Berlin. Der Chefredakteur des RBB, David Biesinger, spricht von einem „schwerwiegenden Fehler“ und einer „detailgetreuen Aufarbeitung“.
Nachdem der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) am Sonntag einen Fehler bei der Berichterstattung um die Causa Stefan Gelbhaar eingeräumt hat, will der öffentlich-rechtliche Sender das Geschehen aufarbeiten. „Uns liegt sehr an einer akribischen und detailgetreuen Aufarbeitung und Ableitung für die Zukunft. Diesen Prozess treiben wir derzeit intensiv voran, er wird auch nicht ewig dauern“, sagte der Chefredakteur des Senders, David Biesinger, dieser Redaktion. „Wir sind uns bewusst, dass das ein schwerwiegender Fehler war. Wir haben deshalb zum einen Transparenz hergestellt, zum anderen werden wir auch Ableitungen für die Zukunft treffen, um die gewohnte Qualität wieder zu sichern. Klar ist, wir müssen unsere Verfahren anpassen.”
Der RBB hatte im Dezember über mehrere Frauen berichtet, die behauptet haben sollen, von dem Grünen-Politiker Gelbhaar belästigt worden zu sein. Der RBB ließ sich die Angaben an Eides statt versichern. Darin bezeugen sie eigentlich, dass die Vorwürfe stimmen. Ende vergangener Woche zog der Sender dann aber einen Teil der Berichterstattung zurück und nahm einen Text offline. Es kamen Zweifel an der Identität einer der Frauen auf. Demnach gab es Unstimmigkeiten um die eidesstattliche Versicherung. Der Sender bezeichnete die Person als „Anne K.“
RBB räumt Fehler in der Recherche ein
Am Sonntag räumte der RBB dann einen Fehler in der Recherche ein. In einer Stellungnahme, die der RBB auf seiner Webseite veröffentlichte, sprach der Chefredakteur Biesinger davon, dass „journalistische Standards“ nicht „vollumfänglich eingehalten“ worden sein sollen. Die hinter der eidesstattlichen Versicherung liegende Identität ist von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden, so Biesinger weiter.
„Betrügerische Absicht und die kriminelle Energie, mit der unter großem Aufwand eine falsche Identität vorgespiegelt worden ist, haben dazu beigetragen, dass dieser Fehler geschah.“ Eigenen Angaben zufolge hat der RBB Strafanzeige gegen die Person gestellt, die die falschen Erklärungen abgegeben haben soll.
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Landgericht Hamburg untersagt RBB Teile der Berichterstattung
Am Montag erlitt der Sender eine Niederlage vor Gericht. Das Landgericht Hamburg untersagte dem RBB mit einem Beschluss (Az. 324-O 2/25), der der Berliner Morgenpost vorliegt, weitere Details zu mutmaßlichen Belästigungsvorwürfen gegen Gelbhaar in Medienberichten zu verwenden. Dabei ging es allerdings nicht um den Fall „Anne K.“, sondern um konkrete Schilderungen einer anderen jungen Frau, die unter anderem angab, gegen ihren Willen am Arm gestreichelt sowie am unteren Rücken angefasst worden zu sein. Das Gericht sah in der Berichterstattung die allgemeinen Persönlichkeitsrechte des Politikers verletzt sowie dem Mangel eines „hinreichenden Öffentlichkeitswert des berichteten Verdachts“.
Allerdings wird die Aufarbeitung nicht nur vom Chefredakteur vorangetrieben. Intern hat sich auch der Redaktionsausschuss des Senders an die Mitarbeiter gewandt -– und das unabhängig von David Biesinger. In einem Schreiben, das über das Intranet verbreitet wurde, forderte der Ausschuss Transparenz von der Chefredaktion. So habe es am Montag eine Vollversammlung gegeben, bei der offenbar nicht über die Niederlage vor Gericht berichtet worden sei – obwohl zu dem Zeitpunkt die Entscheidung bereits feststand.
Mit Fall Gelbhaar könnte der RBB Teile seiner journalistischen Glaubwürdigkeit verlieren
„Anlass zur Sorge“, schrieb der Redaktionsausschuss des RBB weiter, sei zudem ein Schreiben von Gelbhaars Anwalt Ende Dezember. Darin führte der Anwalt Alibis Gelbhaars zu mehreren vorgeworfenen Taten vor, nannte offenbar konkrete öffentliche Veranstaltungen, bei denen er auf dem Podium saß. Das Schreiben soll laut Redaktionsausschuss dem Justitiariat des Senders vorgelegt haben, nachdem Gelbhaar am 27. Dezember mit den Vorwürfen gegen ihn vonseiten des RBB konfrontiert wurde.
Dennoch entschied der Sender am 31. Dezember in der Abendschau über konkrete Belästigungsvorwürfe Gelbhaars zu berichten. „Wurden Gelbhaars Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft?“, fragt der Redaktionsausschuss, und wie wurden die Redakteure von der Rechtsabteilung beraten und wann wusste der Chefredakteur sowie die Intendantin des Senders in dem Fall Gelbhaar Bescheid. Dabei führte der Ausschuss weiter aus, dass sich die Redakteure des Hauses „allein gelassen“ gefühlt hatten.
Gelbhaar: „Für mich war das eine kafkaeske Situation“
Abschließend machte er auf die Affäre um Schlesinger aufmerksam. Seither steht der Sender in der Öffentlichkeit unter besonderem Fokus, gewann aber durch eigene Aufarbeitung etwa des Rechercheteams wieder an Vertrauen. „Mit dem Fall Gelbhaar“, so der Redaktionsausschuss weiter, „könnte der RBB nun auch noch Teile seiner journalistischen Glaubwürdigkeit verlieren“.
Stefan Gelbhaar veröffentlichte am Dienstag, einen Tag nach Bekanntwerden der Entscheidung des Landgerichts Hamburg, selbst einen Text auf seiner Webseite, in dem er unter anderem die Schilderungen aufgriff und sie als „falsch“ bezeichnete. Dabei war die Rede von einer „gezielte Kampagne“, die gestartet worden sein soll, um den Grünen-Politiker „politisch zu vernichten“ und ihm „persönlich zu schaden“.
Am Mittwoch beschrieb der Grünen-Bundestagsabgeordnete die Konfrontation mit den Vorwürfen gegen ihn als kafkaesk. „Es ging in Wellen. Da ist diese Hoffnung, dass das irgendwie vorbeizieht“, sagte Gelbhaar der Wochenzeitung „Die Zeit“ über die vergangenen Wochen seit Beginn der öffentlichen Diskussion um Belästigungsvorwürfe gegen ihn Mitte Dezember. Er hatte alle Anschuldigungen stets zurückgewiesen. Gelbhaar hatte daraufhin auf seine Kandidatur für einen vorderen Platz auf der Landesliste der Berliner Grünen verzichtet und das mit den Vorwürfen begründet, ohne konkreter zu werden. „Für mich war das eine kafkaeske Situation“, sagte er. „Ich sollte mich gegen Vorwürfe verteidigen, die ich quasi nicht kannte.“ mit dpa