Düsseldorf. Die Duz-Bekannte des NRW-Justizministers, die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts werden soll, sagte als Zeugin im U-Ausschuss aus.
Kein Name, kein Foto, keine Ton- und Filmaufnahmen. Die Zeugin im roten Blazer betritt den Landtagssaal E3D01 erst, sobald der Ausschussvorsitzende Klaus Voussem (CDU) die Spielregeln ausdrücklich geklärt hat. Als was sie nicht länger bezeichnet werden will, stellt sie gleich im dritten Satz ihres Eingangsstatements klar: „Ich bin niemandes Duz-Freundin und erst recht niemandes Favoritin.“
Im Skandal um die rechtswidrige Besetzung des Präsidentenamtes am Oberverwaltungsgericht (OVG) mit einer langjährigen Bekannten von NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) vernimmt der parlamentarische Untersuchungsausschuss am Dienstagnachmittag über Stunden eben jene zentrale Person: die heute 55-jährige Abteilungsleiterin aus dem Innenministerium, die neue OVG-Präsidentin werden soll.
Die OVG-Affäre sorgt seit Monaten bundesweit für Aufsehen. Nach dem Regierungswechsel 2022 war die Frau nachträglich ins Bewerbungsverfahren für das Präsidentenamt beim höchsten Verwaltungsgericht aufgenommen worden. Sie hatte dem neuen Minister ihr Interesse an der Stelle bei einem privaten Abendessen signalisiert und bekam am Ende den Zuschlag, obwohl sie seit Jahren nicht mehr in der Justiz tätig ist und nur wenig Richtererfahrung vorweisen kann.
Richteraffäre in NRW: Wollten die Grünen eine Frau und die CDU ein Parteimitglied?
Es steht der Verdacht im Raum, die schwarz-grüne Landesregierung könnte das Besetzungsverfahren unzulässig politisch beeinflusst haben. Angeblich wollten die Grünen eine Frau an der OVG-Spitze sehen und die CDU jemanden mit CDU-Parteibuch, weshalb der politisch unerfahrene Limbach seine Duz-Bekannte aus dem Innenministerium präsentiert habe. Der Klüngel-Vorwurf ist gravierend: Besetzungsvorschläge für höchste Richterämter müssen in NRW nach einer streng objektiven Bestenauslese von der Fachabteilung des Justizministeriums vorbereitet werden, damit sich eine Regierung in der Gewaltenteilung keine „genehme“ Justiz schaffen kann.
Ein Bundesrichter, der trotz bester Referenzen übergangen wurde, hatte erfolgreich bis zum Bundesverfassungsgericht geklagt. Aktuell ruht das Verfahren, weil die aus dem Innenministerium zugelieferten Spitzennoten für die Limbach-Favoritin fehlerhaft waren. Das hatte der Untersuchungsausschuss herausgearbeitet. Dadurch ist der Besetzungsvorschlag nichtig. Limbach will das Verfahren mit neuen Beurteilungen retten und lehnt einen Rücktritt ab.
Man habe sich am 20. Juli 2022 zum Abendessen am gemeinsamen Wohnort Bonn getroffen, weil sie tagsüber beide keine Zeit hatten, führt die Zeugin am Dienstag aus. Wie genau die Sprache in diesem privaten Rahmen auf die offene OVG-Präsidentenstelle gekommen sein soll, bleibt unklar. Aber die Frau versichert: „Herr Limbach hat mich weder ermuntert noch aufgefordert, mich zu bewerben. Und ich habe ihn nicht gebeten, mich vor anderen Bewerbern zu bevorzugen.“
Limbach-Favoritin belastet ihren Konkurrenten um die Richterstelle
Sie habe zu Limbach, den sie 1999 in der gemeinsamen Zeit als Proberichter am Verwaltungsgericht Köln kennengelernt hat, über all die Jahre bloß „losen Kontakt gehalten“. Das heißt: „Wir waren und sind nicht privat miteinander befreundet.“
Die Zeugin wirkt trotz der juristischen Vorbildung bei der Befragung zunächst nervös. Später wird sie aggressiver und geht in die Offensive. Sie versucht im Laufe der Vernehmung, den Scheinwerfer in eine andere Richtung zu lenken: Sie belastet ihren Konkurrenten, den klagenden Bundesrichter. Den kennt sie ebenfalls aus jungen Richtertagen in Köln. Man duzt sich. Sie seien sogar damals „in einer Kaffeerunde“ gewesen und hätten zusammen Volleyball gespielt. Der Kollege habe sie bereits 2021 mehrfach vertraulich in Sachen OVG-Präsidentschaft kontaktiert und Ende Mai 2022 sogar um einen unmöglichen Gefallen gebeten. Damals plante sie selbst noch keine Bewerbung. Sie habe bei ihrem Chef, Innenminister Herbert Reul (CDU), ein gutes Wort für den Bundesrichter einlegen sollen. Nach dieser Version sollte sich Reul angeblich bei Noch-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) für den Bundesrichter verwenden.
