundes in die kommunalen Kassen wäre. Das würde massive Gewerbesteuerausfälle bedeuten, allein für Städte und Gemeinden in NRW könnten es 400 Millionen Euro weniger pro Jahr sein. Das wäre schon eine Hausnummer, die in der gegenwärtigen Lage kaum aufzufangen ist.
Wie blicken Sie als CDU-Kommunalministerin auf die „Brandmauer-Debatte“ und mögliche Kooperationen auf Kommunalebene mit der AfD?
Es kann keine Zusammenarbeit von Demokraten mit Extremisten geben. Das verbietet sich auf jeder politischen Ebene, da gibt es für mich auch keine Einzelfallbetrachtung. Jedem muss klar sein: Diese Leute arbeiten am Ende immer gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Gibt es in aufgeheizten Zeiten noch den alten Kodex der Parteien, einigermaßen anständig miteinander zu streiten?
Wir müssen als Demokraten stärker darauf achten, wie wir den demokratischen Diskurs führen. Man kann Probleme benennen, ohne sie populistisch aufzuladen oder den Wettbewerber mit ehrabschneidenden Vorwürfen zu überziehen. Die Tonlage einer Gesellschaft wird auch durch die Debattenkultur in den Parlamenten bestimmt. Wenn wir als Politiker uns durch eine Eskalation der Sprache Gehör verschaffen wollen, vergiften wir das Klima und betreiben das Empörungsgeschäft der Anti-Demokraten. Wir stehen auf dem Fundament der demokratischen Werte stabiler, wenn nicht alle darauf laut herumstampfen.