Düsseldorf. Die Tagesmutter Birgit Schlebusch liebt ihren Job, die Kinder lieben sie. Doch abends sitzt die 59-Jährige verzweifelt am Küchentisch.
Birgit Schlebusch hat ein Paradies erschaffen. Mit exotischen Tieren, von der Decke baumelnden Schaukeln und bunten Zügen, die kreuz und quer umher fahren. „Tschut, tschuuut, die Bahn kommt!“, ruft Finn und hält ihr eine Lokomotive unter die Nase, sie ist aus Holz. Währenddessen zieht Lotta an Birgit Schlebuschs buntem Sommerkleid. Sie möchte ihr zeigen, was sie aus den bunten Klötzchen gebaut hat.
Finn (zwei Jahre alt) und Lotta (eineinhalb) sind zwei von neun Kindern, auf die Birgit Schlebusch und ihr Team aufpassen. Die 59-Jährige bezeichnet sich selbst als „Tagesmutter aus Leidenschaft“. Seit 15 Jahren betreibt sie eigene Großtagespflegen in Düsseldorf.
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Birgit Schlebusch liebt ihren Job, die Kinder lieben sie. Doch abends, wenn die Kinder wieder bei ihren Eltern sind, sitzt sie verzweifelt am Küchentisch. Vor ihr türmen sich Papierberge, in der einen Hand hält sie einen Taschenrechner, in der anderen ihr Telefon.
72.000 Mädchen und Jungen in der Kindertagespflege angemeldet
Kaum Wertschätzung, wenig Geld, ein Gefühl der Ungerechtigkeit: Mit vielen Tagesmüttern und -vätern hat sich Schlebusch unlängst zusammengetan, sie wollen „endlich gesehen werden“. Ihre Anliegen tragen sie seit Jahren an Politik und Kommunen heran. „Geändert hat sich nichts“, findet Schlebusch.
Dabei werden sie und ihre Kolleginnen immer gefragter. Neuste Zahlen des Landes zeigen: Für das kommende Kitajahr wurden in NRW insgesamt mehr als 72.000 Mädchen und Jungen in der Kindertagespflege angemeldet – ein Plus von 834 Kindern im Vergleich zum Vorjahr. Schaut man sich die Zahlen von 2012 an, wird der Anstieg noch deutlicher: Da waren es nur knapp 34.000 Kinder.
Kindertagespflegestätten sind wegen kleinerer Gruppen und der familiären Atmosphäre beliebt, wie Eltern dieser Redaktion erzählt haben. Die Betreuung sei zudem persönlicher. Hinzu kommt, dass Kitaplätze rar gesät sind.
Sie werden beliebter, sie werden nachgefragter, aber das spiegelt sich nicht in den Umständen wider – im Gegenteil. Viele Tagesmütter und -väter können nicht mehr. 300 Tageseltern haben im vergangenen Jahr in NRW aufgehört. Das entspricht etwa 1500 Betreuungsplätzen.
„Immer mehr Kolleginnen und Kollegen werfen das Handtuch, weil etwa die Rahmenbedingungen für sie unklar sind oder die Kooperation mit den kommunalen Jugendämtern nicht funktioniert“, sagt Michaela Mignogna vom Verein Berufsvereinigung Kindertagespflegepersonen. Denn welche oder ob eine Tagesmutter Zuschüsse erhält, hänge stark damit zusammen, welche Gewichtung die Kommune der Kindertagespflege beimisst.
Tagesmütter in NRW: Jede Kommune zahlt anders
Ein Beispiel: Eine Tagesmutter in Lüdenscheid bekommt 3,60 pro Stunde und Kind, in Gladbeck sind es rund sechs Euro, wie eine Umfrage vom Netzwerk Kindertagespflege NRW zeigt (2021). Michaela Mignogna fordert eine Angleichung der Einnahmen: „So eklatante Unterschiede dürfen nicht sein. Vor allem nicht bei wohlhabenden Kommunen.“
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So verdienen Düsseldorfer Tagesmütter wie Birgit Schlebusch in der Stunde 5,29 Euro, sagt sie. Bei drei Kindern seien es etwa 15. Doch nicht nur die Einnahmen unterscheidet sich von Stadt zu Stadt. Auch die Bezahlung von Kranken- und Urlaubstagen sei anders. „Von null bis 60 bezahlten Krankentagen ist in NRW alles dabei“, so Mignogna. Hier brauche es dringend eine Regelung, so dass Urlaubs- und Krankentage immer bezahlt werden und sich die Summe nur in wenigen Tagen unterscheidet.