Das klingt wenig lebensnah, weil Biesenbach in seiner Zeugenaussage nichts von derartigen Interventionen berichtet und zum damaligen Zeitpunkt einen ganz anderen Besetzungsvorschlag unterschrieben hatte: ein Abteilungsleiter aus dem Justizministerium, der demnächst in den Ruhestand tritt, sollte nach seinem Willen zum damaligen Verfahrensstand OVG-Präsident werden.
SPD-Opposition dokumentiert enge Bande zwischen Ministerium und Kandidatin
Dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist in dieser brisanten Personalie, wird im Laufe der Zeugenvernehmung immer zweifelhafter. Die Limbach-Favoritin wurde noch vor Abgabe ihrer Bewerbung im Sommer 2022 zu Staatskanzleichef Nathanael Liminski (CDU) geschickt, der mit dem Auswahlverfahren in dieser Phase gar nichts zu tun hatte. Warum? Reul habe ihr gesagt: „Das ist eine wichtige Stelle, die geht durchs Kabinett, kennen Sie eigentlich Herrn Liminski?“ Und warum ließ Limbach noch vor Eingang der Bewerbung die Chancen seiner Bekannten in der Fachabteilung des Justizministerium in einem „adA-Vermerk“ („außerhalb der Akten“) taxieren? Das findet auch die Limbach-Favoritin selbst „irritierend“.
Mehr als heikel erscheint auch eine Reihe von bislang unbekannten internen E-Mails, mit denen SPD-Obfrau Nadja Lüders die Zeugin am Ende konfrontiert. Sie legen nahe, dass die Limbach-Favoritin das Justizministerium im langen Rechtsstreit mit dem Bundesrichter gewissermaßen coachte. Sie ist offenkundig im engen Austausch mit Limbachs Fachbeamten, bietet sogar an, aus dem Urlaub heraus an einer Videokonferenz mit den Anwälten des Landes teilzunehmen. Sie munitioniert in Mails mit dem Betreff „Kleine Zuarbeit“ das Justizministerium in der Rechtsauseinandersetzung mit dem Konkurrenten. Obwohl hier allesamt Spitzenjuristen am Werk sind, fürchtet offenbar keiner, dass man durch diese offenherzige Kommunikation das gesamte Verfahren angreifbar machen könnte.
Dazu muss man wissen, dass ein Untersuchungsausschuss des Landtags gerichtsähnliche Befugnisse hat und interne Regierungsakten einsehen darf. Die Ministerialbeamten hatten augenscheinlich lange nicht auf dem Schirm, dass ihr Schriftverkehr eines Tages einmal öffentlich werden könnte. SPD-Frau Lüders liest gleich zehn E-Mails vor, die zeigen, dass die Limbach-Favoritin offenbar im schwelenden Konkurrentenstreitverfahren über beste Drähte ins Justizministerium verfügte. „Hat es hier etwa Ghostwriting und gemeinsame Sache gegeben?“, fragt Lüders später.
Die Opposition wirkt entsetzt und bezweifelt, ob das alles überhaupt noch als faires Auswahlverfahren betrachtet werden kann. Ist man wirklich objektiv? Die Zeugin will nur bei „Sachverhaltsfragen“, die sich nicht nach Aktenlage beantworten lassen, den Kollegen behilflich gewesen sein. Als ein Urteil in der Sache dem Land im Frühjahr 2024 zwischenzeitlich Recht gibt in seiner Besetzungsentscheidung, schickt Limbachs verantwortlicher Abteilungsleiter am 1. März um 10.20 Uhr der Duz-Bekannten des Chefs eine Mail mit nur einem einzigen Wort zum Inhalt: „Sieg!“ Sie schreibt glücklich zurück: „Danke für Ihren professionellen Einsatz!“