Düsseldorf. Ein brisanter interner Prüfbericht zu Korruptionsvorwürfen bei der Luxussanierung der NRW-Staatskanzlei wirft neue Fragen auf.

Der Korruptionsskandal um die Luxussanierung der NRW-Staatskanzlei ist offenbar auch das Ergebnis von Steuergeld-Verschwendung und eines eklatanten Aufsichtsversagens. Das geht aus einem 175-seitigen internen Revisionsbericht des landeseigenen Bau- und Liegenschaftsbetriebs (BLB), der unserer Redaktion vorliegt.

Das bereits Ende 2023 gefertigte und bislang unter Verschluss gehaltene Dokument ist Teil umfassender Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wuppertal und des Landeskriminalamtes gegen sieben Beschuldigte. Es handelt sich um Mitarbeiter des BLB, eines renommierten Düsseldorfer Architekturbüros und eines Leuchtenherstellers. Sie sollen die Steuerzahler beim Umbau des „Landeshauses“ am Rheinufer gemeinschaftlich um Millionen geprellt haben, indem Ausschreibungen manipuliert und hohe Nachforderungen in Rechnung gestellt wurden.

Mitarbeiter der Staatskanzlei selbst, die Nutzer der BLB-Liegenschaft ist, gehören bislang nicht zu den Beschuldigten. Allerdings rückt der jetzt bekannt gewordene interne Revisionsbericht die Rolle der Regierungsspitze und der Ministerialbürokratie in ein neues Licht.

Noch immer nicht fertig: An der NRW-Staatskanzlei wird seit sieben Jahren gearbeitet.
Noch immer nicht fertig: An der NRW-Staatskanzlei wird seit sieben Jahren gearbeitet. © dpa | Henning Kaiser

„Der Objektplaner nutzte diverse Möglichkeiten, um den Projektumfang auszuweiten. Auch die Nutzerwünsche wurden im laufenden Projekt durch viele Änderungen erweitert und führten zu umfangreichen Nachträgen der planenden und der ausführenden Unternehmen“, heißt es in dem Bericht. Nutzerwünsche sind Anforderungen, die von der Staatskanzlei selbst an die Umbaumaßnahmen gerichtet wurden.

Umbau der NRW-Staatskanzlei: Warum bekam ein bestimmter Architekt den Auftrag?

Unklar bleibt den Prüfern vor allem, warum für die Objektplanung der zunächst angegangenen Sicherungsmaßnahmen am „Landeshaus“ 2018 ausgerechnet ein Architekturbüro ausgeguckt wurde, das auf diesem Feld kaum Expertise hatte. Da die Regierungszentrale ein besonders geschützter Bereich ist und der Ministerpräsident bewacht werden muss, spricht die Polizei bei solchen Bauplanungen immer mit. Dass besagter Architekt den Zuschlag bekam, ist bedeutsam, weil der Auftrag offenkundig die Eintrittskarte für zahlreiche, zum Teil fragwürdig vergebene Folgeaufträge für Umbau und Gestaltung der Staatskanzlei war.

Bei der freihändigen Vergabe wurde in der internen Kommunikation explizit erwähnt, dass es sich um einen „NRW-Preisträger“ handelte, was eine politische Einflussnahme nahelegt. Die Prüfer notieren: „Wer die Planungsbüros für die Sicherungsmaßnahmen auswählte, konnten wir nicht ermitteln.“ Als Qualifikation des Architekten wird aber der „versierte Umgang mit politischer Brisanz“ angeführt. Die Opposition im Landtag wird nun der Frage nachgehen: Welche Rolle spielte der damalige Hausherr Armin Laschet (CDU) und sein Umfeld bei der Auftragsvergabe, die vielleicht der Ursprungsfehler des späteren Skandals war?

Belegt ist außerdem, dass die Regierungsspitze keineswegs völlig unbeteiligt den Bauarbeiten zusah, sondern sehr wohl direkten Einfluss genommen haben muss. So seien „auf ausdrücklichen Wunsch des Herrn Ministerpräsidenten“ in einigen Räumen Sicherheitsverglasungen weggelassen worden, heißt es im Prüfbericht. Dafür wurden plötzlich auch Rechnungen für „Möbel- und Kunstberatung“ eingereicht und bezahlt.

Plötzlich wurden Schrankfächer mit Messing ausgeschlagen

Auch als Laschet im Herbst 2021 gar kein Ministerpräsident mehr war, müssen sich die Umbauarbeiten immer weiter verselbstständigt haben. FDP-Fraktionsvize Ralf Witzel hatte bereits in der vergangenen Woche die Frage aufgeworfen, in welchem Geist die Sanierung des historischen „Landeshauses“ vorangetrieben wurde: Ging es „um das letzte Design-Highlight“ oder um eine „funktional-sinnvolle Lösung“?

Fakt ist: Immer neue teure Folgeaufträge wurden zumindest mit Billigung der Staatskanzlei gestellt, die das Gespann aus BLB-Mitarbeitern, Architekturbüro und Beleuchtungsfirma augenscheinlich allzu gern ins Werk setzte.

Auf einmal wurden Büros zu einem edlen Bistro umgebaut und eine Küche um Zehntausende Euro teurer als ursprünglich veranschlagt. „Warum wurden bei der ursprünglichen Planung die Nutzerwünsche nicht berücksichtigt?“, fragen die Prüfer.