Tagesmutter: „Wir müssen die Kinder gut betreuen – brauchen aber auch die Mittel“
Tagesmutter Birgit Schlebusch etwa arbeitet vier Wochen im Jahr unbezahlt. „Wie kann das sein?“ Mignogna erklärt: In einigen Kommunen bekämen Kindertagespflegepersonen eine monatliche Pauschale, sie werde anders berechnet als ein Gehalt.
Normalerweise wird in anderen Branchen ein Gehalt bei einer 40-Stunden-Woche mal 4,33 gerechnet, weil ein Monat ja nicht immer genau vier Wochen hat. „Rechnet man die 40 Stunden nur mal 4, wird ein Etliches der geleisteten Arbeit nicht vergütet“, so Mignogna. Für Birgit Schlebusch ist das ein „Skandal“. „Unsere Pflicht ist, die Kinder gut zu betreuen – dann muss man uns aber auch die Mittel dafür geben.“
Expertin: „Flickenteppich“ zerschneiden
Von der Stadt Düsseldorf heißt es auf Nachfrage, dass der Monatspauschale „eine komplexe Berechnung“ zugrunde liege. Hierbei spiele etwa ein vertraglich vereinbartes Stundenkontingent eine Rolle. Die Stadt fördere aber an anderer Stelle, so eine Sprecherin, etwa würden Krankheitsausfälle und Urlaube der Tageseltern „großzügig“ weitervergütet.
Bettina Konrath, Vorsitzende vom Landesverband Kindertagespflege NRW, erklärt, dass die vorhandenen Mittel im Haushalt der jeweiligen Kommune eine Rolle spielen. Für sie steht fest: Die eine „Beispiel-Kommune“, in der alles perfekt läuft, gebe es nicht. Vielmehr müsse das Land die Finanzierung eines Mindeststandards mittragen, um den „Flickenteppich“ zu zerschneiden.
Währenddessen werden die Zeiten für Schlebusch und ihre Kollegen immer schwerer: Tagesmütter, die auf dem Papier selbstständig sind, müssen im Gegensatz zu Kita-Angestellten, alles, was sie im Arbeitsalltag brauchen, vom Lohn selbst bezahlen. Dieser teilt sich auf in sogenannte Förderleistung (erzieherische Arbeit) und Sachkosten (etwa Strom oder Versicherungen).
Brief an die Familienministerin Paul
„Die Energie und Lebensmittelkosten sind massiv gestiegen“, sagt Schlebusch. Ihr Lohn ist es jedoch nicht. Seit 2014 haben Tageseltern gerade einmal 4,8 Prozent mehr bekommen. Zum Vergleich: „Bei Kitas waren es im gleichen Zeitraum 46,6 Prozent“, rechnet Schlebusch vor. Der einmalige Energiekostenzuschuss von 80,05 Euro pro Kind passe vorne und hinten nicht. Eine Köchin zahlt sie aus ihrer eigenen Tasche. Ebenso wie Renovierungen, neues Spielzeug und Reparaturen. „Dafür muss ich private Rücklagen bilden.“
Deshalb hat sie mit ihren Kollegen kürzlich einen Brief an NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) geschrieben. Darin schlugen sie unter anderem vor, ihre Einkommen an die einer Kita anzugleichen – damit nicht noch mehr von ihnen aufgeben. Eine Antwort habe es bislang nicht gegeben.
Wie wird man Tagesmutter?
Seit dem ersten August 2022 brauchen Kindertagespflegepersonen für ihre Qualifizierung 300 Unterrichtseinheiten aus dem Qualifizierungshandbuch Kindertagespflege (QHB). Bereits ausgebildete pädagogische Fachkräfte, etwa Erzieher, benötigen nur 80 Einheiten.
Die Qualifizierung zur Tagesmutter können nur Menschen beginnen, die volljährig sind und mindestens einen Hauptschulabschluss haben.
Zudem müssen sie Bescheinigungen vorweisen, etwa ein erweitertes Führungszeugnis und eine ärztliche Bescheinigung. Das kommunale Jugendamt prüft außerdem die Räumlichkeiten der angehenden Tagesmutter.