Schleiden. Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe sind in Schleiden viele Schäden behoben. Die seelischen Wunden aber bleiben. Ein Ortsbesuch.

Die Urft fließt leise und friedlich murmelnd am Haus vorbei. Der Duft von Waffeln erfüllt die kleine Dachgeschosswohnung. Heike Arndt läuft über die Holzdielen, sie liebt das Knarren. Sie hat ein neues zu Hause gefunden, zwei Jahre nach der Flut, die ihr altes Leben weggespült hat, so wie die früheren Leben von so vielen Menschen in Schleiden. Mit dem, was geschah, als der Bach vor dem Haus zu einem reißenden Fluss wurde, „leben wir hier jeden Tag“, sagt sie.

Schleiden im Eifelkreis Euskirchen. 18 Ortschaften, 13.500 Einwohner. Jeder dritte von ihnen wurde zu einem Betroffenen, als in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli das Wasser kam. Neun Menschen starben. Zwei Jahre nach der Katastrophe sind die sichtbaren Wunden in der Stadt weitgehend verheilt. Die Schuttberge sind längst abgeräumt, die Fußgängerzone in Schleiden ist neu gepflastert. Obwohl manches Gebäude eingerüstet ist, scheint die Normalität Einzug gehalten zu haben.

Heike Arndt ist noch nicht in der Normalität angekommen. Die NRZ hat die heute 55-Jährige nach der Flut mehrmals besucht. Als sie wenige Tage nach der Katastrophe fassungslos in der Ruine ihres Hauses an der Urftseestraße im Stadtteil Gemünd stand. Als sie in Schleiden ein Obdach gefunden hatte. Jetzt sitzt sie in der Küche ihres neuen Zuhauses, es ist vielleicht 500 Meter entfernt von ihrem alten, das sie verkauft hat. Mit dem Wasser hat sie ihren Frieden gemacht, sagt sie. Sie mag das sachte Rauschen des Baches, genießt es, an seinem Ufer zu sitzen.

Die Katastrophe vor zwei Jahren beschäftigt sie aber immer noch. „Lautstärke ist für mich ein Problem, ich kann keine Musik hören. Ein Buch lesen kann ich auch noch nicht. Ich erschrecke mich oft.“ Als kürzlich ein Rettungshubschrauber über Gemünd knatterte, da war sie kurz vor einer Panikattacke. Sie vermeidet es, aus dem Haus zu gehen, mag nicht unter Leuten sein. https://www.nrz.de/region/niederrhein/die-existenzen-der-menschen-liegen-in-truemmern-id232902723.html

Vor einigen Monaten war Heike Arndt regelmäßig im Hilfezentrum Schleidener Tal, das in einer ehemaligen Steuerkanzlei eingerichtet worden ist, um den Menschen zu helfen, die Opfer der Flut geworden sind. Organisationen haben dort Hilfsangebote gebündelt. Ein Team der Malteser leistet dort psycho-soziale Unterstützung für Menschen wie Heike Arndt. 8000 bis 9000 Menschen in der Region brauchen eine solche Hilfe, schätzt Therapeut Frank C. Waldschmidt.

„Wir unterstützen hier Einsatzkräfte, von der Flut Betroffene und Helfer“, erzählt Waldschmidt. Da sind die freiwilligen Feuerwehrleute, die „nicht mehr aus dem Einsatz herauskommen“, wie der Mann, der hauptberuflich Wasserbau-Ingenieur ist und immer wieder mit dem Thema konfrontiert wird. Da sind die Helfer, wie der ältere Mann aus dem Iran, der in der Flutnacht geholfen hat und jetzt merkt, wie sein Körper reagiert, wenn es stark regnet. Da sind die Menschen, die ihre zerstörten Häuser renoviert haben, jetzt zur Ruhe kommen und plötzlich merken, wie alles zurückkommt.

