Essen. Patienten wollen Service wie im Hotel, Chefs drängen auf Effizienz - immer mehr Pfleger flüchten aus den Kliniken. Zwei von ihnen erzählen.

Fast jede dritte Pflegekraft hat in den vergangenen Jahren ihren Job aufgegeben. Besonders viele Pflegerinnen und Pfleger sind aus den Krankenhäusern geflüchtet. Zwei von ihnen berichten aus ihrem Alltag in einer Klinik im Ruhrgebiet. Und darüber, was sich ändern muss, damit sie bleiben. Sie wollen anonym bleiben, weil sie Konsequenzen ihrer Chefs fürchten. Hier heißen sie auf eigenen Wunsch geschlechtsneutral: Alex und Kim.

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Kim: „Ich habe schon oft darüber nachgedacht, einfach auszusteigen. Das sind dann solche Tage: Ich bin morgens noch gar nicht ganz da, da höre ich, dass sich eine Kollegin krankgemeldet hat. Ich muss mich also alleine um 30 Patienten und einen Azubi kümmern. Dann steht schon der erste Patient vor mir: ,Wann kommt endlich keim Kaffee?’ Gleichzeitig läuft ein dementer Patient völlig orientierungslos aus der Klinik Richtung Straße. Und irgendwo liegt eine dritte Patientin schreiend auf dem Boden.“

Alex: „Wenn ich auf der Station ankomme, muss ich eigentlich zuerst die Vitalwerte aller Patienten kontrollieren. Das ist wichtig: Geht es den Patienten gut? Ist einer im kritischen Zustand? Doch oft sind wir zu wenig Kollegen, um gewissenhaft zu kontrollieren. Dann muss im Zweifel der Azubi ran. Ich weiß, das Risiko für die Patienten steigt durch fehlende oder oberflächliche Kontrollen.

Einmal hat sich etwa der Blutdruck eines Patienten unbemerkt verschlechtert. Später erlitt er einen Schlaganfall. Das geht mir sehr nah. Es ist ein schlimmes Gefühl, helfen zu wollen, aber nicht zu können, weil wir zu wenige sind.“

„Hier ist nicht der Patient geduldig, sondern der Kunde König“

Kim: „Was mich dann echt ärgert ist das Verhalten auf Leitungsebene. Anstatt sich in den Situationen selbst den Arbeitskittel überzuziehen und mit anzupacken, erinnert sie mich noch einmal mahnend daran, alles schriftlich genau zu dokumentieren. Dabei muss der Patient am Bett doch die Priorität sein und nicht sie Dokumentation am Computer.“

Alex: „Es gibt einen massiven Interessenskonflikt, denn für viele Leitungen zählt in erster Linie, dass der Patient zufrieden ist. Durch die Monetarisierung der Krankenhäuser scheint ein falsches Bild entstanden zu sein. Bei uns ist nicht mehr der Patient geduldig, sondern der Kunde König. Viele benehmen sich, als seien sie in einem Hotel und nicht im Krankenhaus.“

„Ich bin keine Pflegekraft geworden, um Brote zu schmieren“

Kim: „Ich übernehme teilweise die Aufgaben einer Servicekraft, verteile zum Beispiel das Abendessen. Das alles, während ein Patient im Nebenzimmer im Sterben liegt und ein anderer sich eingestuhlt hat. Ich bin keine Pflegekraft geworden, um Brote zu schmieren.“

Alex: „Ich kann nicht pünktlich um 15 Uhr den Kaffee servieren. Und ich kann auch keinen kaputten Fernseher reparieren oder den Koffer auspacken. Ich muss Prioritäten setzen, Medikamentenvergabe und medizinische Erstversorgung haben Vorrang. Wir Pfleger bekommen aber den ganzen Missmut von Patienten und Angehörigen ab, weil es keine Beschwerdestelle gibt.“

Pflegekraft aus NRW: „Pausenzeiten werden nicht eingehalten“

Kim: „Für uns gibt es auch keine richtige Anlaufstelle. An wen sollen wir uns wenden, wenn wir nicht mehr weiter wissen? Bei uns werden die Pausenzeiten nicht eingehalten, oft arbeiten wir einfach durch. Dokumentieren sollen wir das aber bitte nicht.“

Alex: „Krankenhäuser sind dazu verpflichtet, Pflegepersonal vorzuhalten. Eine Pflegekraft kommt dabei auf zehn Patienten. Das ist die sogenannte Pflegeuntergrenze. Diese Regelung wird jedoch oft nicht eingehalten. Es kam schonmal vor, dass zwei Pflegekräfte 40 Patienten betreuen mussten. Da muss es von der Politik eine vorgeschriebene Grenze geben, keine Untergrenze. Sodass sich ein Pfleger zum Beispiel nur um fünf Patienten kümmern muss.“

Kim: „Einmal habe ich eine Überlastungsanzeige an die Leitung geschrieben. Am nächsten Tag wurde ich angerufen, mit der Bitte, das künftig nicht mehr zu tun. Wahrscheinlich, weil es kein gutes Licht auf die Klinik werfen würde. Ich habe schon häufiger weinende Kollegen auf der Toilette getroffen, weil ihnen alles zu viel geworden ist. Wir werden behandelt wie Hunde.“