Düsseldorf. Kostenexplosion, Reformpläne aus Berlin, Standortabsprachen in NRW: Warum 2024 ein Schicksalsjahr wird, sagt Klinikmanager Ingo Morell.
Ingo Morell, Klinikmanager aus Olpe und Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, hat es gerade mit drei Herausforderungen gleichzeitig zu tun: Der Kostenexplosion infolge des Ukraine-Krieges, den tiefgreifenden Reformplänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der Neuordnung der Versorgungslandschaft in NRW. Wo das hinführt, erklärt er im Interview.
Herr Morell, Bundesgesundheitsminister Lauterbach sagt, Deutschland stehe am Vorabend eines Krankenhaussterbens. Hat er Recht?
Wenn nichts passiert und der Bundesgesundheitsminister weiterhin seiner Verantwortung für die Versorgungssicherheit der Patientinnen und Patienten nicht nachkommt, dann behält er leider Recht. Aber das wäre ein kalter Strukturwandel.
Warum stehen so viele Kliniken auf der Kippe?
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Kosten für Energie, Verpflegung und Medizinprodukte stark gestiegen. Schon jetzt beläuft sich das rechnerische Defizit aller nordrhein-westfälischen Krankenhäuser auf rund 1,6 Milliarden Euro. Stunde um Stunde wird das Etatloch um knapp 200.000 Euro größer. Im nächsten Jahr kommt noch eine stattliche Tariferhöhung hinzu, die allen Beschäftigten zusteht, für die aber kein Krankenhaus ohne Gesetzesänderung voraussichtlich die erforderlichen Mittel hat. In der Pandemie zu applaudieren und dann die Dinge einfach laufen zu lassen – das passt für mich nicht zusammen.
"Es verschwinden auch Kliniken, die wir dringend brauchen"
Der Bund hat den Krankenhäusern in der Pandemie und in der Energiekrise mit beträchtlichen Summen unter die Arme gegriffen. Was wollen Sie denn noch?
Die staatliche Unterstützung während der Corona-Jahre erkennen wir ausdrücklich an. Sie hat geholfen, unser leistungsfähiges Gesundheitssystem in einer historischen Ausnahmesituation vor dem Kollaps zu bewahren. Die Krisenhilfen infolge des Krieges hingegen klangen mit bundesweit sechs Milliarden Euro zunächst zwar ordentlich, sie kommen aber durch zum Teil absurde Förderkriterien in diesem Jahr nur etwa zur Hälfte an und werden angesichts unserer Kostensteigerungen nicht reichen. Bundesweit wird das Defizit der Krankenhäuser bis Jahresende trotz der Hilfen auf zehn Milliarden Euro steigen.
Lauterbach sagt, man könne ein marodes System nicht noch einmal mit der Gießkanne retten…
Wir können doch nicht sagen, das System ist krank, und deswegen geben wir als Staat kein Geld mehr für die staatlich zugelassenen, notwendigen Krankenhäuser, um zum Beispiel gestiegene Tariflöhne zu bezahlen. Das ist keine freiwillige Leistung. Die Krankenhausfinanzierung steht im Gesetz, und die Bürgerinnen und Bürger sind auf eine ortsnahe, hochwertige medizinische Versorgung rund um die Uhr angewiesen.
Wieviele Krankenhäuser in NRW werden verschwinden?
Das ist noch nicht zu beziffern, aber es droht 2024 ein unkontrolliertes Wegbrechen von Standorten. Die Träger kämpfen um ihre Krankenhäuser, bis es gar nicht mehr geht. Ich weiß aber allein von zwei, drei Geschäftsführern, die im Moment in ihren Aufsichtsgremien darüber diskutieren, ob sie eine eigenverwaltete Insolvenz machen. Einer Insolvenz folgt aber häufig der endgültige Abbau von Angeboten. Das führt leider auch zu unkontrollierten Schließungen von Kliniken, die wir dringend brauchen.
Deutschland ist Weltmeister in der stationären Krankenhausbehandlung. Brauchen wir wirklich so viele Kliniken?
Erstens: Die Patienten verschwinden nicht einfach, wenn das Krankenhaus verschwindet. Ich selbst musste schon Standorte schließen. Mindestens die Hälfte der Patienten sucht dann andere Kliniken auf. Für die müssen Behandlungskapazitäten vorhanden sein. Zweitens: Ja, wir werden Fachabteilungen, einzelne Standorte und sogar ganze Krankenhäuser schließen müssen, aber bitte mit einer vernünftigen Struktur und einer ehrlichen Kommunikation gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.
Ambulante Behandlungen brauchen oft stationären Hintergrund
Es ist aber doch unstrittig, dass in Deutschland mehr ambulant behandelt werden muss.
Wir könnten mehr ambulant machen, brauchen aber die Sicherheit des stationären Hintergrunds. Wenn Sie zum Beispiel bei einer älteren, dementen Dame eine Darmspiegelung machen, sind Aufwand und Risiko deutlich höher als bei einem 40-jährigen Vorsorgepatienten, der nach dem Besuch beim niedergelassenen Arzt sofort wieder nach Hause geht. Da hilft keine Schablone für ambulante und stationäre Eingriffe aus Berlin. Übrigens sind in vielen anderen Ländern sind die Krankenhäuser die Orte, wo die ambulante Behandlung stattfindet.
Parallel zur Reformdiskussion auf Bundesebene verhandeln in NRW seit Monaten Krankenhausbetreiber und Krankenkassen über einen neuen Krankenhausplan. Warum gibt es so viel Uneinigkeit?
Die Gespräche laufen erfreulich konstruktiv. Aber es war völlig klar, dass eine Absprache zwischen Kassen und Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen über künftige Behandlungsschwerpunkte und Fallzahlen nicht einfach wird. Wenn ich einem Chefarzt, einer Chefärztin sagen muss, bestimmte Eingriffe machen wir künftig nicht mehr, tut das immer weh. Am Ende wird das Land nicht umhinkönnen, eine Entscheidung über wegfallende Krankenhausstandorte zu treffen und das auch öffentlich gemeinsam mit den Krankenkassen und den Krankenhausträgern zu vertreten. Ich möchte nicht, dass die Schlagzeilen am Ende wieder lautet: Betreiber x gibt Krankenhaus y auf.