Der Bedarf an psycho-sozialer Unterstützung wird nicht weniger, sagt Waldschmidt. „Bei manchen hat die Flut den Boden ihres Geistes aufgewühlt und lange unterdrückte Lebensereignisse ins Bewusstsein gespült.“ Er berichtet von einer Frau, die in ihr Haus zurückgekehrt ist, jetzt aber nicht im Schlafzimmer übernachten kann, weil sie dort von Panik überfallen wird. Oder von Jugendlichen, bei denen sich die Flut-Erlebnisse mit den Erfahrungen in der Corona-Pandemie und der Kriegsangst zu einer Multi-Krise hochschaukeln. „Man muss den Leuten hier noch lange helfen.“ https://www.nrz.de/region/niederrhein/ein-jahr-nach-der-flut-in-der-eifel-gemeinde-schleiden-id235887969.html

Unterstützung brauchen viele Flutopfer auch zwei Jahre nach der Katastrophe noch immer bei der Antragstellung auf finanzielle Hilfen. Dafür sind die Sozialpädagogin Dorothea Gehlen von der Caritas und ihr Team zuständig. Ein Drittel der Betroffenen, schätzt sie, haben noch immer keinen Antrag auf staatliche Wiederaufbauhilfe gestellt. „Manche, weil sie nicht wussten, dass es diese Hilfe gibt, andere, weil sie erst jetzt aus der Starre aufwachen.“ Sie gehen aktiv auf die Leute zu. Allein in Schleiden gebe es noch rund 1500 Haushalte, „bei denen man genauer hinschauen muss“. Der Staat zahlt 80 Prozent der Schäden. Die Caritas finanziert die restlichen 20 Prozent über Spendenmittel.

Die Katastrophe ist noch in den Köpfen der Menschen

Die Katastrophe, sagt Gehlen, sei noch präsent. „Ende Juni hatten wir hier Starkregen. Da standen die Leute an der Haustüre und haben geschaut, ob das Wasser kommt.“ Auch Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings weiß: „Die Flut ist noch immer ein großes Thema in den Köpfen der Menschen, auch wenn sie sich nach Normalität sehnen.“ In den vergangenen Monaten hat der Bürgermeister mit seinem Team aus der Stadtverwaltung daran gearbeitet, die Folgen der Flut zu bewältigen.

Es ist noch viel zu tun in Schleiden. Zwar sind die Kindergärten und Schulen wieder in Betrieb, oft besuchen die Kinder und Jugendlichen aber Provisorien. Die meisten Straßen sind wieder befahrbar, aber die Brücken sind ein großes Problem. 456 Einzelmaßnahmen müssten insgesamt umgesetzt werden, sagt Pfennings. Dafür hat das Land 203 Millionen Euro bewilligt. Normalerweise verbaut die Stadt fünf Millionen Euro im Jahr. Läuft alles glatt, ist der Wiederaufbau bis 2030 beendet. https://www.nrz.de/region/niederrhein/der-abschied-vom-alten-leben-nach-der-flut-in-der-eifel-id233257407.html

Am Jahrestag der Flut ist der Bürgermeister nicht in Schleiden. Er verbringt den ersten Urlaub seit der Flut mit seiner Familie auf Kreta. Pfennings sagt, es sei ein bisschen frustrierend, dass das Wir-Gefühl schwinde, dass die Menschen nach der Flut zusammenschweißte. „Es gibt jetzt Leute, die sich beschweren, dass für die Ukraine oder für Flüchtlinge viel Geld ausgegeben werde, aber in Schleiden die Brücke in der Nachbarschaft noch nicht aufgebaut ist.“ Es sind diese Unzufriedenen, wegen denen auch Heike Arndt nicht gerne unter Leuten ist. „Ich kann das nicht hören“, sagt sie.

Anfang August wollen die Menschen in Schleiden mit zwei Festen den zahlreichen Helfern danken, die ihnen nach der Flut zur Seite standen. Manche dieser Helfer kommen noch heute, um den Wiederaufbau zu unterstützen. In der Stadt soll es am Freitagabend ein leises Gedenken an die Nacht der Katastrophe geben. Um 20.50 Uhr werden in Schleiden die Glocken läuten. Das war der Zeitpunkt, als in der Stadt vor zwei Jahren der Strom ausfiel.