Neue Festsaalbeleuchtung: Die Repräsentationsetage der NRW-Staatskanzlei.
Neue Festsaalbeleuchtung: Die Repräsentationsetage der NRW-Staatskanzlei. © dpa | Rolf Vennenbernd

Vor allem das im hippen Stil eines New Yorker Loft hergerichtete Landespresse- und Informationsamt im Erdgeschoss des Baus schöpfte augenscheinlich immer ungenierter aus den Vollen. Allein der Pressesaal wurde aufwändig umgebaut. „Da das Beleuchtungsmittel in die bestehende Decke integriert werden sollte, bestand keine Notwendigkeit, ein extrem teures System wie das der XX einzubauen“, moniert der Prüfbericht. Man hätte allein an diesem Detail bis zu 200.000 Euro sparen können.

Schuld ist hier wohl nicht allein der BLB auf Auftraggeber: Die Produkte seien „nach Bemusterung von dem Nutzer, der Staatskanzlei, festgelegt worden“.  Fragen werfen auch kuriose 1129,93 Euro auf, die für Mitarbeiter und Besucher der Regierungszentrale nicht einmal zu sehen sind: „Des Weiteren ist nicht nachvollziehbar, warum ein untergeordneter Bereich wie Lager/Putzmittel- oder Abstellräume mit teuren Designer-Leuchten ausgestattet werden sollten und dies bei der Nachtragsprüfung bestätigt und beauftragt wurde“, kritisiert der Bericht,

Unklar bleibt auch, warum zwei Schrankfächer in der Staatskanzlei für mehr als 6000 Euro mit Messing ausgeschlagen werden sollten. Angeblich ein „Nutzerwunsch“. Die Prüfer notieren dazu: „Es ist ein Nachtrag ohne jeglichen Bezug zum Hauptauftrag.“ Die Opposition im Landtag dürfte Einblicke in Protokolle in Bemusterungstermine nehmen wollen, um festzustellen, wer eigentlich welche Ausführungen wünschte.

Die Luxussanierung der NRW-Staatskanzlei hat strafrechtliche und politische Dimension

So scheint der Fall eine doppelte Dimension zu bekommen: eine kriminelle und eine politische. Strafrechtlich geht es bislang um vergaberechtliche Verstöße, Manipulationen im SAP-System und eine Vielzahl von Auffälligkeiten bis hin zum handfesten Betrug. Die Beschuldigten sollen sich Aufträge zugeschoben und an Nachtragsrechnungen bereichert haben. Allein bei „Elektroanlagen und Beleuchtungen“ geht es um Nachträge von insgesamt 2,34 Millionen Euro. Die genaue Schadenshöhe ist aber noch nicht bekannt. Auch die Dämmung der Innenhoffassade wurde laut Prüfbericht „vergaberechtswidrig als Nachtrag vergeben“.

Politisch dürfte für die inzwischen von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) geführte Staatskanzlei unangenehm werden, dass Protz und Steuergeld-Verschwendung im Raum stehen. Den nüchternen Westfalen Wüst, der den Umbau selbst gar nicht in Auftrag gegeben hat und der ohnehin nicht für Prunksucht bekannt ist, trifft wohl keine Schuld. Aber womöglich wurde in seinem Apparat zu freigiebig Bauherr gespielt?

Inzwischen sollen weit über 55 Millionen Euro für den Umbau des „Landeshauses“ verschlungen worden sein. Die Ertüchtigung des Verwaltungsgebäudes war notwendig geworden, weil nach dem Regierungswechsel 2017 der damals neue Ministerpräsident Laschet entschieden hatte, mit seinen 300 Mitarbeitern aus der bisherigen Staatskanzlei in angemieteten Büroräumen des modernen gläsernen „Stadttores“ zurück in jenes historische Gebäude zu ziehen. Der Komplex diente zwischen 1911 und 1945 als Zentralverwaltung des Rheinischen Provinzialverbandes und zwischen 1961 und 1999 schon einmal als Teil der Regierungszentrale.

Man baue „mit Stahl und Beton, nicht mit Marmor“, hieß es zum Baustart bescheiden. Über die veranschlagten Kosten wurden sicherheitshalber keine Angaben gemacht, was den BLB-Prüfern wie so vieles komisch vorkommt. Wenn man kein Budget vorgibt und nicht genau sagt, was man eigentlich konkret umbauen will, haben Korruption und Verschwendung leichtes Spiel. Sieben Jahre später sind die Arbeiten noch immer nicht abgeschlossen. Dafür ist aus dem besseren Anstrich längst ein Prachtbau mit zwei pompösen Eingangshallen, Wandbepflanzungen und einem Panoramaaufzug mit Rheinblick geworden.

Die Korruptionsvorwürfe wurden vor zwei Wochen öffentlich, als Polizei und Justiz mit 200 Kräften zur Großrazzia in mehreren NRW-Städten ausrückten. Herausgekommen sind die Machenschaften bereits im Herbst 2023, als ein Unternehmer nicht mitspielen wollte. Er hatte eine Auftragsvergabe für Beleuchtungen gewonnen und sollte an eine mit dem Architekturbüro verbandelte Konkurrenzfirma 50.000 Lizenzgebühr für Designrechte zahlen. Außerdem sollte er beim BLB ein Mehrkostenangebot in Höhe von 150.000 Euro einreichen und den daraus resultierenden Gewinn teilen.

Der Unternehmer meldete sich beim externen Antikorruptionsbeauftragten des BLB, der eine Kaskade an Ermittlungen in Gang setzte. Die Interne Revision des BLB startete die streng vertraulichen Sonderprüfung, die seit Dienstagabend dem Landtag vorliegt. Der Fall wird das Parlament in dieser Woche gleich zweimal beschäftigen – in einer Fragestunde und am Freitag in einer Aktuellen Stunde.